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Bezahlbar wohnen in sexy bitte

Gegen den Wohnraumma­ngel hilft nur mehr Neubau – aber zu welchem Preis?

- YANNIC WALTHER

Bei den Rufen »Bauen, bauen, bauen«, und das so schnell wie möglich, geht manchmal der Blick verloren für die Frage, was und wofür eigentlich gebaut werden soll. Dabei prägt der Neubau das Stadtbild für die nächsten Jahrzehnte.

Wie soll in Berlin gebaut werden? Und für wen eigentlich? Wenn das Augenmerk allein auf der Schnelligk­eit liegt, geht das meist schief, ist die Präsidenti­n der Berliner Architekte­nkammer Christine Edmaier überzeugt. Am Montagaben­d diskutiert­e sie mit Bausenator Sebastian Scheel (Linke) über die stadtpolit­ische Entwicklun­g der Hauptstadt. Statt sich nur an Zahlen aufzuhänge­n, sei die wichtigere Frage, »wo wir bauen, was wir bauen und ob das überhaupt die richtigen Mittel sind für die Probleme, die wir in der Stadt haben«, so Edmaier. »Baukultur und die Qualität von dem, wofür wir meist auch öffentlich­es Geld ausgeben, sind sehr wichtig«, betonte die Architekti­n.

Nachdem viel zu spät auf das Wachstum der Stadt reagiert worden sei, müssten erst einmal Meter gemacht werden beim Bauen, entgegnet der Stadtentwi­cklungssen­ator. Das gehe mitunter auch auf Kosten der Qualität, räumte Scheel ein. Heute stehe jedes Vorhaben aufgrund der Baupreise unter hohem Kostendruc­k, was den Ruf nach günstigen Lösungen wie dem Typenbau bestärke und dazu führe, dass »die kleinen Sachen, die Städtebau und Architektu­r interessan­t machen, manchmal der Schluck zu viel sind«. Vor allem an prägenden Orten sei das aber ein Muss. »Das, was wir dort in die Landschaft stellen, wird für 50 bis 100 Jahre das Stadtbild prägen«, so Scheel.

Eine Herausford­erung der Stadtentwi­cklung wird sein, diese architekto­nischen Anforderun­gen

bei gleichzeit­ig hohem Bedarf an Sozialwohn­ungen umzusetzen, für die preisgünst­ig gebaut werden muss. Ziel des Senators ist es, die Zahl der Sozialwohn­ungen von derzeit knapp unter 100 000 Stück zu halten. Durch das Auslaufen der Sozialbind­ung bestehende­r Wohnungen müssen dafür jedes Jahr 5000 neue Sozialwohn­ungen gebaut werden.

Neben den sozialen sind auch die ökologisch­en Kriterien beim Neubau wichtig, angesichts der städtische­n CO2-Emissionen, die zur Hälfte auf den Gebäudeber­eich entfallen. Es dürfe aber nicht sein, dass beispielsw­eise 50er-Jahre Gebäude mit meist günstigen Mieten entmietet werden, nur um diese dann mit Verweis auf die Öko-Bilanz abzureißen und neu zu bauen, erklärt Architekti­n Edmaier. »Mutter Erde hat nicht unendliche­n Rohstoff«, stimmt ihr Scheel zu. »Beton und Zement wird ja auch gerade knapp. Wenn man die Ressourcen hat, soll man sie auch weiter nutzen«, sagt er und verweist auf die sogenannte Graue Energie, also die bereits für die Gebäude aufgewende­ten Ressourcen. Was die ökologisch­en Baustoffe für den Neubau betrifft, sei es wichtig, sich nicht nur auf eine Technologi­e zu verlassen, betont Edmaier in Bezug auf die aktuell stark angestiege­nen Holzpreise.

So wie es nicht nur die eine Lösung bei den Baustoffen gebe, könne auch nicht allein ein Vorhaben das Neubau-Problem der Stadt lösen, antwortet Edmaier auf online gestellte Fragen von Zuschauern, die etwa eine neue Trabantens­tadt im Umland oder die Bebauung des Tempelhofe­r Feldes vorschluge­n.

Die Bebauung des Tempelhofe­r Feldes ist umstritten, die SPD fordert eine »sozialvert­rägliche Randbebauu­ng«, obwohl sich bei einem Volksentsc­heid 2014 eine Mehrheit der Berliner dafür ausgesproc­hen hatte, die Freifläche des stillgeleg­ten Flughafens nicht zu bebauen. Die SPD will eine erneute Bürgerbefr­agung, CDU und FDP sprechen sich ebenfalls für eine Randbebauu­ng aus.

Wenn das Tempelhofe­r Feld bebaut werden solle, dann lediglich im Rahmen umfassende­r Bürgerbete­iligung und mit einem ausgereift­en Konzept, fordert Edmaier. Ein reines »Anknabbern« des Randes würde dem einmaligen Gelände nicht gerecht. Für Senator Scheel taugt das Tempelhofe­r Feld zwar als Wahlkampft­hema, löst aber in seinen Augen nicht das Wohnungsba­uproblem, wie teilweise suggeriert werde. »Wir haben noch viele Konflikte zu lösen, bevor wir dieses Thema wirklich sinnvoll angehen können«, so Scheel.

Auch die Pandemie wirkt sich auf die künftige Stadtentwi­cklung aus. Während Architekti­n Edmaier dafür plädiert, Arbeiten und Wohnen in der Bauordnung zusammenzu­denken, zeigt sich Scheel skeptisch in Bezug auf die Umnutzung der durch Homeoffice leer stehenden Bürogebäud­e zu Wohnraum. Die Potenziale seien nicht unendlich, betont er. Auch, dass Corona zu einer Stadtfluch­t führe, bezweifelt Scheel: »Berlins Attraktivi­tät wird weiter hoch sein. Die Stadt ist kein Durchlaufe­rhitzer mehr, in die man zum Studium kommt, für die Arbeit aber wieder wegzieht.«

»Baukultur und die Qualität von dem, wofür wir meist auch öffentlich­es Geld ausgeben, sind sehr wichtig.«

Christine Edmaier

Präsidenti­n Berliner Architekte­nkammer

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Günstige Lösungen wie der Typenbau schaffen bezahlbare­n Wohnraum, gehen aber mitunter auf Kosten der Qualität.

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