Besuch bei den Eroberern
Mexikanische Zapatisten segeln auf Entdeckungstour nach Europa
Berlin. In Europa ist noch oft die Rede von der »Entdeckung« Amerikas, in den Amerikas wird längst ohne Beschönigung von Eroberung gesprochen: An Verbrechen an den dort lebenden Indigenen fehlte es bei den Feldzügen bekanntlich nicht – die Eroberung erfolgte mit Schwert und Kreuz.
2021 jährt sich die Eroberung Mexikos durch die Spanier zum 500. Mal. Ein Anlass für sieben indigene Zapatist*innen aus Mexiko, in einem Segelboot eine symbolische umgekehrte »Invasion« zu starten. Zielhafen ist Vigo in der autonomen Region Galicien in Nordspanien. Den 13. August, den 500. Jahrestag des Falls der Aztekenhauptstadt Tenochtitlán,
wollen die Zapatisten in Spaniens Hauptstadt Madrid verbringen.
Die Vorhut nennt sich »Geschwader 421«, da sie aus vier Frauen, zwei Männern und einer »unoa otroa« (dt. in etwa: eine Person anderen Geschlechts) besteht. In Spanien wird die Gruppe »421« die weitere Delegationsreise mit Aktivist*innen aus vielen Ländern Europas vorbereiten.
Die Reise führt auch nach Deutschland. Dort freuen sich an erster Stelle die Vertreter*innen des bundesweiten Ya-Basta-Netzes über den Austausch, den sie selbst koordinierend organisieren. »Jetzt wird es endlich real: Gemeinsam mit uns, dem Europa von links und unten werden die Zapatistas ein neues Kapitel in der Geschichte der DeKolonisierung beginnen«, sagte Manu Fürt gegenüber »nd«. Fürt blickt mit Vorfreude auf das Zusammentreffen: »Indigene Kleinbäuer*innen aus Mexiko kommen zu uns, um die westliche Erzählung ihrer angeblichen Eroberung richtigzustellen.«
An Bedarf fehlt es nicht. Während Mexikos Regierung am Montag die Maya-Ureinwohner offiziell um Entschuldigung für die an ihnen verübten Verbrechen seit der Eroberung durch die Spanier gebeten hat, kommt aus Madrid weiter nichts als Ausflüchte.
500 Jahre nach der spanischen Eroberung des Aztekenreiches in Mexiko haben sieben indigene Zapatisten in einem Segelboot eine symbolische umgekehrte »Invasion« gestartet. Im Fokus steht der solidarische Austausch.
»Es geht nicht um Vorwürfe. Es geht um eine ›Invasion‹, um Leben zu säen, um zu verstehen, dass der Kapitalismus in uns eingedrungen ist und dass wir alle aufwachen müssen. Hoffentlich wachen sogar auch die Reichen auf, aber wenn sie es nicht kapieren, ist es ihre Sache.« So brachte Subcomandante Moisés mit ironischen Untertönen die Zielsetzung der ersten nach Europa reisenden Delegation der zapatistischen Befreiungsbewegung EZLN auf den Punkt. Moisés ist Sprecher und politisch-militärisch Verantwortlicher der Bewegung und begleitete die Delegation bis auf das Schiff – reiste selbst aber nicht mit.
Am späten Nachmittag des 2. Mai ist unter Begleitung sozialer Aktivist*innen und unter großer medialer Begleitung eine »Vorhut« der indigen geprägten, linksgerichteten EZLN von der Isla de Mujeres in der mexikanischen Karibik aus Richtung Europa in See gestochen.
Ihre erste Delegation bezeichnen die Zapatistas als »Geschwader 421«, da sie aus vier Frauen, zwei Männern und einer »unoa otroa« (dt. in etwa: eine Person anderen Geschlechts) besteht. Ab Juli folgen weitere Delegierte, so dass die Gesamtgruppe 160 Personen umfassen wird, die das Mandat der rund 1000 zapatistischen Gemeinden aus Chiapas, Mexiko, innehaben. 1994 hatte sich die sozialrevolutionäre Bewegung unter dem Motto »Land und Freiheit!« gegen Ausbeutung, Naturzerstörung, Patriarchat und Rassismus erhoben.
Ziel der Reise sind 30 europäische Länder, um dort Treffen mit außerparlamentarischen linken Gruppen und Organisationen durchzuführen. Das Transportmittel ist ein Segelschiff, das bis dato unter dem Namen »Stahlratte« firmierte und 1903 in den Niederlanden gebaut wurde. Die Zapatistas haben es in »La Montaña« (dt.: Der Berg) umbenannt,
um poetisch, humorvoll und politisch konsequent zu symbolisieren, dass die dominierenden Zustände auf der Welt auf den Kopf gestellt werden sollten. Zielhafen ist Vigo in der autonomen Gemeinschaft Galicien in Nordspanien. Dort wird die Gruppe »421« der EZLN die weitere Delegationsreise mit Aktivist*innen aus vielen Ländern Europas vorbereiten. Subcomandante Moisés beschrieb dieses Vorhaben so: »Unsere Delegierten tragen ein großes Herz mit sich. Nicht nur, um diejenigen zu umarmen, die auf dem europäischen Kontinent rebellieren und Widerstand leisten, sondern auch, um von ihren Geschichten, Geografien, Kalendern sowie ihren Arten und Weisen zu lernen.«
Thematisch wird es neben dem antipatriarchal-feministischen Schwerpunkt der Reise auch um antifaschistische, antikapitalistische, antimilitaristische, antirassistische, internationalistische und umweltrelevante Themen sowie um das Kennenlernen ökologisch-solidarischer Projekte gehen. So sind beispielsweise Besuche von Projekten der solidarischen Landwirtschaft geplant.
Zudem soll eine Kundgebung in der Nähe des Konzernsitzes von Bayer-Monsanto stattfinden, um die menschen- und umweltverachtende Praxis des Unternehmens anzuprangern. Rigo Albores von der unabhängigen Organisation Desmi aus Chiapas findet klare Worte zu dem Thema: »Raus mit Bayer und seinen Giften aus den bäuerlichen Gemeinden Mexikos und der Welt! Es lebe die traditionelle bäuerliche Landwirtschaft und der Besitz von heimischem Saatgut in bäuerlicher Hand! Wir umarmen solidarisch alle, die überall auf der Welt für die Verteidigung von Mutter Erde, unserer Territorien und Körper kämpfen!«
Die Vorbereitung der Reise in Europa und Deutschland skizziert Ruth Schmidt vom bundesweiten Ya-Basta-Netz so: »Es gibt zahlreiche Mobilisierungsveranstaltungen. Die EZLN hat schon jetzt dafür gesorgt, dass sich viele emanzipatorische Kämpfe überhaupt kennengelernt und stark miteinander vernetzt haben. Das ist eine deutliche Stärkung der außerparlamentarischen Linken, die wir wirklich schon lange nicht mehr erlebt haben.«
Es gibt allerdings auch Sorgen, dass europäische und nationale Behörden im Kontext der Reise Probleme bereiten könnten. Daher bereiten sich die Aktivist*innen intensiv auf mögliche Szenarien von Einreiseverboten, Repression oder Übergriffen auf die Delegation vor.
»Es geht um eine ›Invasion‹, um Leben zu säen, um zu verstehen, dass der Kapitalismus in uns eingedrungen ist und dass wir alle aufwachen müssen.« Subcomandante Moisés EZLN
Aktuelle Infos: www.ya-basta-netz.org