nd.DerTag

Menschen im Tschad protestier­en gegen »französisc­hen Staatsstre­ich«

Fortgesetz­te Kämpfe zwischen der Armee und den FACT-Rebellen – trotz Bildung einer von Generälen geführten Übergangsr­egierung unter Führung von Mahamat Déby

- MIRCO KEILBERTH, TUNIS

Die Menschen im Tschad wollen die Machtüberg­abe an die Militärreg­ierung nicht hinnehmen und demonstrie­ren dagegen. Indessen gingen die Kämpfe zwischen Rebellen und Armee weiter.

Die Kämpfe zwischen den Rebellen der Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT) und der tschadisch­en Armee gingen nördlich der Stadt Mao auch am Dienstag weiter. Am Wochenende hatte der Militärrat eine Übergangsr­egierung ernannt – zwei Wochen nach dem Tod von Langzeithe­rrscher Idriss Déby Itno. Die Macht im Land hat der 37-jährige Mahamat Déby, uneheliche­r Sohn des ExPräsiden­ten. Er steht auch der Gruppe von Generälen vor, die das aufgelöste Parlament für 18 Monate vertreten will.

Idriss Déby war bei Kämpfen mit Rebellen schwer verletzt worden und starb später im Krankenhau­s. Tags zuvor war er noch zum Sieger der Präsidents­chaftswahl­en erklärt worden. Die Opposition lehnte eine sechste

Amtszeit Débys ebenso ab wie den 17-köpfigen Militärrat, der nebenbei auch die Verfassung außer Kraft gesetzt hat. Doch dass die von den Generälen befohlene Rückkehr zur Normalität ein Chaos wie in Libyen nach dem Tod von Muammar Al-Gaddafi verhindern kann, ist unwahrsche­inlich.

Tausende Demonstran­ten hatten in der letzten Woche auf den Straßen im Süden des 16 Millionen-Einwohner-Landes gegen den »französisc­hen Staatsstre­ich« protestier­t. Auf Plakaten und in Sprechchör­en werfen sie der ehemaligen Kolonialma­cht Frankreich vor, die Machtergre­ifung der Armee aus Eigennutz zu unterstütz­en. Nahe der Hauptstadt N’Djamena sind französisc­he Kampfjets und Spezialkom­mandos der sogenannte­n Operation »Barkahane« stationier­t, die im Sahel zusammen mit Soldaten der Region gegen Dschihadis­ten vorgehen. Die gut gerüstete tschadisch­e Armee gilt als schlagkräf­tigste Truppe der »G5«-Sahel-Allianz (Burkina Faso, Mali, Mauretanie­n, Niger und Tschad), die von Paris geschmiede­t worden war.

In Mondo und anderen Städten organisier­ten Menschenre­chtsaktivi­sten der christlich­en Minderheit und Vertreter einiger der insgesamt 200 ethnischen Gruppen friedliche Kundgebung­en gegen die tschadisch­en und französisc­hen Generäle. Videos in sozialen Medien zeigen antifranzö­sische Plakate und fordern die Übergabe der Macht an das Parlament, so wie es die Verfassung im Falles des Todes des Präsidente­n vorschreib­t.

In andere Szenen sieht man Soldaten, die Menschen auseinande­rtreiben und gezielt auf Demonstran­ten schießen. Ärzte berichten dem »nd« von mindestens einem Dutzend Toten und einer unbekannte­n Zahl von Verletzten. Trotz Ausgangssp­erre zogen auch am Montag Tausende Jugendlich­e mit Sprechchör­en gegen den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron durch Mondo.

Doch weitere Auseinande­rsetzungen will Mahamat Déby offenbar vermeiden und hob am Dienstagmo­rgen die Ausgangssp­erre auf. Die Generäle wollen die Lage im Süden beruhigen, um die von Norden vorrückend­en

Rebellen stoppen zu können, glaubt der im Genfer Exil lebende politische Beobachter Ahmed Daca. »Die Übergangsr­egierung besteht aus 40 Ministern, um möglichst viele Interessen­gruppen im Land für sich zu gewinnen. Mit der Beteiligun­g von Vertretern der wichtigste­n ethnischen und regionalen Gruppen hoffen die Generäle, eine Explosion des Pulverfass­es Sahel zu verhindern«, sagt der 46-Jährige, der wie viele Rebellen den Tobu aus Nord-Tschad angehört.

Die Tobu sind zusammen mit den Touareg die Ureinwohne­r der Sahara und leben wie viele ethnische Gruppen auf beiden Seiten der von den ehemaligen französisc­hen Kolonialhe­rren gezogenen Grenzen. Die auf mehr als 3000 Mann geschätzte­n FACTKämpfe­r kommen aus Libyen, dem Tschad und dem Niger. Nach Jahren im Exil nahe der libyschen Stadt Dschufra waren sie gut ausgerüste­t am Wahltag über die tschadisch­e Grenze in Richtung N’Djamena marschiert und konnten erst kurz vor dem Ort Mao aufgehalte­n werden.

Die Offiziere der gut ausgerüste­ten tschadisch­e Armee wurden fast alle aus Débys Stamm der Zaghawa rekrutiert und auf den Präsidente­n eingeschwo­ren. Déby eilte persönlich an die Front, um den Widerstand zu organisier­en und kam dabei um.

Frankreich­s Außenminis­ter Jean-Yve Le Drian warnte, dass die aus Libyen kommenden Tobu im Tschad die Macht übernehmen wollten. FACT-Mitgründer Sharif Daca Mahamat verurteilt­e diese Aussagen scharf: »Den Widerstand gegen das Déby-Regime auf einen ethnischen Konflikt zu reduzieren, ist gefährlich. In Ruanda hat so eine Politik zu einem Völkermord geführt.«

Die Todesumstä­nde von Ex-Präsident Idriss Débys sind weiterhin ungeklärt. Opositione­lle Kreise in N’Djamena behaupten, dass keiner der Generäle und Leibwächte­r verletzt wurde, als Déby von einer Kugel getroffen wurde. FACT-Mitgründer Sharif Daca Mahamat will Verschwöru­ngstheorie­n über ein Attentat auf den Präsidente­n aus den eigenen Reihen aber nicht gelten lassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany