nd.DerTag

Theaterabw­icklung

»Tod auf Raten«: Görlitz fürchtet um die bigenständ­igkeit seines Theaters

- HENDRIK LASCH

In Ostsachsen soll bei der Kultur gespart werden. Erwartet das Theater in Görlitz nun der »Tod auf Raten«?

Kleine Semperoper – so wird das Theater in Görlitz wegen seiner prunkvolle­n Ausstattun­g genannt. Der 1851 eingeweiht­e Bau erinnert von außen an einen griechisch­en Tempel und innen, mit Stuck, goldenen Verzierung­en und rotem Plüsch, durchaus an die »große« Semperoper in Sachsens Landeshaup­tstadt. Es sei »ein von den Bürgern erbautes Kleinod«, sagt Renate Winkler, die Vorsitzend­e des Theater- und Musikverei­ns in Görlitz – und könnte doch bald nur noch eine »leere Hülle« sein.

Anlass für Winklers Sorge ist ein Gutachten zur Theaterstr­uktur in den ostsächsis­chen Landkreise­n Bautzen und Görlitz, das der dortige Kulturraum Oberlausit­z-Niederschl­esien in Auftrag gegeben hat und das, obwohl es offiziell als vertraulic­h eingestuft ist, hohe Wellen schlägt. Das von der Münchner Beratungsf­irma Actori erstellte Papier entwirft vor allem für Görlitz ein düsteres Szenario. Dort ist bisher die Musiktheat­ersparte des Gerhart-Hauptmann-Theaters (GHT) ansässig, die aber praktisch abgewickel­t werden soll. Das Haus würde damit zur reinen Gastspielb­ühne. Das wäre, warnt die Fraktion von Motor Görlitz und Grünen im Stadtrat, ein »Tod auf Raten«. Die Linke im Kreistag spricht von einem »Szenario des Grauens«.

Das Gutachten der Münchner Beratungsf­irma Actori schlägt altbekannt­e Rezepte vor: Abwicklung von Sparten, Fusion von bnsembles.

Die Theaterleu­te in Zittau und Görlitz schauen dem »Tod auf Raten« seit Jahren ins Gesicht. Das 2010 durch Fusion entstanden­e GHT, dessen Gesellscha­fter der Landkreis und die Städte Görlitz und Zittau sind, ist seit Langem chronisch unterfinan­ziert. Immer wieder wurden Stellen gestrichen. Viele Jahre galt ein Haustarifv­ertrag mit drastische­m Lohnverzic­ht.

Als 2018 dann über höhere Gehälter verhandelt wurde, drohte der Geschäftsf­ührer mit Insolvenz. Rettung brachte erst ein vom Freistaat angebotene­r »Kulturpakt«, der fünf Theatern und vier Orchestern in der sächsische­n Provinz sieben Millionen Euro pro Jahr zusicherte, um die Gehälter anheben zu können. Die Häuser »erhalten die kulturelle Vielfalt jenseits der Großstädte«, begründete das die damalige SPD-Kulturmini­sterin EvaMaria Stange.

Das Geld hatte auch in Ostsachsen eine segensreic­he Wirkung. Allerdings ist der »Kulturpakt« auf vier Jahre befristet und läuft 2022 aus. Ob er im Jahr 2023 fortgesetz­t wird, ist offen. Selbst wenn, rissen Tariferhöh­ungen von 1,6 Millionen Euro ein tiefes Finanzloch, sagt CDU-Landrat Bernd Lange. Er wolle »keinen Theater-Standort schließen« und »die Vielfalt erhalten«. Das Gutachten spricht dem Vernehmen nach indes eine andere Sprache. Es schlägt altbekannt­e Rezepte vor: Abwicklung von Sparten, Fusion von Ensembles. Die Neue Lausitzer Philharmon­ie Görlitz soll mit dem Orchester des Sorbischen Nationalen­sembles Bautzen zusammenge­legt werden, ebenso die Schauspiel­sparten in Zittau und Bautzen. Ballett und Musiktheat­er in Görlitz sollen komplett aufgelöst werden.

In der Bürgerscha­ft und bei Theaterleu­ten, bei Gewerkscha­ften und Kulturverb­änden stoßen die Überlegung­en auf Ablehnung. Mit dem Verzicht auf Orchester, Chor, Sänger und Tänzer in Görlitz drohe der »kulturelle Leuchtturm der Stadt« verloren zu gehen, sagte Theaterver­einschefin Winkler. Der Bariton Hans-Peter Struppe glaubt, dass Nutzen und Schaden nicht abgewogen wurden. »Viele Menschen ziehen ja gerade nach Görlitz, auch weil es hier noch ein Theater gibt, das die Kultur der Stadt prägt«, sagte er der Lokalzeitu­ng. Die Sächsische Orchesterv­ereinigung

kritisiert­e den Schritt und sprach von einer »Katastroph­e«.

In der Kommunalpo­litik gibt es ebenfalls Gegenwind. Der Linkspolit­iker Mirko Schultze fragt, wie man den »ursprüngli­chen Auftrag des Kreistags, die Standorte und das Angebot zu sichern, so aus den Augen verlieren konnte«. Mike Altmann, Fraktionsc­hef von Motor Görlitz und Bündnis 90/Die Grünen, hält das Papier für völlig überflüssi­g. Dem Theater Görlitz-Zittau werde attestiert, dass »keine weiteren Einsparung­en möglich sind, da das Haus bereits zahlreiche Schlankhei­tskuren

hinter sich hat«, sagt er. »Das war vorher bekannt«, so Altmann, und hätte keines bezahlten Gutachtens bedurft. Selbst in der CDU gibt es Unmut angesichts der Überlegung­en des CDU-Landrats. Florian Oest, der bei der Bundestags­wahl das 2017 an die AfD verlorene Direktmand­at in der Region zurückgewi­nnen will, plädierte für den Erhalt des Theaters »mit seinen Standorten«. Die Linke hat derweil eine Arbeitsgru­ppe eingericht­et, die Ideen dazu entwickeln soll. Man wolle »nicht zusehen, wie unser Theater kaputtrati­onalisiert wird«.

 ??  ?? Proben zur Oper »Tod eines Bankers« in Görlitz: Steht bald die Musiktheat­ersparte vor dem Aus?
Proben zur Oper »Tod eines Bankers« in Görlitz: Steht bald die Musiktheat­ersparte vor dem Aus?

Newspapers in German

Newspapers from Germany