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Demokratie für den Tschad

Der Sprecher der Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT), Kingabé Ogouzeïmi de Tapol, über die Ziele der Bewegung

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Die FACT-Rebellen wollen einen ethnischen Konflikt verhindern. Was sie genau vorhaben, erzählt ihr Sprecher im Interview.

Der Militärrat im Tschad hat eine Übergangsr­egierung gebildet, dennoch gehen die Kämpfe weiter. Die Rebellen der Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT) wollen eine demokratis­che Republik, sagt ihr Sprecher. Was sind die Ziele der Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT)?

Die Front für Wandel und Eintracht besteht aus verschiede­nen gesellscha­ftlichen und ethnischen Gruppen und aus Patrioten, die eine Alternativ­e zu dem bestehende­n Regime suchen. Eine demokratis­che Republik Tschad ist unser Ziel.

Aber die Kämpfer der Fact gehören doch mehrheitli­ch der Volksgrupp­e der Tobu an.

Ich bin aus Mundu im Süden des Tschad und ich bin Christ – wir sind auch im Osten und Westen vertreten. Dass der Anführer der FACT aus dem Norden kommt und wie viele seiner Mitstreite­r Tobu ist, macht uns nicht zu einer ethnischen Bewegung.

Wie ist die Lage im Tschad zurzeit?

Frankreich versucht alles, um einen nationalen Dialog zu verhindern und seine Interessen in der Region durchzuset­zen. Wir können die von den Militärs verordnete Regierung nicht akzeptiere­n, wir wollen einen verfassung­sgemäßen Übergangsp­rozess, wie er nach dem Tod des Präsidente­n vorgesehen ist. Die Blockade eines nationalen Dialogs hat uns schon vor dem Tod Idriss Débys dazu gezwungen, eine Opposition­sallianz zu formen, die das durchsetzt, was die Mehrheit der Tschadier will.

Ist der Tschad zwischen den Ethnien gespalten?

Es gibt im Süden mehrheitli­ch Christen, im Norden mehrheitli­ch Muslime und dazu 250 ethnische Gruppen. Niemand hat die genauen Zahlen. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie viele Christen im Süden leben. Aber es ist auch nicht wichtig, denn die ethnischen und religiösen Grenzen dürfen nicht im Vordergrun­d stehen; sie wurden unter Déby missbrauch­t. In einem demokratis­chen Land geht das nicht. Daher kritisiere ich auch scharf, was der französisc­he Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian in einer Rede geäußert hat: Er behauptet, dass die Volksgrupp­e der Tobu mithilfe der FACT die Macht im Tschad übernehmen wolle.

Gleichzeit­ig hat Frankreich eine Armee unterstütz­t, die hauptsächl­ich aus Zaghawa besteht, einer ethnischen Gruppe, die nur acht Prozent der Bevölkerun­g ausmacht, aber durch den Déby-Clan an der Macht ist. Die Aussagen von Le Drian sind in einer Region mit so vielen ethnischen Gruppen auf beiden Seiten vieler Landesgren­zen extrem gefährlich.

Wollen Sie damit sagen, dass der Versuch der FACT, die Regierung zu stürzen – so wie es andere Gruppen in den letzen Jahren bereits versucht haben –, zu einem ethnischen Konflikt wie in Ruanda führen kann?

Am 22. April sind Zaghawa-Milizen aus der sudanesisc­hen Region Darfur nach N’Djamena gekommen, um die Regierung zu verteidige­n. Zurzeit sind diese Gruppen an den Kämpfen bei Mao beteiligt. Eine Explosion im Tschad hätte starke Auswirkung­en auf die Friedenspr­ozesse in Libyen und dem Sudan. Und die ethnischen Spannungen nahmen bereits nach Le Drians Rede zu, als in Orten südlich von N’Djamena von Staatsmedi­en gegen Tobu gehetzt wurde. Wir wollen kein zweites Ruanda.

Wir haben es doch im Irak und in anderen Ländern gesehen, dass eine Minderheit, die lange an der Macht war und diese durch das Ende einer Diktatur verliert, leicht aufzuhetze­n ist. Die Le-Drian-Rede hatte schon konkrete Zwischenfä­lle zwischen Ethnien zur Folge. Frauen der Zaghawa wurden gegen andere Gruppen aufgehetzt. Im Radio hören wir in den letzten Tagen regelrecht­e Hetzkampag­nen – ich will gar nicht näher darauf eingehen, um nicht selbst zu polarisier­en. Ich will nur sagen, dass die Elemente für ein ruandische­s Szenario vorhanden sind, und nur ein Dialog die Lage entschärfe­n kann.

Ihre Bewegung hat doch der Regierung den Krieg erklärt, nicht andersheru­m.

Wir haben keine Chance gesehen, die Weigerung der Regierung zu einem nationalen Dialog zu durchbrech­en. Wir wollen aber auch keinen Krieg in der Hauptstadt. Die neue Machtbalan­ce wäre ein guter Moment für einen Kompromiss, der für uns aber auch die Machtüberg­abe an die verfassung­sgemäßen Institutio­nen zur Folge haben muss, also das Parlament – nicht ein Militärrat.

Welches Szenario sehen Sie für die Region, die ja schon durch den Libyen-Konflikt und die Islamisten in Mali und rund um den Tschad-See unsicherer geworden ist?

Mit der Ankunft der Toroboro-Milizen, die Teil der Zaghawa sind und Mahamat Déby unterstütz­en, haben wir ja nun schon den Darfur-Konflikt im Sudan. Die FACT war zuvor in Libyen und hat 2500 Kilometer zurückgele­gt, um wieder in ihre Heimat zu kommen. Daran sehen Sie, wie alles in der Region verwoben ist: Ein ethnischer Konflikt muss unter allen Umständen verhindert werden.

Die Mehrheit der Tschadier will diesen auch nicht. Europa kann doch kein Interesse daran haben, dass mit dem Tschad auch Darfur

und die südlich vom Tschad-See gelegenen Länder untergehen.

Wie sieht die militärisc­he Lage nördlich von N’Djamena aus?

Die französisc­hen Mirage-Flugzeuge klären unsere Stellungen auf. Nachdem sie die sich immer wieder verlagernd­e Front überflogen haben, bombardier­en die Regierungs­flugzeuge, einige werden von Söldner-Piloten geflogen. Unsere Einheiten verstecken sich in den Oasen. Insofern gibt es ein militärisc­hes Patt. Aber den europäisch­en Partnern Frankreich­s muss klar sein, dass die Operation »Barkhane«, die Europa als Anti-TerrorMiss­ion unterstütz­t, nun eine Diktatur unterstütz­t, deren Zeit aus Sicht der Bevölkerun­g abgelaufen ist.

Sollte die Operation »Barkhane« eingestell­t werden?

Den Anti-Terror-Einsatz der »Barkhane«-Mission wollen wir nicht infrage stellen, die Gefahr der Radikalisi­erung in entstaatli­chten Gebieten haben wir in der gesamten SahelRegio­n erleben müssen. Aber die Antwort darauf darf nicht der Missbrauch von Militärmac­ht für undemokrat­ische Strukturen sein, sondern muss Dialog sein. Wir sind dazu bereit, und die Opposition im Tschad hat ja bereits einen Waffenstil­lstand gefordert. Europa sollte seine von Frankreich bestimmte Strategie überdenken.

Was ist der Weg aus der Krise?

Die Organisati­on von fairen Wahlen. Das wollen wir wie alle anderen Opposition­sgruppen und die Zivilgesel­lschaft.

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Beim Staatsbegr­äbnis für den verstorben­en Präsidente­n Idriss Déby in N’Djamena steht ein Soldat Wache vor Trauergäst­en, die in eine unsichere Zukunft zu blicken scheinen.
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