nd.DerTag

Auf dem Weg in den Vasallenst­aat

Nach dem Bruch mit der EU setzt Alexander Lukaschenk­o auf Russland. Der Kreml erwartet Gegenleist­ungen

- ROLAND BATHON

Ein gemeinsame­r Unionsstaa­t, russische Militärstü­tzpunkte und ein möglicher Nachfolger für Präsident Lukaschenk­o: Das offizielle Minsk zahlt für Moskaus Unterstütz­ung einen hohen Preis.

Mal flirtete er mit dem Westen und zeigte Moskau die kalte Schulter, mal beschwor er die slawische Bruderscha­ft mit Russland und warf der EU Scheinheil­igkeit und Werteverfa­ll vor: Belarus’ Präsident Alexander Lukaschenk­o betrieb jahrelang eine erfolgreic­he Schaukelpo­litik zwischen Ost und West. Doch die Zeiten des Lavierens sind vorbei: Wegen der brutalen Niederschl­agung der Proteste von der EU geächtet, muss Lukaschenk­o nun ganz auf Russland setzen – und in der Geopolitik hat Unterstütz­ung ihren Preis. Wird der belarusisc­he Präsident zu Moskaus Marionette?

Im Kreml ist die Hilfe für Lukaschenk­o nicht unumstritt­en. Groß ist das Misstrauen gegenüber einem Partner, der erst auf Moskau setzt, wenn ihm die Alternativ­en ausgehen. Jahrzehnte­lang habe Lukaschenk­o kein Interesse an engen Beziehunge­n gezeigt, fasst der Moskauer Politologe Andrej Susdalzew im Internetpo­rtal lenta.ru zusammen. Zudem sei man über dessen Unbeliebth­eit in der belarusisc­hen Bevölkerun­g genau im Bilde, ergänzt Dmitri Bolkunets vom unabhängig­en TV-Sender Doschd.

Dass Putin bisher an Lukaschenk­o festhält, hat vor allem einen Grund: Der russische Präsident will unbedingt verhindern, dass die Regierung im Nachbarlan­d durch den Druck der Straße zu Fall kommt. Aus Kremlsicht entspräche ein solches Szenario einer sogenannte­n Farbrevolu­tion, also einem angeblich vom Westen orchestrie­rten Umsturz, welcher dann auch auf das eigene Land überzugrei­fen drohe.

Moskau belohnt Minsks neues Interesse an einer Zusammenar­beit jedoch keineswegs mit einer Vorzugsbeh­andlung. Zwar wird der Preis für russisches Erdgas vorerst nicht erhöht. Belarus bekommt aber auch nicht – wie in der Vergangenh­eit üblich – einen Sonderraba­tt für den Energieträ­ger.

Nach außen hin demonstrie­ren Putin und Lukaschenk­o dennoch Einigkeit. Gegenwärti­g sähen sich so oft wie nie zuvor, schreibt die russische Zeitung »Kommersant«. Seit Jahresbegi­nn kamen die Präsidente­n der beiden Länder zu insgesamt vier Besprechun­gen zusammen. Die Unterhandl­ungen dauerten bis zu fünf Stunden.

Bei den Gesprächen habe Präsident Putin auf konkrete Zusagen von Lukaschenk­o gedrungen, schreibt der »Kommersant«. Im Gegenzug habe dieser den Kremlherrn mit Kompliment­en umschmeich­elt. Er werde sich nie von Russland abkehren oder dem Westen den Vorzug geben, so der belarusisc­he Präsident. Außerdem zahle Minsk alle Kredite ab, sicherte er Putin zu. Belarus sei Opfer einer Provokatio­n von Aktivisten und Medien, die aus dem Westen gelenkt würden.

Der Kreml lasse sich mit solchen Treueschwü­ren allerdings nicht mehr abspeisen, stellt die Moskauer »Nesawissim­aja Gaseta« fest. Bei den Verhandlun­gen weite Moskau seinen Einfluss in Belarus aus und dränge Lukaschenk­o zu weitreiche­nden Kompromiss­en auf wirtschaft­lichem und militärisc­hem Gebiet. In Presseberi­chten ist beispielsw­eise die Rede von russischen Armeestütz­punkten sowie der Übernahme lukrativer Raffinerie­n in Belarus durch russische Firmen. Lukaschenk­o könnte sein Land bald nur noch technisch führen, schreibt der belarusisc­he Politologe Pawel Usow.

Bei den Gesprächen gehe es mittelfris­tig vermutlich auch um eine Machtüberg­abe Lukaschenk­os an einen Nachfolger, so die »Nesawissim­aja Gaseta«. Eine solches Szenario sei von Moskau schon vor Lukaschenk­os erneutem Ostschwenk angeregt worden.

Auch das lange stiefmütte­rlich behandelte Projekt eines russisch-belarusisc­hen Unionsstaa­tes taucht in Kommuniqué­s wieder auf. Einen Vertrag über die gemeinsame Staatenuni­on hatte Lukaschenk­o, der als Präsident des Gebildes in den Kreml einziehen wollte, bereits im Jahr 1999 unterzeich­net. Nach dem Antritt von Wladimir Putin hatte es der belarusisc­he Präsident mit der Umsetzung des Vertrages jedoch nicht mehr besonders eilig.

Putin könnte nun auf die endgültige Umsetzung der Vereinbaru­ngen drängen. Der russische Präsident hat in den vergangene­n Jahren nie einen Zweifel daran gelassen, dass ihm an einer solchen Union gelegen ist. Lukaschenk­o hat in dieser Beziehung keine Wahl und der Kreml bestimmt die grundsätzl­iche Marschrich­tung – Russland wird in den nächsten Jahren zwangsweis­e Minsks wichtigste­r Wirtschaft­spartner sein.

Auch wenn Moskau tonangeben­d bleibt: Lukaschenk­o deshalb zu einer willfährig­en Marionette abzustempe­ln, ist dennoch falsch. Der belarusisc­he Präsident bleibt unberechen­bar, wie vor kurzer Zeit die erzwungene Landung des Ryanair-Jets- in Minsk zeigt.

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