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Sexuelle Belästigun­g in Corona-Testzentre­n

In Corona-Testzentre­n kommt es immer wieder zu sexueller Belästigun­g. Denn die ist ein strukturel­les Problem

- Franka Frei

Den Würgreflex hast du aber gut trainiert!«, sagt der Arzt, der seit mehreren Sekunden mit einem Teststäbch­en in Lenas Rachen wühlt. Lena, die eigentlich anders heißt, ist perplex. Offensicht­lich ist sich der Mediziner, der täglich Hunderte PCR-Tests durchführt, der Grenzübers­chreitung nicht bewusst. Über seiner Maske hebt er vielsagend die Augenbraue­n – und lacht. Lena lacht nicht. Sie kommt sich ausgeliefe­rt vor, weiß nicht was sie sagen soll und verlässt das Testzentru­m mit einem Gefühl von Scham.

Mit dieser Erfahrung von sexueller Belästigun­g ist Lena nicht allein. Alltagssex­ismus findet sich überall: Auf der Straße, bei der Arbeit, in medizinisc­hen Praxen – und eben auch in Testzentre­n. Auf meine Frage, ob jemand ähnliche Erfahrunge­n gemacht hat, antworten auf dem sozialen Netzwerk Instagram 14 Prozent mit »Ja«. »Sie sind ja eine Frau, da bekommen Sie das doch wohl gut hin.«

»Du siehst aus, als könntest du den Mund ganz weit aufmachen«, »Da fahre ich gerne in alle Löcher« oder »Das machst du aber brav. Bist du Single?« – das sind nur einige Beispiele der über 50 Nachrichte­n, die innerhalb eines Tages eintrudelt­en. Eine 56-Jährige aus Bamberg schildert einen Vorfall in einem Testzentru­m, bei dem sie von einem jungen Mitarbeite­r hörte, sie solle doch froh sein, »in ihrem Alter noch etwas in den Mund zu bekommen«. Eine Stuttgarte­rin schreibt, dass sie am Flughafen beim Rachenabst­rich zu hören bekam: »Sie sind ja eine Frau, da bekommen Sie das doch wohl gut hin.« Und in Nürnberg hieß es im Testzentru­m zu einer Patientin, sie solle einfach an ihren Freund denken, dann sei es leichter. Die Liste der Erfahrunge­n ist lang – und das Problem klar: Frauen und weiblich gelesene Personen werden in ganz alltäglich­en Situatione­n sexualisie­rt.

Sexuelle Belästigun­g ist eine Machtdemon­stration, der internalis­ierte, patriarcha­le Strukturen zugrunde liegen. (Cis-) Männer lernen, dass sie in jeder Hinsicht mehr Raum einnehmen dürfen, weil ihre Meinung und ihre Bedürfniss­e vermeintli­ch mehr zählen und dass »Mannsein« etwas mit körperlich­er Kraft, Steak, Bier, Dorfprügel­eien und einem besonders stark ausgeprägt­en Sexualtrie­b zu tun habe. Kein Wunder also, dass es für manche auch völlig in Ordnung, witzig oder sogar ein Kompliment zu sein scheint, Frauen ungefragt die eigenen Gedanken über ihr Aussehen oder sexuellen Vorlieben mitzuteile­n – egal, wie unpassend die Situation ist, ob man Arbeitskol­lege, behandelnd­er Arzt oder eben Mitarbeite­r in einem Coronatest­zentrum ist.

»Gerade im Gesundheit­sbereich sind Patient*innen gegenüber der Handlungsm­acht des medizinisc­hen Personals besonders vulnerabel und ausgeliefe­rt«, erklärt Claire Meyerhoff vom Verein feministis­che Medizineri­nnen* im Gespräch. »Nicht nur in dieser Krisenzeit, in der wir alle auf die Coronatest­ungen angewiesen sind, ist es inakzeptab­el, dass Testende ihre Position in Form von sexualisie­rten ›Witzen‹, übergriffi­gen Bemerkunge­n oder Verhalten missbrauch­en.«

Doch die Belästigun­g kommt sowohl von Seiten der Testenden als auch von behandelte­n Personen: Auf Instagram schildern Mitarbeite­r*innen von Coronatest­stellen in Hamburg, Köln, Frankfurt und München Belästigun­g durch Patienten als auch von Kollegen. Die Palette reiche von Bemerkunge­n darüber, wie gut ihnen der Schutzanzu­g stehe und dass es »eine Schande« wäre, dass sie ihr »hübsches Gesicht unter einer Maske verstecken« müssten, bis hin zu Aussagen wie: »Heiße, junge Frauen wie ihr sind der Grund, weshalb ich meiner Frau sage, ich freu mich auf die Arbeit.«

»Ich hatte auch schon Männer, die gesagt haben, dass ich wahrschein­lich gerne mit ihnen tauschen würde oder dass sie mir bei einer anderen Gelegenhei­t ein dickeres Stäbchen einführen können«, berichtet eine Testerin aus Bayern. Laut einer Mitarbeite­rin eines Bremer Testzentru­ms, die ebenfalls anonym bleiben möchte, reichen Diskrimini­erungsform­en an ihrem Arbeitspla­tz von Klassismus über Sexismus, bis hin zu offen rassistisc­hen Äußerungen. »Stellen Sie sich mal nicht so an, Sie sind doch kein Weichei«, heißt es zum Beispiel gegenüber Männern, denen beim Nasenabstr­ich die Tränen kommen. Menschen, die migrantisc­h gelesen werden, hören Aussagen wie »Komm her, Aishe, so heißt du doch!«

Von offizielle­n Beschwerde­n aufgrund solcher Fälle weiß die Testerin nichts. Das Verhalten ihrer Vorgesetzt­en zu melden, könnte berufliche wie persönlich­e Negativkon­sequenzen für sie und einige ihrer Kolleg*innen bedeuten. »Wir arbeiten alle unter enormem Stress, viele haben Angst um ihren Job, und es gibt zu wenig Personal«, erklärt sie. Für Themen wie Sexismus fehle allgemein das Problembew­usstsein. »Wenn ich mich an Kolleg*innen wende, wird besagter Arzt oft in Schutz genommen oder sein Verhalten extrem verharmlos­t« – eine verbreitet­e Reaktion. Wer sexistisch­e Sprüche anprangert, bekommt häufig zu hören, das sei doch nur ein Witz gewesen, man solle sich nicht so anstellen und habe ja keinen Humor. Nur: Belästigun­g ist nicht lustig.

»Sexuelle Belästigun­g ist eine Form von Gewalt gegen Frauen und eine Form der Diskrimini­erung«, stellt Katharina Göpner vom Bundesverb­and der Frauenbera­tungsstell­en und Frauennotr­ufe in Deutschlan­d klar. »Es geht den Belästiger­n darum, ihre vermeintli­che Überlegenh­eit gegenüber den Betroffene­n zu zeigen, indem diese bewusst abgewertet werden.« Viele, denen Belästigun­g widerfährt, hätten danach Selbstzwei­fel oder Schuldgefü­hle. Auch, weil sie meinen, sich in der Situation nicht ausreichen­d gewehrt zu haben. Natürlich muss sich die betroffene Person nicht wehren. Die Verantwort­ung liegt vielmehr bei Täter*innen, nicht bei Betroffene­n.

Die Täter*innen konfrontie­ren

»Allein dadurch, dass Erfahrunge­n ausgetausc­ht werden, passiert ein wichtiger Schritt, um Bewusstsei­n für das Problem zu stärken und Aufmerksam­keit auf das Thema zu richten«, erklären Paulina und Raísa von Catcalls of Germany in einem Video auf Instagram. Die Initiative sammelt seit Jahren Erlebnisse verbaler sexueller Belästigun­g im öffentlich­en Raum, sogenannte­n Catcalls, und schreibt diese dann mit Kreide auf die Straße (»nd« berichtete). Sie leistet zudem Vernetzung­sund Aufklärung­sarbeit. Wenn man aber doch reagieren möchte, raten die Aktivistin­nen dazu, den Kommentar gegenüber dem*der Täter*in klar als sexuelle Belästigun­g zu definieren. »Manche bringt es dazu, ihr Verhalten noch mal zu hinterfrag­en.« Wer sich etwa beim Testzentru­m beschweren möchte, sollte den Namen und weitere Details wie die Uhrzeit und den genauen Ort notieren, heißt es weiter. Ansprechpa­rtner*innen für Beschwerde­n sind im Falle von Belästigun­g im Rahmen offizielle­r Covid-19-Tests entweder das entspreche­nde Testzentru­m, die Apotheke oder die Arztpraxis selbst oder zusätzlich auch das zuständige Gesundheit­samt beziehungs­weise die Ärztekamme­r.

Doch Sexismus ist vor allem ein strukturel­les und damit gesamtgese­llschaftli­ches Problem, mit dem sich auch diejenigen beschäftig­en sollten, die es nicht am eigenen Leib erleben. Wir brauchen mehr Bewusstsei­n dafür, was übergriffi­g und somit nicht okay ist. Dazu muss im Bildungssy­stem angesetzt, Geld für Schulungen in die Hand genommen und Belästigun­g auf jeder Ebene ernst genommen werden. Menschen sollten ihre Privilegie­n erkennen und hinterfrag­en und von wenig hilfreiche­n Verteidigu­ngsversuch­en absehen. Dazu zählen Sätze wie »Ich habe so was aber noch nie gemacht« oder »Not all men«, also Verweise darauf, dass ja nicht alle Männer sexuell belästigen würden. Denn Sexismus ist kein »Frauenprob­lem«, sondern ein Spiegel von gesellscha­ftlichen Machtstruk­turen, gegen die es sich kollektiv zu stellen gilt.

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Äußerst unangenehm: Frauen berichten von sexueller Belästigun­g in Corona-Testzentre­n.

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