Die Solidarität ist zu gering
Simon Poelchau über den Arbeitskampf bei Gorillas
Dass sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dazu herabließ, mit den streikenden Ausliefer*innen des Supermarkt-Start-up Gorillas BerlinKreuzberg zu reden, war vermutlich weniger sein eigener Verdienst. Viel mehr war es wohl dem Einsatz der lokalen SPD-Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe geschuldet, die schon länger die miserablen Arbeitsbedingungen der Essensausliefer*innen kritisiert. Alleine wird Heil sicherlich nicht auf die Idee gekommen sein.
Schließlich sind die Riders, die per Fahrrad bei Wind und Wetter für knapp über dem Mindestlohn die Molle und die Schrippe an die Kund*innen ausfahren, alles andere als das ideale Wahlvolk, das es derzeit zu umgarnen gilt. Sie sind fast alle Migrant*innen, viele von ihnen kommen von außerhalb Europas. Sie werden im September also kein Kreuz an der Wahlurne machen können – ganz im Gegensatz zu ihrer Kundschaft. Sie bildet im Grunde das Milieu, das alle Parteien links der Union für sich gewinnen will. Dieses Milieu, das gerne mit den Werten Nachhaltigkeit und soziales Gewissen identifiziert wird, hat das ausbeuterische Geschäftsmodell von Gorillas jedoch gerade erst möglich gemacht. Das Berliner Start-up wurde erst zum milliardenschweren Unternehmen, weil die metropolitane Mittelschicht in der Pandemie entweder zu ängstlich oder zu faul war, um selbst zum Supermarkt zu gehen. Dafür sollen sich die Riders abschleppen. Und das höchste der Gefühle in Sachen Solidarität ist vermutlich meist, dass das Trinkgeld bar und nicht per App gezahlt wird.
So ging auch die Solidarität des Bundesarbeitsministers nicht wirklich weit. Statt sich ohne Wenn und Aber auf die Seite der Ausgebeuteten zu schlagen, sprach der SPD-Politiker erst mal mit der Geschäftsführung. So sieht sie aus, die Sozialdemokratie anno 2021.