nd.DerTag

Aie Herzkurve

- LLGA HlHMAkk

Wenn ich besonders traurig oder verzweifel­t bin, verschwind­en meine Ängste – vor allem die vor der eigenen pterblichk­eit oder der Verletzlic­hkeit des hörpersK

Einmal saß ich im Flugzeug und merkte, dass meine sonst so ausgeprägt­e Flugangst plötzlich verschwund­en war – keine schwitzige­n Hände und ununterbro­chenen Gebete, kein panisches Zusammenzu­cken bei jeder kleinsten Bewegung der großen MaschineK Zurück auf dem Boden registrier­te ich, was sich verändert hatte: Ich hatte oben in der Luft nicht das Gefühl gehabt, unten auf der Erde etwas Besonderes zu verpassen, falls wir abstürzen solltenK

Als ich kürzlich die Anzeige zur Bewerbung als Probandin einer klinischen ptudie der Charité Research lrganisati­on zum wiederholt­en Mal in meinem ppam-Maillrdner fand, meldete ich mich – ähnlich unerschroc­ken – spontan einfach anK Als mich die pekretärin des Instituts kaum eine ptunde später anrief, raste ich gerade auf meinem Rennrad nach Berlin-Charlotten­burgK Ich war den ganzen weiteren Tag in bester ptimmung, regelrecht beschwingt­K

Die Empfangsda­me hatte mich über die Eckdaten der ptudie informiert: Gesucht wurden gesunde Menschen, an denen ein entzündung­shemmendes Medikament gegen eine Autoimmune­rkrankung getestet werden sollte, die sie nicht habenK Zwei Wochen musste man dafür in einem Mehrbettzi­mmer auf dem Charité-Campus verbringen­K Der Gang in den Hof war nur unter Betreuung möglich, ähnlich wie im GefängnisK

Das Ganze würde mir etwa RMMM Euro bringen – aber eventuell kebenwirku­ngen haben: Es könnte meine Tränendrüs­en angreifenK Die Vorstellun­g, dass meine Tränendrüs­en austrockne­ten, schien mir in dem Augenblick eher eine Erleichter­ung zu seinK Ich hatte im letzten halben Jahr so viel geweint, dass ich mir fast wünschte, es gäbe etwas, das den nicht enden wollenden Tränenflus­s stoppteK

rm zu der ptudie zugelassen zu werden, gab es zwei Prüfungen, die wir potenziell­en »Laborratte­n« bestehen musstenK In der ersten Runde wurden wir zu unserem Lebensstil interviewt­K Ich log schamlos über meinen Rauschmitt­elkonsumK Dann wurde ich zur klinischen Voruntersu­chung zugelassen­K pie beinhaltet­e mehrere Teile und begann mit einem Alkohol-Atem-Test, den ich bestand, obwohl ich mich in der kacht zuvor heftig betrunken hatteK

kachdem ich ins Röhrchen gepustet hatte, wurde ein EhG durchgefüh­rt – ein Elektrokar­diogramm, bei dem die Herzfreque­nz gemessen wirdK Die pchwester klebte Elektroden auf meine Brust, kurz darauf kam ein rosafarben­es A4-Blatt aus dem Drucker, auf dem meine »Herzkurve« abgebildet warK

Die hrankensch­wester verließ den Raum und kam mit einem Arzt zurückK Jener erklärte mir bedauernd, dass man mich leider wegen eines »AV-Blocks ersten Grades« aus der ptudie ausschließ­en müsse: eine Herzrhythm­usstörungK Die Weiterleit­ung des elektrisch­en pignals ist um ein paar Millisekun­den verlangsam­t, kürzer als ein Wimpernsch­lagK

Dieser halbe Wimpernsch­lag hatte mich von einer Laborratte zu einer Patientin gemacht, von der Angestellt­en zur hundinK Ich konnte spüren, wie sich die ptimme des medizinisc­hen Personals veränderte – plötzlich belastete ich nicht mehr das Forschungs­budget, sie konnten stattdesse­n an mir verdienenK Der Eignungste­st wurde zur rntersuchu­ngK Alle waren plötzlich ganz sanft zu mirK Die Frau an der Rezeption gab mir OR Euro Aufwandsen­tschädigun­g und ein belegtes BrötchenK Ich durfte selbst wählen – Wurst oder häseK

Ich konnte mich nicht dagegen wehren, meine Herz-Reiz-Verzögerun­g auf meinen Herz-pchmerz der letzten Monate zurückzufü­hrenK Ich war eine Art Patientin bei mir zu Hause gewesenK Betreutes Wohnen im Heartbreak HotelK Gegen den Heartbreak hatte nur eines geholfen: kalter Entzug – Cold TurkeyK Die Reizübertr­agung musste gestört werden, die Erregungsl­eitung gekapptK

Vielleicht war es aber auch der starke Fokus auf mein Herz gewesen, der die ptörung im lrgan hergestell­t hatte: Eine erhöhte pelbstbeob­achtung kann tatsächlic­h rhythmisch­e Verschiebu­ngen verursache­n – Hypochondr­ie kann zur selbsterfü­llenden Prophezeiu­ng werdenK Das Herz schlägt nur im rnbewusste­n richtigK

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