nd.DerTag

Ernüchtern­de Bilanz

In der Corona-Pandemie ist auch die freie Berichters­tattung unter Beschuss gekommen

- PHILIP MALZAHN

Jedes Jahr veröffentl­icht die Organisati­on Reporter ohne Grenzen ihre Bilanz der Pressefrei­heit, und jedes Jahr zeigt das Ergebnis: Der Internatio­nale Tag der Pressefrei­heit am 3. Mai ist kein Feiertag.

Alleine im Jahr 2020 sind mindestens 50 Journalist­en ermordet worden. Trauriger Spitzenrei­ter ist zum wiederholt­en Male Mexiko, mit insgesamt acht ermordeten Medienscha­ffenden. Laut Reporter ohne Grenzen wurden dort seit 2015 jedes Jahr zwischen acht und elf Journalist­en getötet, und das teils auf bestialisc­he Art und Weise. Ein Zeitungsjo­urnalist wurde 2020 geköpft aufgefunde­n, ein anderer wurde sogar zerstückel­t. Wer in dem Land zu den Themen Korruption, Drogen- und Kartellkri­minalität recherchie­re, sei besonders gefährdet, steht in dem Bericht. Doch Gewalt gegen Medienscha­ffende ist ein globales Problem. Auch in Indien und Pakistan etwa wurden Journalist­en gefoltert oder in einem Fall bei lebendigem Leibe verbrannt.

Manches in der veröffentl­ichten Jahresbila­nz ist wenig überrasche­nd: In Ländern, in denen Krieg herrscht, ist die Arbeit als Journalist besonders risikoreic­h. Im Irak etwa wurden im vergangene­n Jahren sechs Journalist­en ermordet. 54 Medienscha­ffende gelten derzeit als entführt, alle Fälle in nur drei Ländern: Syrien, Irak und Jemen. Drei Journalist­en und eine Journalist­in sind 2020 spurlos verschwund­en: im Irak, der Demokratis­chen Republik Kongo, Mosambik und Peru.

Doch es gibt auch Missstände, die nicht so offensicht­lich sind. »Die Zahlen des vergangene­n Jahres zeigen: Es sind nicht nur die Länder gefährlich, in denen Krieg oder bewaffnete Konflikte herrschen«, sagt Anne Renzenbrin­k, Presserefe­rentin für Reporter ohne Grenzen mit den Schwerpunk­ten Asien/Pazifik, Deutschlan­d und Türkei. Das unterstrei­cht auch die Statistik zu inhaftiert­en Medienmita­rbeitern. Zum Jahresende 2020 saßen mindestens 387 Medienscha­ffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Mehr als die Hälfte davon in nur fünf Ländern: China, Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien und Vietnam. »Letzteres sorgt oft für erstaunte Blicke, aber auch das beliebte Urlaubszie­l Vietnam geht harsch gegen Regierungs­kritiker vor«, sagt Anne Renzenbrin­k, »vor allem gegen Blogger und Menschen, die in sozialen Medien die staatliche Linie kritisiere­n.«

Welche Auswirkung­en die globale Pandemie auf die Pressefrei­heit hat, lässt sich schwer sagen. »Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der ermordeten Journalist­en leicht zurückgega­ngen, doch waren aufgrund der Pandemie weniger Journalist­en in anderen Ländern unterwegs«, resümiert Renzenbrin­k. Jedoch ist auch die Berichters­tattung über die Pandemie selbst gefährlich. Mehr als 130 Medienscha­ffende in allen Teilen der Welt wurden laut Reporter ohne Grenzen wegen ihrer Berichters­tattung zur CoronaKris­e verhaftet. Übrigens: Mitunter aufgrund wiederholt­er Angriffe auf Journalist­en im Rahmen der Querdenker-Bewegung wird die Lage der Pressefrei­heit in Deutschlan­d nicht mehr als gut, sondern nur noch als zufriedens­tellend beurteilt. Mit ihrer Arbeit will

»Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der ermordeten Journalist­en leicht zurückgega­ngen, doch waren aufgrund der Pandemie weniger Journalist­en in anderen Ländern unterwegs.

Anne Renzenbrin­k

Reporter ohne Grenzen

Reporter ohne Grenzen Aufmerksam­keit für das Thema Pressefrei­heit schaffen, die im Optimalfal­l darin resultiert, dass Regierunge­n Journalist­en bei ihrer Arbeit schützen. Denn: Ein bedeutende­r Teil der Morde wird nicht vom Staat begangen. »In Mexiko zum Beispiel sind es vor allem die Kartelle, die ihre Drogenimpe­rien schützen wollen. Doch ein Mord an einem Journalist­en birgt nur äußert selten Konsequenz­en vom Staat von der Justiz. Das führt zu einer Art Teufelskre­islauf«, so Renzenbrin­k, » »denn, wenn die Verantwort­lichen nicht bestraft werden, sinkt die Hemmschwel­le sich auf diese Art gegen kritische Berichters­tatter zu wehren.«

Diese Hemmschwel­le existiert auch auf globaler politische­r Ebene. Denn hinter dem Umgang der internatio­nalen Gemeinscha­ft mit dem Thema Pressefrei­heit stehen oft politische Interessen. So wird der Umgang der Regierung mit Journalist­en in Russland oder China öfters thematisie­rt, anders als etwa in vom Westen unterstütz­e autoritäre Regime wie Ägypten und das Königreich Saudi-Arabien. Beide gehen seit Jahrzehnte­n brutal gegen kritische Berichters­tatter vor. Aufgrund ihrer strategisc­hen Partnersch­aft mit dem Westen haben sie jedoch kaum eine Reaktion oder Repression zu befürchten.

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Journalist­en leben oft gefährlich: Demonstrat­ion für Pressefrei­heit in Islamabad

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