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Kommando Hannelore Wodtke in Freiheit

Gerichtsve­rfahren wegen Besetzung von Bagger im Tagebau Welzow-Süd eingestell­t

- ANDREAS FRITSCHE, COTTBUS

Zwei Prozesstag­e waren angesetzt im Berufungsv­erfahren gegen drei Klimaaktiv­isten, die 201V einen Abraumbagg­er in der Lausitz besetzten. Doch die Verhandlun­g am Landgerich­t Cottbus dauerte am Dienstag nur anderthalb Stunden.

Richter Tilo Hannig hat für dieses Verfahren zwei Mal einen größeren Saal besorgt. Aber auch in Saal 100 des Landgerich­ts Cottbus, in dem am Dienstag schließlic­h verhandelt wird, ist auf den, wegen Corona auf Abstand gestellten, Stühlen nur wenig Platz für Zuschauer vorhanden. Mehr als die Hälfte der Unterstütz­er der drei angeklagte­n Klimaaktiv­isten harrt deshalb draußen im Regen bei einer Solidaritä­tskundgebu­ng aus. Es dröhnt dort gerade ein antifaschi­stischer Song aus den Boxen, als Constantin P. und Karl H. nach anderthalb Stunden mit ihren Rechtsanwä­lten herauskomm­en. Sie werden mit Applaus empfangen. Dazu skandieren die Teilnehmer der Kundgebung: »Klima schützen ist kein Verbrechen!« In einer an Passanten verteilten Erklärung steht folgericht­ig: »Wir sind der Überzeugun­g, dass ziviler Ungehorsam legitim und notwendig ist, um den verheerend­en Folgen der globalen Erwärmung etwas entgegenzu­stellen.«

Erklärung der Soligruppe Lausitz 23

Aber wie beurteilt das die Justiz? Constantin P. und Karl H. dürfen eine gute Nachricht verkünden: Jeder von ihnen muss nur 375 Euro an die Staatskass­e und weitere 375 Euro an die Organisati­on Pro Asyl zahlen. Überweisen sie die Summen binnen sechs Monaten, wird das Verfahren gegen sie eingestell­t – vorläufig ist das bereits jetzt geschehen. Im Gegenzug verzichten sie auf eine finanziell­e Entschädig­ung für mehrere Wochen Untersuchu­ngshaft, die sie im Jahr 2019 absitzen mussten. Der jetzt 24-jährige Karl H. aus Berlin und der 26-jährige Constantin P. aus Eberswalde sind mit dieser Lösung nicht zuletzt auch deshalb einverstan­den, weil die Hälfte der Summe einem guten Zweck dient.

Nur Gutes im Sinn hatten sie bereits am frühen Morgen des 4. Februar 2019, als sie gemeinsam mit dem dritten Beschuldig­ten Philipp L. und zehn weiteren jungen Leuten ungeachtet der Verbotssch­ilder einen Zaun überwanden und in den Braunkohle­tagebau Welzow-Süd vordrangen, um dort einen großen Abraumbagg­er zu besetzen. Deutlich vor der um 6 Uhr beginnende­n Frühschich­t hatten sie ihr Ziel erreicht und an dem Bagger ein Transparen­t »Klimaschut­z ist Handarbeit« angebracht. Sie bezeichnet­en sich als Kommando Hannelore Wodtke. Die Frau aus Welzow hatte im Januar 2019 in der Kohlekommi­ssion als einzige gegen den ausgehande­lten Kompromiss gestimmt, dass Deutschlan­d spätestens 2038 aus der Braunkohle­verstromun­g aussteigt. Wodkte ließ sich davon leiten, dass der Lausitzer Energie AG (LEAG) nicht ausdrückli­ch untersagt wurde, die Ortschaft Proschim doch noch abzubagger­n. Erst im Januar 2021 änderte die LEAG ihr Revierkonz­ept und verzichtet­e selbst auf die geplante Erweiterun­g des Tagebaus Welzow-Süd. Damit ist Proschim gerettet. Aber Anfang 2019 war das noch nicht klar.

Den 13 Besetzern im Tagebau WelzowSüd und zeitgleich zehn weiteren Besetzern im Tagebau Jänschwald­e genügte es nicht, dass spätestens 2038 sämtliche Braunkohle­kraftwerke vom Netz gegangen sein sollen. Sie forderten am 4. Februar die sofortige Abschaltun­g. Das wäre zwar schwer zu realisiere­n, es erschien ihnen aber angesichts der Klimakrise nur vernünftig zu sein. 27 herbeigeru­fene Polizisten versuchten, die Besetzer aus dem Tagebau herauszuho­len. Gegen 12 Uhr forderte der Revierleit­er die jungen Menschen per Megafon auf, vom Bagger herunterzu­kommen. Doch diese wollten noch ausharren. Erst um 14 Uhr packten sie zusammen und ließen sich von Höhenrette­rn abseilen. Sie hatten die Gesichter bemalt und die Fingerkupp­en verklebt, damit sie auf Fotos und durch Fingerabdr­ücke nicht

»Wir sind der Überzeugun­g, dass ziviler Ungehorsam legitim und notwendig ist, um den verheerend­en Folgen der globalen brwärmung etwas entgegenzu­stellen.«

zu identifizi­eren sind. Ihre Personalau­sweise hatten sie extra nicht dabei und verrieten nicht, wer sie sind. Ein solches Vorgehen soll bei der Besetzung von Tagebauen in Nordrhein-Westfalen dazu geführt haben, dass Polizisten die Klimaschüt­zer einfach so laufen ließen. Nicht so im Lausitzer Revier. Wenn die Identität nicht festgestel­lt werden konnte, landete der Betreffend­e hier in Untersuchu­ngshaft. Und weil das Amtsgerich­t Cottbus nicht feststelle­n konnte, ob die drei Beschuldig­ten vorbestraf­t sind, verurteilt­e es sie am 25. Februar 2019 zu zwei Monaten Haft. Unbescholt­ene Bürger kommen bei Hausfriede­nsbruch gewöhnlich mit einer Geldstrafe davon.

Gleich nach dem ersten Urteil legten die Angeklagte­n dann ihre Namen und Adressen offen und Berufung ein. Die Staatsanwa­ltschaft konnte sich allerdings nicht sofort dazu durchringe­n, der Einstellun­g des Verfahrens gegen eine Geldauflag­e zuzustimme­n. Erst am Dienstag einigte man sich darauf hinter verschloss­ener Tür mit den Rechtsanwä­lten, dem Richter und den Schöffen. Für den dritten Angeklagte­n Philipp L., der inzwischen für längere Zeit in Neuseeland lebt und gegen den in Abwesenhei­t prozessier­t wurde, stimmte sein Rechtsanwa­lt der gefundenen Lösung zu. Dafür hatte er sich eine Vollmacht seines Mandanten geben lassen.

Polizisten und ein Mitarbeite­r der LEAG, die als Zeugen geladen waren, mussten nicht mehr aussagen und konnten gleich wieder gehen. Der zweite Prozesstag an diesem Mittwoch entfällt. Als Richter Hannig die Entscheidu­ng verkündet und das Verfahren für beendet erklärt, klatschen die Zuschauer. Das haben sie auch zwei Mal während der Verhandlun­g getan, um das Engagement der Angeklagte­n zu würdigen. Beim ersten Mal weist der Richter noch darauf hin, dass Beifall im Saal nicht zulässig sei, beim zweiten Mal sieht er großzügig darüber hinweg. Andere Richter sind da strenger.

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Besetzunge­n im Tagebau Welzow-Süd gab es 201V nicht zum ersten Mal, sondern, wie hier im Bild zu sehen, bereits im Jahr 201S.

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