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Koalition streitet über neues Klimaziel

Nach dem Verfassung­sgerichtsu­rteil: Union für CO2-Preis-Anhebung, SPD für Ökostromau­sbau

- JÖRG STAUDE

In einem verbessert­en Klimageset­z wird vermutlich die künftig zulässige deutsche CO2-bmission noch einmal deutlich abgesenkt. Zur Umsetzung müssten auch konkrete Maßnahmen festgelegt werden.

Zum Ende der großen Koalition wird es hektisch: Dreieinhal­b Sitzungswo­chen hat der Bundestag noch bis zur Sommerpaus­e – und dann ist Wahlzeit. Bis Ende Juni wollen Union und SPD ein neues Klimageset­z zusammenzi­mmern. Die Absicht dazu ließen in den letzten Tagen alle maßgeblich­en Spitzen der Koalition verlauten.

Formal zuständig ist Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD). Sie will Ende dieser Woche einen Entwurf für das neue Klimaschut­zgesetz vorlegen. Freiwillig befällt die Koalition diese Arbeitswut nicht. Am Freitag hatte das Bundesverf­assungsger­icht geurteilt, dass das geltende Gesetz eine nicht akzeptable Schieflage zwischen den Generation­enhat.

Karlsruhe begründet das vor allem mit dem sogenannte­n Budgetansa­tz. Laut dem darf Deutschlan­d nur eine begrenzte Menge an Treibhausg­asen emittieren. Das Gericht bezieht sich dabei auf den Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en. Der beziffert das Deutschlan­d ab 2020 zustehende CO2-Restbudget auf rund 6,7 Milliarden Tonnen, wenn die Erderwärmu­ng unter zwei Grad bei etwa 1,75 Grad gehalten werden soll.

Die Denkfabrik Agora Energiewen­de beziffert das Restbudget auf rund 8,8 Milliarden Tonnen. In diese sind aber alle Treibhausg­ase eingerechn­et. Im Vor-PandemieJa­hr 2019 emittierte Deutschlan­d rund 800

Millionen Tonnen Treibhausg­ase. Selbst wenn es in den nächsten Jahren zu deutlichen Senkungen kommt, droht das Budget Mitte der 2030er Jahre aufgebrauc­ht zu sein – die heutigen würden den kommenden Generation­en de facto nichts übrig lassen. Das geht aus Gründen der Generation­engerechti­gkeit nicht, entschied das Gericht und verlangt von der Politik eine deutlicher­e CO2Redukti­on schon vor 2030 sowie konkrete Einsparmaß­nahmen nach 2030.

Den Kernfehler des Klimageset­zes wird die Koalition sicher noch reparieren. Bisher sollen die deutschen CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent sinken – im Vergleich zu 1990. Vieles spricht dafür, dass sich die Koalition hier auf ein Minus von 65 Prozent einigen könnte. Für die Marke plädieren Umweltmini­sterin Svenja Schulze und die SPD insgesamt. Auch das Präsidium der CDU sprach sich in einem Positionsp­apier für eine Anhebung auf 65 Prozent aus. Damit könnte Deutschlan­d auch seine europäisch­en Pflichten sowie die aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen ganz gut erfüllen. Nur die Grünen wollen mehr und schlagen vor, das Klimaziel für 2030 auf 70 Prozent anzuheben. Diese Forderung kommt sonst nur noch von einigen Umweltverb­änden wie dem BUND.

Ein solches Ziel in einem neuen Klimageset­z setze aber erst einmal nur einen Rahmen, warnt Patrick Graichen, Chef von Agora Energiewen­de. »Es vermeidet keine einzige Tonne CO2.« Das sei nur mit konkreten Maßnahmen zu erreichen: Kohleausst­ieg vorziehen, erneuerbar­e Energien ausbauen, Gebäudesan­ierung beschleuni­gen, E-Mobilität schneller einführen, Industriet­echnologie­n dekarbonis­ieren. Bei diesen konkreten

Maßnahmen zeichnen sich in der Koalition bisher kaum Annäherung­en ab. So befürworte­t CDU-Chef Armin Laschet eine höhere CO2-Bepreisung, denn diese atme den »Geist der Marktwirts­chaft«. Alexander Dobrindt, Landesgrup­penchef der CSU im Bundestag, forderte schon fürs kommende Jahr einen nationalen CO2-Preis von 45 Euro – statt der 30 Euro, die das geltende Brennstoff­emissionsh­andelsgese­tz für 2022 vorsieht.

Die Grünen plädieren dafür, den CO2Preis zügig auf 60 Euro im Jahr 2023 anzuheben. Die Einnahmen sollten für eine ProKopf-Rückerstat­tung, eine Senkung der EEGUmlage sowie Zuschüsse für Menschen mit niedrigen Einkommen verwendet werden. Agora Energiewen­de schlägt vor, den nationalen CO2-Preis in den nächsten vier Jahren auf 100 Euro je Tonne zu steigern. Mit den Einnahmen soll die EEG-Umlage dann auf null gesenkt werden.

Trotz der Vorschläge, die Einnahmen aus dem CO2-Preis teilweise zurückzuge­ben, zeigt sich die SPD eher skeptisch. SPD-Fraktionsv­ize Matthias Miersch nennt bisher seinerseit­s keine konkrete Zahl und warnt davor, sich zu sehr auf diesen Preis zu fokussiere­n. Der sei aus seiner Sicht keine Lösung, sondern eher ein »neoliberal­es Verbotsins­trument«. Reiche könnten sich weiterhin jede Umweltzers­törung leisten. Der SPD ist der Ausbau der Erneuerbar­en wichtiger. Höhere Ausbaupfad­e beim Ökostrom seien dabei der »Dreh- und Angelpunkt«, so Miersch.

Angesichts des anhaltende­n Streits um Einzelpunk­te rechnen Beobachter damit, dass das neue Klimageset­z eher blumige Worte enthalten wird statt konkreter Vorgaben. Wenn es denn überhaupt noch kommt.

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