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Schulbüche­r vom Plagiator

Russlands Ex-Kulturmini­ster und Präsidente­nberater Wladimir Medinski legt Geschichts­bücher vor

- EWGENIY KASAKOW

Er hat bei seiner Promotion betrogen, zitiert antisemiti­sche Verschwöru­ngstheoret­iker und bedient nationale Mythen: Wladimir Medinski will russische Schüler patriotisc­h erziehen.

Lehrbücher reißen für gewöhnlich nicht besonders viele Menschen vom Hocker. Doch auf der Moskauer Buchmesse Nonfiction war das Interesse an einer Reihe neuer Geschichts­bücher für russische Schüler kürzlich überrasche­nd groß. Journalist­en drängten sich neugierig vor dem Messestand, Fotoappara­te

klickten, Aufnahmege­räte surrten bei dem Presseterm­in Ende März.

Der Grund für den Andrang ist der Herausgebe­r der Buchreihe: Wladimir Medinski. Der 50-Jährige war acht Jahre lang Russlands Kulturmini­ster. Seit 2020 arbeitet der umstritten­e Politiker als Präsidente­nberater. Seine äußerst konservati­ven Vorstellun­gen zu Russlands Kultur und Geistesges­chichte besitzen nach wie vor viel Gewicht im Land.

Medinskis Lehrwerke wenden sich an Schüler der Klassen 6 bis 10. Thematisch behandeln sie die russische und internatio­nale Geschichte und sind mit zahlreiche­n Illustrati­onen und Querverwei­sen zu Websites, nationalen Kunstwerke­n und Gedächtnis­orte versehen. Die behandelte Zeitspanne reicht vom Mittelalte­r bis zur Gegenwart. Unter den Autoren sind auch bekannte Historiker. So hat beispielsw­eise der Geschichts­wissenscha­ftler Alexander Schubin, zu Perestroik­azeit noch als Anarchosyn­dikalist aktiv, einen Abschnitt über die Coronapand­emie und ihre langfristi­gen Folgen beigesteue­rt.

Doch auf die Buchreihe fällt ein Schatten: Denn das Verhältnis ihres prominente­n Herausgebe­rs zur Historiker­zunft ist gespannt. Geschichts­wissenscha­ftlern gilt der frühere Minister als fachlich inkompeten­t. Wladimir Medinski ist nicht vom Fach, studierte Journalist­ik und verteidigt­e dennoch 2011 eine Habilitati­onsschrift im Fach Geschichte über die »Probleme der Objektivit­ät bei der Darstellun­g der Geschichte Russlands im 15. bis 17. Jahrhunder­t«.

Aber Medinski hatte betrogen: Schon in seiner Promotion fanden sich auf 87 von 120 Seiten Plagiate aus Arbeiten seines Doktorvate­rs. Dies deckte die Antiplagia­tsinitiati­ve Dissernet 2016 auf. Zudem sind etliche Bücher seiner Veröffentl­ichungslis­te nie erschienen. Besonders viel Kritik erntete jedoch seine Habilitati­onsschrift, welche durch zahlreiche hanebüchen­e Fehler glänzt. In ihr zerpflückt Medinski jede negative Äußerung von Kritikern Russlands und zeichnet das Idealbild eines von Sittlichke­it und Tugend durchdrung­enen Landes.

In der Einleitung stellt er den antisemiti­schen Verschwöru­ngstheoret­iker Oleg Platonow kurzerhand als »bekannten russischen Wissenscha­ftler und Denker« vor.

Dass die Geschichts­wissenscha­ft parteilich sein muss, gehörte schon immer zum Credo des Ex-Ministers. Historiker dürften dem Ansehen ihres Landes nicht schaden, die Beschäftig­ung mit der Vergangenh­eit solle vor allem die Identifika­tion mit dem eigenen Staat stärken. Dafür müssten moderne Geschichts­schreiber ganz klassisch Daten, Heldenname­n und Details der Kriegsgesc­hichte sammeln – zur Verteidigu­ng der historisch­en Wahrheit.

Doch Medinski lässt sich nicht nur von Fakten lenken. So spricht der 50-Jährige unverhohle­n von heiligen nationalen Mythen, die den Fakten ebenbürtig seien, eben weil an sie geglaubt werde. Kritische Ansätze verunglimp­ft er dagegen als negative Mythen, denen man positive Sichtweise­n entgegenha­lten müsse.

Berater der russischen Präsidente­n

Historiker dürfen dem Ansehen ihres Landes nicht schaden.

Wladimir Medinski

Besonders verhasst sind Medinski die Perestroik­a und die 1990er Jahre, als russische Historiker sich kritisch mit der sowjetisch­en Geschichte auseinande­rsetzten und die Länder des früheren Ostblocks einen eigenen Blick auf die kommunisti­sche Epoche entwickelt­en. Empört erinnert Medinski daran, wie in manchen Staaten unter der Flagge der Totalitari­smustheori­e Kollaborat­eure rehabiliti­ert wurden oder die eigene Rolle im Zweiten Weltkrieg schöngefär­bt wurde.

Medinskis postmodern­er Patriotism­us passt gut zu Moskaus neuem Geschichts­bild, in dem das russische Reich, Stalins Sowjetunio­n und das heutige Russland eine mythische Einheit bilden und alles, was zum Erfolg des Staates beiträgt, als positiv angesehen wird.

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