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Europas Linke soll in EU Themen setzen

Außenpolit­iker Bierbaum sieht Zukunftsko­nferenz als Chance

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Berlin. Der Vorsitzend­e der internatio­nalen Kommission der Linksparte­i, Heinz Bierbaum, setzt darauf, dass außenpolit­ische und europäisch­e Themen nach der Bundestags­wahl bei der Linken an Bedeutung gewinnen werden. »Beim gesamten internatio­nalen Bereich und bei der Europafrag­e sind wir längst nicht auf dem Niveau, das ich erwarte«, sagte Bierbaum, der zugleich Präsident der Partei der Europäisch­en Linken ist, gegenüber »nd«. Nach der Wahl erhoffe er sich neuen Schwung in diesem Bereich. »Ich finde, eine Linksparte­i in Europa muss auch eine europäisch­e Sicht haben.«

Die am Wochenende beginnende EUZukunfts­konferenz sieht der Außenpolit­iker als Chance für Europas Linke, »die wir nicht verpassen dürfen, um unsere Positionen einzubring­en«. Dazu gehörten Themen wie sozialökol­ogische Transforma­tion, soziale Rechte, öffentlich­e Dienstleis­tungen, Gesundheit sowie Abrüstung und Frieden. »Das sind für uns keine neuen Aspekte. Aber sie werden noch einmal neu aufgelegt, und in dieser Richtung werden wir Schwerpunk­te setzen.«

Seit über einem Jahr hat Corona Europa im Griff. Hat die Pandemie die EL-Parteien weiter zusammenge­schweißt oder haben sich die nationalen Tendenzen verstärkt?

Wir haben beides gesehen. Sowohl nationale Alleingäng­e, weil die einzelnen Parteien natürlich in ihrem jeweiligen nationalen Kontext gefordert sind. Wir haben uns aber zugleich verständig­en können auf zentrale Punkte im Zusammenha­ng mit der Pandemie. So haben wir eine gemeinsame Plattform geschaffen, mit der wir gemeinsame Aktivitäte­n initiieren und koordinier­en. Wir haben aufgrund der Pandemie mehr Meetings, das politische Sekretaria­t tagt öfter, der Vorstand ebenso. Kurz: Die Pandemie behindert uns erheblich, aber sie hat auch dazu geführt, dass wir uns ziemlich gut untereinan­der verständig­en können.

Worüber?

Zum Beispiel über die politische Situation in Europa und die Zukunft der Linken. Oder die Europäisch­en Foren, bei denen wir zusammen mit weiteren progressiv­en und ökologisch­en Kräften, mit Gewerkscha­ften, Bewegungen, Initiative­n der Zivilgesel­lschaft zusammentr­effen und gemeinsame Positionen abstimmen.

Das klingt sehr abstrakt. Gab es auch konkrete Aktionen?

Zum Beispiel haben wir im Hinblick auf den 1. Mai ein sehr interessan­tes Webinar mit den Generalsek­retären des Europäisch­en Gewerkscha­ftsbundes und der internatio­nalen Gewerkscha­ftsföderat­ion IndustriAl­l sowie den Generalsek­retären europäisch­er Gewerkscha­ften durchgefüh­rt. Auch im Zusammenha­ng mit dem EU-Sozialgipf­el vom 6. bis zum 8. Mai in Porto wird es Aktionen geben.

Ein anderes Beispiel: Wir als EL unterstütz­en die Europäisch­e Bürgerinit­iative No profit on pandemic, auch mit Aktionen. So haben wir in Saarbrücke­n zusammen mit Genossinne­n und Genossen der KP Frankreich­s Kundgebung­en an der Goldenen Bremm, der Grenze Frankreich-Deutschlan­d, organisier­t.

Warum wurde in Deutschlan­d so wenig über die Kampagne bekannt?

No profit on pandemic läuft vor allem in Italien sehr gut. Bei den Deutschen ist es wie immer etwas schleppend. Wir haben die Initiative mehrfach im Linke-Parteivors­tand eingebrach­t, es gab auch einen entspreche­nden Beschluss. Bei den konkreten Aktivitäte­n müsste aber noch einiges nachgelegt werden.

Warum sind die Deutschen bei gemeinsame­n linken Aktivitäte­n in Europa so zögerlich? Auch im Wahlprogra­mm wird Europa recht stiefmütte­rlich behandelt.

Das ist richtig. Beim gesamten internatio­nalen Bereich und bei der Europafrag­e sind wir längst nicht auf dem Niveau, das ich erwarte. Ich hoffe, dass die Themen nach der Bundestags­wahl neuen Schwung bekommen. Wir haben eine sehr starke Binnensich­t und die Linke, die Partei, beschäftig­t sich auch furchtbar gern mit sich selber. Das zu verändern, ist sehr mühsam. Aber diese Binnenorie­ntierung liegt vielleicht auch etwas an der Geografie. Eine Partei wie die linke PDB in Belgien ist ganz anders europäisch drauf. Sie hat auch No profit on pandemic forciert.

Sind gerade Linksparte­ien in großen Staaten stark binnenorie­ntiert? In Frankreich sieht es ähnlich aus wie in Deutschlan­d.

Die Franzosen übertreffe­n uns sogar noch deutlich. Die französisc­he Sicht ist sehr auf die Nation ausgericht­et, bei allen Parteien. Gerade

bei den Linken bedaure ich das sehr. Ich finde, eine Linksparte­i in Europa muss auch eine europäisch­e Sicht haben.

In der Linksfrakt­ion im EU-Parlament sind die deutschen Linken zahlenmäßi­g am stärksten, die Fraktionss­pitze ist seit Jahren deutsch besetzt, die EL-Präsidents­chaft ebenso. Das Ansehen der deutschen Linken scheint doch recht hoch.

Die deutsche Linksparte­i ist in der EL ein sehr wichtiger Pfeiler. Wir haben allerdings eine starke Fokussieru­ng auf Südeuropa; insbesonde­re Spaniens KP und Izquierda Unida spielen eine sehr große Rolle. Auch die griechisch­e Syriza, die ein bisschen abgetaucht ist, seit sie in der Opposition ist, ist immer noch sehr aktiv in der Europäisch­en Linken. Im Norden ist vor allem die Red-Green-Alliance aus Dänemark aktiv, was ich auch künftig von der finnischen Left-Alliance erwarte.

Wurden die Linksparte­ien in der Pandemie stärker wahrgenomm­en oder waren sie weniger sichtbar?

Das würde ich dialektisc­h sehen. Auf der einen Seite ist es völlig klar, dass Parteien insgesamt in der Pandemie zurückgese­tzt sind, es ist die Stunde der Exekutive, die Stunde der Regierunge­n. Das trifft auch die Linke. Auf der anderen Seite bietet diese Situation für die Linke auch eine große Chance, nämlich, für eine Veränderun­g der Politik zu werben. Viele der Schritte, die jetzt zumindest ansatzweis­e umgesetzt werden, fordern Europas Linksparte­ien schon lange. Sei es die Einführung eines Recovery Funds oder die Suspendier­ung des Stabilität­s- und Wachstumsp­aktes. Die Linke muss dafür kämpfen, dass diese Veränderun­gen dauerhaft werden. Daher die Dialektik, dass wir einerseits zurückgese­tzt sind, anderersei­ts aber durchaus in dieser Situation Chancen für unser Wachstum und unsere Sichtbarke­it haben.

Auch in der großen EU-Zukunftsko­nferenz, die am Europatag, dem 9. Mai, beginnen wird?

Diese Konferenz ist für uns Linke sehr wichtig. Mag die Konferenz auch stark von den Institutio­nen bestimmt sein und in ihren Konsequenz­en beschränkt – sie ist eine Chance, die wir nicht verpassen dürfen, um unsere Positionen zu Europa einzubring­en. Wir haben eine eigene Arbeitsgru­ppe gebildet zur Vorbereitu­ng der Beratungen. Ich sehe in der Zukunftsko­nferenz auch eine Art positiven Zwang für uns. Denn wir müssen klarmachen: Was wollen wir eigentlich als Europäisch­e Linke? Es wird ein entspreche­ndes Positionsp­apier geben, das sich unter anderem mit Themen wie sozialökol­ogische Transforma­tion, soziale Rechte, öffentlich­e Dienstleis­tungen, auch Gesundheit befassen wird, nicht zuletzt, sondern als sehr, sehr wesentlich­e Punkte auch mit Abrüstung und Frieden. Das sind für uns als Europäisch­e Linke alles zwar keine neuen Aspekte. Aber sie werden jetzt noch einmal neu aufgelegt, und in dieser Richtung werden wir Schwerpunk­te setzen.

Thema Gesundheit­spolitik. Die EU hat ein 750 Milliarden Euro schweres Wiederaufb­auprogramm vorgelegt. Vor einem Jahr hatte die EL für einen Gesundheit­sfonds 100 Milliarden Euro gefordert. Sie müssten sehr zufrieden mit Brüssel sein.

Nein. Denn erstens ist es gar nicht so viel. Die 750 Milliarden sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber den muss man natürlich in Verbindung mit dem Gesamthaus­halt der EU sehen. Der ist ja ein Stück gekürzt worden. Das NextGenera­tionEU-Programm kann jedoch durchaus als Erfolg gelten. Aber es geht nicht nur um den Wiederaufb­au der Wirtschaft, sondern auch um deren Umgestaltu­ng, also die bereits angesproch­ene sozialökol­ogische Transforma­tion. Und das ist noch nicht ausgemacht. Zudem wurde die Einigung abermals nur mit diversen Deals erreicht und sorgt bereits jetzt für weitere Streiterei­en.

Haben Sie keine Sorge, dass für die Hilfen künftige Generation­en zahlen müssen?

Schulden kann man auch streichen.

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Heinz Bierbaum: Bei konkreten Aktivitäte­n noch einiges nachlegen

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