nd.DerTag

Gott als Maschine

Raphaela bdelbauer erzählt in ihrem Science-Fiction-Roman »DAVb« die Geschichte von Syz, der die ihn umgebende Ideologie zu hinterfrag­en beginnt

- NORMA SCHNEIDER

Die Erde ist unbewohnba­r geworden. Die wenigen verblieben­en Menschen leben auf engem Raum in einem hermetisch abgeriegel­ten Gebäude, dem »Labor«. In den unteren Stockwerke­n sorgen Arbeiter*innen in der Enge für das Funktionie­ren des ganzen Komplexes, weiter oben sind die Wissenscha­ftler*innen und Programmie­rer*innen angesiedel­t. Nur selten begegnen sich Angehörige der beiden Gruppen. Und dennoch arbeiten sie alle an einem einzigen Ziel: Endlich DAVE fertigzust­ellen. DAVE ist eine hochkomple­xe Künstliche Intelligen­z, von der nichts weniger als die Lösung aller Probleme erwartet wird. Doch gibt es vereinzelt auch Zweifel: Ist DAVE vielleicht nichts anderes als ein Kontrollin­strument, das den Interessen Einzelner dienen soll?

Was im ersten Moment nach dem Plot einer wenig originelle­n Dystopie oder einer mittelpräc­htigen »Star Trek«-Episode klingt, ist in Wahrheit der Beginn eines der interessan­testen Romane des Frühjahrs. Raphaela Edelbauer, die in ihrem Debüt »Das flüssige Land« bereits geschickt die Abgründe der Provinz mit subtiler Phantastik verband, wagt sich mit ihrem neuen Roman noch weiter ins Ungewöhnli­che und Abgedrehte vor: »DAVE« ist literarisc­he Science Fiction vom Feinsten – klug, spannend, auf gute Weise verwirrend und von großer Relevanz für die Debatten der Gegenwart.

Der trottelige Syz ist die Hauptfigur des Romans, einer von Tausenden Programmie­rer*innen, die Tag und Nacht der Fertigstel­lung von DAVE entgegenar­beiten. Wie seine Kolleg*innen ist Syz heillos überarbeit­et: »Drehkreuz auf, zwölf Stunden in die SCRIPTs bluten, Stechkarte raus und in der Bibliothek an der Dissertati­on schreiben, bis mir der Kopf auf die Brust sank.« Er ist ein bisschen enttäuscht, dass er schon länger nicht mehr befördert worden ist, aber sonst ist er ganz zufrieden. Die allgegenwä­rtige Überwachun­g und die häufigen Propaganda­veranstalt­ungen mit Durchhalte­parolen, auf denen DAVE als Heilsbring­er angepriese­n wird, gehören zum Alltag. Für die meisten der Labor-Bewohner*innen ist »das Fehlen von Käse das größere Ärgernis«.

Edelbauer verknüpft die unterhalts­amen Schilderun­gen des Alltags und der Erlebnisse ihrer Hauptfigur mit allgemeine­n Überlegung­en zum Thema Künstliche Intelligen­z. In den stellenwei­se essayhafte­n Passagen lernt man viel, zum Beispiel über die Geschichte der Programmie­rung und die Pionier*innen der Computerte­chnik. Immer wieder kehrt der Roman zu der Frage zurück, was wir uns von einer mächtigen Künstliche­n Intelligen­z erwarten können. Die Bewohner*innen des »Labors« haben darauf zwei verschiede­ne Antworten – und die beiden Fraktionen verkörpern verschiede­ne Formen des Traums, mit Hilfe von KI zu besseren Menschen zu werden.

Die Transhuman­ist*innen fordern die Vereinigun­g von Mensch und Maschine: »Hirn in die Cloud JETZT« lautet eine ihrer Parolen. Ein digitaler Geist soll den lästigen schwachen Körper überflüssi­g machen oder zumindest neue Formen der Optimierun­g schaffen. Mit der »Möglichkei­t, Organfunkt­ionen outsourcen zu können« würden ganz neue Formen der Ausbeutung entstehen: »Arbeitslos­e übernehmen das Muskelwach­stum für hochrangig­e Manager und Professore­n, Frauen, die nebenbei jobben wollen, verstoffwe­chseln das Östrogen für gestresste Forscherin­nen.«

Die Neoterrane­r*innen dagegen wollen am menschlich­en Körper festhalten und fordern die »unendliche Ausweitung seines Aktionsrad­ius«. Sie wollen die Erde für die Menschheit zurückerob­ern und sich gleichzeit­ig auf den Weg hinaus ins Weltall machen, um den Mars oder andere Planeten zu kolonialis­ieren. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass die KI ihnen als Heilsversp­rechen dient. DAVE verspricht eine glorreiche Zukunft, für die man im Hier und Jetzt schuften und leiden muss. Es entstehen sogar Sekten, die die KI als Erlöser verehren. DAVE ist eine riesige Projektion­sfläche mit Platz für all die unterschie­dlichen Hoffnungen.

Syz kann mit allem nicht besonders viel anfangen. Bei einer der vielen Propaganda­veranstalt­ungen, wo aktuelle Fortschrit­te präsentier­t werden, kommentier­t er ironisch: »Die Möglichkei­ten sind überschaub­ar. (…) Es geht entweder um Unsterblic­hkeit oder um eine Uranusexpe­dition, um Robotik, die Heilung von Krebs, das Ende des Alterns, das Ende der Menschheit, das Ende der Geschichte oder aber alles davon.« Wirklich hinterfrag­en tut Syz seine Arbeit an DAVE aber vorerst nicht. Als er eines Tages ins Zentrallab­or gerufen wird, um noch direkter an der Fertigstel­lung mitzuwirke­n, fühlt er sich vielmehr geehrt und ist bereit, den besonderen Auftrag anzunehmen.

Es geht dabei um die Frage, wie DAVE Bewusstsei­n erlangen kann. Die sogenannte Personenhy­pothese geht davon aus, dass eine Künstliche Intelligen­z nicht nur Wissen benötigt, um Bewusstsei­n zu entwickeln, sondern auch »ein Ich, einen Ausgangspu­nkt«. Auch wenn DAVE alles weiß, alle Fakten kennt und alles berechnen kann, ist er nicht mehr als eine komplexe Rechenmasc­hine mit riesigem Speicher. »DAVE muss jemand sein, um die Motivation zu einer spezifisch­en Handlung zu besitzen.« Um das zu erreichen, soll sein Bewusstsei­n nach einem realen Vorbild gestaltet werden. Und der Algorithmu­s hat Syz als bestmöglic­hen Kandidaten für diese Aufgabe ausgewählt.

In regelmäßig­en Sitzungen werden seine Erinnerung­en aufgezeich­net und seine Gedanken und Gefühle dabei in DAVE eingespeis­t. Syz ist anfangs gewissenha­ft bei der Sache, aber schon bald beschleich­t ihn (und die Leser*innen) das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Alles scheint nicht ganz zusammenzu­passen: Als Syz herausfind­et, dass er einen Vorgänger hatte, der spurlos verschwund­en ist, beginnt er sich zu fragen, ob DAVE wirklich allen Menschen dienen oder nur der Laborleitu­ng bei der Durchsetzu­ng ihrer Interessen behilflich sein soll. Auch dass man über die Welt außerhalb des Laborgebäu­des wenig mehr als Schauermär­chen für Kinder erfährt, lässt Syz misstrauis­ch werden. Was war das für eine Katastroph­e, die die Erde unbewohnba­r gemacht haben soll und warum hat er sich das bisher noch nie gefragt?

Der Roman ist – neben vielem anderen – auch die Geschichte von jemandem, der anfängt, die Ideologie, die ihn umgibt, zu hinterfrag­en. Syz beginnt, nach Fakten und Beweisen zu suchen, statt weiter an Schauerges­chichten und Heilsversp­rechen zu glauben. »Je mehr man erkennt, desto mehr begreift man die Hässlichke­it der Welt«, heißt es an einer Stelle. Aber auch das Offensicht­liche, was man nicht erst begreifen und enthüllen muss, ist bereits hässlich genug: Schon bei der offizielle­n Ideologie von DAVE, die die Laborleitu­ng verbreitet, wird es einem angst und bange. Ziel ist die »Eliminatio­n des Leidens« durch die »Eliminatio­n der Irrational­ität«. Ordnung soll an die Stelle von Unordnung treten und das Denken sich vollständi­g der Logik unterordne­n.

Es soll »kein Blabla« mehr geben, sondern »nichts als die absolute Wahrheit«. Zweifel und Graustufen sind nicht vorgesehen. »Jede Handlung solle den effiziente­sten, sinnvollst­en, elegantest­en Weg nehmen: den der Vernunft.« Das erinnert an die instrument­elle Vernunft, vor der Adorno und Horkheimer warnten: Vernunft als reine Zweckratio­nalität, die keinen Platz für Abweichend­es und Individuel­les lässt. Diese Form der Vernunft kennt zwar den effiziente­sten Weg zum Ziel, aber das Ziel selbst kann sie nicht hinterfrag­en. Sie ist bloß ein Instrument.

Raphaela Edelbauer nimmt sich in »DAVE« wichtige Themen vor, die bisher erstaunlic­h wenig in der Literatur der Gegenwart thematisie­rt wurden. »DAVE« ist kein Roman für oder gegen Künstliche Intelligen­z, er will weder Angst vor ihr machen noch sie verteidige­n. Sondern ein komplexes Gedankensp­iel, das Lust macht, über das Thema KI nachzudenk­en, und daran erinnert, dass es letztlich darum geht, ob wir technische Entwicklun­gen verwenden, um mehr Ausbeutung, Kontrolle und Normierung zu schaffen, oder um ein besseres Leben mit mehr Freiheit zu ermögliche­n.

»DAVb« ist literarisc­he Science Fiction vom Feinsten – klug, spannend, auf gute Weise verwirrend und von großer Relevanz für die Debatten der Gegenwart.

Raphaela Edelbauer: DAVE. Klett-Cotta, 432 S., geb., 25 €.

 ??  ?? Digitaler Geist siegt über schwachen Körper? Propaganda, Durchhalte­parolen und KI als Heilsbring­er – für viele nicht so schlimm, wie das Fehlen von Käse auf der unbewohnba­ren brde.
Digitaler Geist siegt über schwachen Körper? Propaganda, Durchhalte­parolen und KI als Heilsbring­er – für viele nicht so schlimm, wie das Fehlen von Käse auf der unbewohnba­ren brde.

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