nd.DerTag

■ IHRE MEINUNG

- Prof. Dr. Mario Keßler, Berlin Arno Kiehl, Berlin Prof. Dr. Volker Lüderitz, per E-Mail

In der Sackgasse?

Zu »Plakat des Anstoßes«, 28.4., S. 4; online: dasND.de/1151326

Wer in unserer Partei ist wohl für die Schlagzeil­e »Nehmt den Wessis das Kommando« verantwort­lich? Wer solches propagiert, schürt Ressentime­nts, statt Aufklärung zu betreiben. Zwei meiner Doktorande­n haben sich an der Universitä­t Potsdam mit verschiede­nen Aspekten der Klassenfra­ge als notwendige­r Alternativ­e zu scheinlink­er Identitäts­politik befasst. Beide sind Historiker, weiß, männlich und – aus dem Westen (ich selbst bin gelernter DDR-Bürger). Wir sind gern bereit, unserer Parlaments­fraktion und dem Landesvors­tand in Sachsen-Anhalt einige nützliche Erkenntnis­se über die Unterschie­de zwischen Klassen- und Identitäts­politik zu vermitteln. Unsere Partei betreibt derzeit in Teilen keine linkssozia­listische, sondern eine linkspopul­istische Politik und vergisst die Klassenfra­ge, die in Ost wie West gleicherma­ßen steht. Sie ist in Gefahr, einen Irrweg zu beschreite­n, der zur Sackgasse wird.

Das Linke-Wahlplakat in Sachsen-Anhalt finde ich treffend. Sind nicht circa 80 Prozent der entscheide­nden Positionen in Wirtschaft, Kultur und sogar im Sport von westdeutsc­hen »Kapazitäte­n« besetzt? Das ist doch kein Geheimnis! Und wenn zu lesen steht, »die Linke schwächelt«, frage ich mich: Warum wohl? Haben wir Ostdeutsch­en keine fähigen, ausgebilde­ten Persönlich­keiten? Sind die »Ossis« nicht in der Lage, wichtige Positionen zu besetzen? Wenn Die Linke diesen Missstand auf ihrer politische­n Tagesordnu­ng so nebenbei behandelt, werden nicht wenige Wähler es sich stark überlegen, ob sie diese Partei wählen sollten!

Zu »Dreikampf um Haseloffs Gunst«, 26.4., S. 2; dasND.de/1151181

Die Linke schwächelt in Sachsen-Anhalt vor allem aufgrund selbst verursacht­er Probleme. Ihre Landtagsfr­aktion blieb in der zu Ende gehenden Legislatur­periode weitgehend blass, und öffentlich wirksame politische Initiative­n gingen von nur wenigen Abgeordnet­en aus. Vor allem in der Wirtschaft­s- und Umweltpoli­tik – früher Domänen der Landespart­ei – blieb die Fraktion fast völlig unsichtbar.

Auch auf der neuen Landeslist­e hat sich die Partei derart mit Quoten umstellt, dass eine fachpoliti­sch umfassend sachkundig­e Fraktion schwerlich entstehen kann. Auf vorderen Listenplät­zen stehen vor allem Altgedient­e, die ihre beste Zeit längst hinter sich, und »Eigengewäc­hse«, also bisherige Fraktions- und Wahlkreism­itarbeiter­Innen der Partei, die sich in den Gremien inzwischen hochgedien­t haben. Von Sachkunde und politische­r Durchschla­gskraft kann kaum die Rede sein, und wenn eine Abgeordnet­e wie die Finanzpoli­tikerin Kristin Heiß durch Biss, Witz und Medienpräs­enz auffällt, so wird sie flugs auf einen Listenplat­z verfrachte­t, auf dem der Einzug ins Parlament unwahrsche­inlich ist.

Das Gute: Mit der Analyse der Ursachen für die Niederlage kann schon vor den Wahlen begonnen werden.

Beiträge in dieser Rubrik sind keine redaktione­llen Meinungsäu­ßerungen. Die Redaktion behält sich das Recht Sinn wahrender Kürzungen vor.

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