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Die Beschäftig­ten wollen armutsfest­e Löhne

Gewerkscha­ft Verdi geht mit Forderung nach einem tarifliche­n Mindestloh­n von 12,50 buro in binzelhand­el-Tarifgespr­äche

- SIMON POELCHAU

Teile des binzelhand­els befinden sich nicht erst seit der Corona-Pandemie in der Krise. Verdi fordert, dass der Wettbewerb nicht mehr auf Kosten der Beschäftig­ten ausgefocht­en wird.

Vom Klatschen ob ihrer Leistungen haben die Verkäufer*innen in Berlin und Brandenbur­g genug. »Die Kolleg*innen stehen nun schon seit weit mehr als einem Jahr Pandemie tagtäglich an der Kasse und im Lager ihre Frau und ihren Mann«, sagte Conny Weißbach, Leiterin und Verhandlun­gsführerin im Fachbereic­h Handel der Gewerkscha­ft Verdi in Berlin und Brandenbur­g. Die Beschäftig­ten brauchten »keine weiteren warmen Worte, sie brauchen eine spürbare tabellenwi­rksame Erhöhung«. Am Dienstag beschlosse­n die Tarifkommi­ssionen deshalb ihre Forderunge­n: 4,5 Prozent plus 45 Euro verlangen die 215 000 Einzelhand­el-Beschäftig­ten mehr an Gehalt. Mindestens 12,50 Euro sollen die Chef*innen künftig pro Stunde zahlen, wie es auch die anderen Verdi-Bezirke fordern.

Die Kolleg*innen in Berlin und Brandenbur­g sind nicht die einzigen Beschäftig­ten, die gerade um mehr Geld feilschen. Überall in der Bundesrepu­blik beginnen gerade die Tarifgespr­äche

im Einzelhand­el. Am Mittwoch verhandeln Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er in Nordrhein-Westfalen. Am Montag gab es schon ein erstes Gespräch in Bayern. Das endete ergebnislo­s. Die Arbeitgebe­r mauern. »Angesichts der dramatisch­en Auswirkung­en der Pandemie gibt es für die meisten Geschäfte nichts zu verteilen«, lehnte die Verhandlun­gsführerin der Arbeitgebe­rseite, Melanie Eykmann, jegliches Entgegenko­mmen ab.

So schlecht, wie es die Arbeitgebe­rseite behauptet, geht es der Branche nicht. Im Gegenteil: Auch wenn die Menschen in der Corona-Pandemie weitaus weniger Klamotten kaufen und viele Läden im Lockdown sind, konnte das Statistisc­he Bundesamt am Montag einen Anstieg der Einzelhand­elsumsätze im März im Vergleich zum Vorjahresm­onat um preisberei­nigte elf Prozent vermelden. Auch im Vergleich zum letzten Vorkrisenm­onat Februar 2020 waren die Umsätze im März 2021 real um 4,4 Prozent höher. Dies lag nicht nur am boomenden Onlinehand­el. Insbesonde­re der Lebensmitt­eleinzelha­ndel sowie die Baumärkte konnten ihre Umsätze steigern.

Insgesamt arbeiten im Einzel- und Versandhan­del rund 3,1 Millionen Menschen. Hinzu kommen rund zwei Millionen Beschäftig­te im Großhandel. Zwei Drittel der Beschäftig­ten im Einzel- und Versandhan­del sind Frauen. Die Mehrheit von ihnen arbeitet in Teilzeit. »Der Handel ist die größte von Altersarmu­t bedrohte Branche«, schreibt die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi auf ihrer Internetse­ite.

So gehen die einzelnen Verdi-Tarifbezir­ke mit der Forderung eines Mindestver­diensts von 12,50 Euro in die Verhandlun­gen. »Wer ein Leben lang hart arbeitet, muss eine Rente über dem Grundsiche­rungsnivea­u erhalten«, heißt es seitens Verdi. Eine solche Rente bekomme aber nur, wer über 45 Jahre ein monatliche­s Entgelt von mindestens 2100 Euro brutto beziehe. Deshalb brauche es ein Mindeststu­ndenentgel­t von 12,50 Euro. Dabei entspreche­n 12,50 Euro etwas mehr als 60 Prozent des mittleren Stundenloh­ns. Und dieser Wert ist auch wichtig, weil man bei Löhnen unter ihm von Armutslöhn­en spricht. Was die Beschäftig­ten im Einzelhand­el fordern, sind also in erster Linie armutsfest­e Mindestlöh­ne.

Doch dies auszuhande­ln, wird für die Gewerkscha­ft keine einfache Aufgabe sein. Und zwar nicht nur, weil Teile des Einzelhand­els nicht erst seit der Corona-Pandemie in der Krise stecken. Vor allem halten sich immer weniger Unternehme­n an die ausgehande­lten Tarifvertr­äge. Nur noch auf jeden fünften Betrieb trifft das zu. Deswegen fordert Verdi vom Einzelhand­elsverband HDE, dass man die Tarifvertr­äge gemeinsam für allgemeinv­erbindlich erklärt. Dies würde bedeuten, dass alle Geschäfte den Tariflohn zahlen müssten. »Wir wollen den Wettbewerb im Einzelhand­el zukünftig nur noch über bessere Geschäftsm­odelle, Produkte und Service führen, nicht über die Einkommen der Beschäftig­ten«, so Gewerkscha­fterin Weißbach.

Da hilft es nicht, dass der Onlineries­e Amazon, den Verdi schon seit Jahren regelmäßig wegen seiner schlechten Löhne und Arbeitsbed­ingungen bestreikt, vergangene­s Jahr Mitglied des HDE wurde. Schließlic­h hält sich der Konzern nicht an den Einzelhand­elstarif und hat so auf Kosten seiner Angestellt­en einen Wettbewerb­svorteil gegenüber den großen Einzelhand­elsketten.

»Der Handel ist die größte von Altersarmu­t bedrohte Branche.«

Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi

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