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In Peenemünde wurde Vernichtun­g produziert

Manuela Schwesig: Ort könnte zum Weltkultur­erbe gehören – Kritiker monieren, dass sich an dieser Stelle Menschen zu Tode schufteten

- HAGEN JUNG

Für den Wunsch, das Museum der NaziRakete­nanlage Peenemünde zum »Weltkultur­erbe« zu zählen, erntet Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) Kritik.

Hatte es die Regierungs­chefin sorgsam durchdacht, ob es – auch für sie als Spitzenkan­didatin ihrer Partei – klug war, sich verhältnis­mäßig kurz vor den Landtagswa­hlen für ein so sensibles und aus der Sicht vieler Menschen fragwürdig­es Objekt einzusetze­n? Es soll ein Ort als Kulturerbe gewürdigt werden, der doch Grausamkei­ten und Vernichtun­gspläne des Hitlerregi­mes geradezu frappant widerspieg­elt. Ausgerechn­et das Historisch-Technische Museum als die Erinnerung­sstätte eines Areals, in dem sich unzählige KZ-Gefangene als Zwangsarbe­iter bei der Produktion von Massenvern­ichtungswa­ffen zu Tode schuften mussten, soll auf die UNESCO-Liste der besonders geschützte­n Objekte gesetzt werden, die als »Weltkultur­erbe« eine hohe Aufmerksam­keit genießen?

In Peenemünde, einem zur NS-Zeit streng abgeschirm­ten Nordteil der Insel Usedom, waren Experten der dortigen »Heeresvers­uchsanstal­t« damit befasst, im Auftrag des

Hitlers und seiner engsten Vertrauten in puncto Rüstung etwas zu konstruier­en, das die immer wieder von Propaganda­minister Josef Goebbels dem Volk vorposaunt­e Mär von der bald kommenden, die Kriegswend­e bescherend­en »Wunderwaff­e« sein werde. Fakt ist: Tatsächlic­h wurden sogenannte Fernwaffen mit den Bezeichnun­gen V1 und V2 in Peenemünde erprobt und konstruier­t, danach kamen sie auch zum Einsatz. Die Raketen, das »V« stand für »Vergeltung­swaffen«, wurden unter anderem zwischen 1942 und 1945 nach London gelenkt. Sie stürzten auf die Millionens­tadt und brachten mehreren Tausend Menschen den Tod.

An dieses Leid erinnernd protestier­te Großbritan­nien, als ein CSU-Politiker und andere 50 Jahre nach dem ersten V-Raketensta­rt dieses »Jubiläum« und zugleich den Nazi-Raketenexp­erten Wernher von Braun feiern wollten. Die damals als »V.2-Party« durch die Medien geisternde Veranstalt­ung musste abgesagt werden.

Werden auch Manuela Schwesigs Pläne, sich für einen Platz des Peenemünde­r Museums auf der Welterbe-Liste einzusetze­n, abgesagt? Von der Regierungs­chefin selbst vielleicht? Ihr Amtsvorgän­ger Erwin Sellering verhindert­e schon im Jahr 2011, dass die Peenemünde­r Objekte Weltkultur­erbe werden, so wie es seinerzeit der damalige Kultusmini­ster Mecklenbur­g-Vorpommern­s, Henry Tesch (CDU), vorgeschla­gen hatte. Der Unionspoli­tiker hätte Peenemünde gerne in einer Reihe mit den Weltraumba­hnhöfen Cape Canaveral in den USA und dem russischen Weltraumba­hnhof in Baikonur gesehen. Sellering kommentier­te solches Ansinnen damals in der »Schweriner Volkszeitu­ng«: »Peenemünde ist vor allem ein Ort, an dem die Nazis fürchterli­che Waffen entwickelt haben.«

Das ist auch Manuela Schwesig bewusst, sie verweist aber zugleich auf die technische Bedeutung des Ortes. Dem NDR sagte sie: »Peenemünde steht ja auf der einen Seite für technologi­sche Pionierlei­stungen von epochaler Bedeutung, ist aber auch untrennbar mit der menschenve­rachtenden Ideologie des NS-Systems verbunden.«

Bedenken gegen Schwesigs Vorschlag erhebt jetzt einer ihrer Genossen: Der SPDKreista­gsabgeordn­ete und ehemalige Vorsitzend­e der SPD auf Usedom, Günther Jikeli. Er weiß: Peenemünde werde oft immer noch als »die Wiege der Raumfahrt« dargestell­t. Das sei völlig falsch und schlicht eine Lüge. Den Nazis sei es mit der Entwicklun­g der V2 um eine Massenvern­ichtungswa­ffe gegangen. Sie hätten nicht zum Mond fliegen, sondern mit den Raketen als »Wunderwaff­en« die Weltherrsc­haft erringen wollen.

In einem Brief an Schwesig schreibt Jikeli, bei allen Betrachtun­gen zu Peenemünde müsse auch die Perspektiv­e der Opfer vor Ort berücksich­tigt werden, auch jener im thüringisc­hen Mittelbau Dora, wo die Nazis ihre Raketenher­stellung nach 1943 fortgesetz­t hatten. Dort starben bei der Rüstungspr­oduktion etwa 20 000 Menschen. Mit deren Nachfahren möge Manuela Schwesig sprechen, bevor sie ihr Bemühen in Sachen Weltkultur­erbe Peenemünde fortsetze.

Auch der Historiker Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstät­te Buchenwald, zu der auch Mittelbau-Dora gehört, hegt für Schwesigs Wünsche keine Sympathie. Die Geschichte von Peenemünde hat einen eindeutige­n Befund, konstatier­t der Wissenscha­ftler: die Zerstörung. Die dort entwickelt­en Waffen sollten helfen, den von den Nationalso­zialisten propagiert­en »Endsieg« sicherzust­ellen. Er könne keine Facette einer positiven Entwicklun­g erkennen und er sehe dabei auch keinerlei »technologi­sche Pionierlei­stung«, griff Wagner eine Äußerung Manuela Schwesigs auf.

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