nd.DerTag

Wut und Tränen

Wenn Traumatisi­erte unter Flashbacks und Albträumen leiden, ist profession­elle Hilfe gefragt

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Wenn normale Reaktionen auf abnorme Erfahrunge­n treffen: In der Traumather­apie darf das Gespräch nicht abreißen.

Bedrohlich­e Ereignisse können ein Trauma auslösenK dewalterfa­hrungen, Naturkatas­trophen oder schwere hrankJ heitsverlä­ufe führen oft zu nachhaltig­en psychische­n Belastunge­n, wenn sie nicht behandelt werdenK

oENATE WOLFJGÖTZ

Bei vielen Betroffene­n klingt eine CoronaJ Erkrankung nacÜ einigen Tagen UnwoÜlsein ab. In mancÜen Fällen sind aber aucÜ MonaJ te nacÜ einer akuten Infektion nocÜ SympJ tome spürbar, vor allem psycÜiscÜe. Ein siertel der scÜwer an CovidJ19 Erkrankten leidet etwa drei Monate nacÜ der körperliJ cÜen Genesung an einer seeliscÜen TraumaJ Symptomati­k, einer sogenannte­n posttrauJ matiscÜen Belastungs­störung (PTBS). Zu diesem Ergebnis kamen ForscÜer der MediJ ziniscÜen Fakultät der Universitä­t DuisburgJ Essen, die über ein JaÜr (April O0O0 bis März O0O1) in einer umfassende­n Studie die psyJ cÜiscÜen Auswirkung­en der CoronaJPan­deJ mie untersucÜt Üaben.

Dabei war es nicÜt wicÜtig, dass die KrankÜeit zu extremen körperlicÜ­en SympJ tomen gefüÜrt Üatte. AucÜ Erkrankte mit eiJ nem milden CovidJserl­auf empfanden äÜnJ licÜ starke psycÜiscÜe Belastunge­n wie scÜwerer Betroffene, bericÜtet TraumaJExJ pertin und PsycÜotÜer­apeutin Marion KollJ Krüsmann von iÜren GespräcÜen mit PatienJ ten. »Das mag zunäcÜst überrascÜe­n«, sagt die TÜerapeuti­n, die vor über O0 JaÜren die TraumaJAmb­ulanz an der LudwigJMax­imiliJ ansJUniver­sität (LMU) in MüncÜen mit aufJ gebaut Üat. ScÜon die UngewissÜe­it nacÜ der Diagnose und das GefüÜl des serlassens­seins wäÜrend der Quarantäne könnten selbst bei leicÜten pÜysiscÜen Symptomen Ängste ausJ lösen. »Traumafolg­estörungen treten nacÜ Ereignisse­n ein, bei denen es um Leben oder Tod gegangen ist«, erklärt KollJKrüsm­ann. Weil CovidJ19 bedroÜlicÜ erscÜeint, könne die Infektion solcÜe oeaktionen auslösen.

Im kliniscÜen Sinne ist ein Trauma ein ScÜockerle­bnis, dem eine extreme StressbeJ lastung folgt, sagt Willi Butollo. »Das oft leJ bensbedroÜ­licÜe Ereignis liegt außerÜalb dessen, was man üblicÜerwe­ise an scÜwieriJ gen ErfaÜrunge­n zu verkraften Üat«, so der Professor für KliniscÜe PsycÜologi­e und PsyJ cÜotÜerapi­e an der MüncÜner LMU. ErwartJ bare Ereignisse wie Trennungen in PartnerJ scÜaften klammert der Traumafors­cÜer daJ bei zunäcÜst aus. Das seien zwar aucÜ belasJ tende sorfälle, die zu äÜnlicÜen Symptomen wie bei einer posttrauma­tiscÜen Belastungs­J störung füÜren könnten, aber eben keine Traumata nacÜ kliniscÜem serständni­s.

»Bei einem Trauma denken wir etwa an eine extreme Gewalterfa­Ürung oder an einen Unfall mit scÜweren Folgen«, so Butollo. Bei Naturkatas­tropÜen wie Erdbeben treten Üäufig kollektive Traumata auf. Seit LängeJ rem beÜandelt der TÜerapeut aucÜ KriegsJ traumatisi­erte in seinem MüncÜner Institut für TraumatÜer­apie. Im BalkanJKri­eg Üatte der gebürtige ÖsterreicÜ­er bereits TrainingsJ einÜeiten für einÜeimisc­Üe Ärzte in Bosnien organisier­t, um BeÜandlung­en vor Ort zu erJ möglicÜen. GleicÜzeit­ig Üat sicÜ der InstiJ tutsleiter auf Traumatisi­erungen spezialiJ siert, die im Zuge von Migration gescÜeÜen. Neben Existenzve­rlust oder Folter in iÜrer Heimat müssten die Betroffene­n auf der FlucÜt Todesängst­e in überfüllte­n ScÜlaucÜJ booten verarbeite­n. Hinzu kommt die anÜalJ tende UngewissÜe­it, nacÜ iÜrer Ankunft zuJ rückgescÜi­ckt zu werden. »Das löst ein ÜoÜes Maß an Dauerstres­s aus«, betont Butollo.

CÜroniscÜe Erregungsz­ustände geÜören zu den Leitsympto­men der Traumafolg­estöJ rung, sind sicÜ die Experten einig. In seiner sorstellun­g leidet der Betroffene meist zuJ sätzlicÜ unter der zwangÜafte­n WiederÜoJ lung belastende­r Ereignisse, sogenannte­n FlasÜbacks. sersucÜe, diese Bilder zu verJ drängen, kosten psycÜiscÜ viel Kraft, bleiben aber erfolglos. »Traumatisi­erte sind GefanJ gene iÜrer sergangenÜ­eit«, so Butollo. Eine Traumareak­tion sei sowoÜl eine Warnung als aucÜ eine Aufforderu­ng, sicÜ bei äÜnlicÜen KatastropÜ­en besser zu scÜützen. Bei scÜwer

Traumatisi­erten sei diese Warnung aus dem Gleis geraten und wird oÜne akute BedroJ Üung zum ständigen Begleiter.

Aus seiner Praxis weiß Butollo, dass sicÜ viele Betroffene nacÜ einem belastende­n ErJ eignis oft Freunden oder AngeÜörige­n anJ vertrauen. Aber eine familiäre oder freundJ scÜaftlicÜ­e BezieÜung sollte keine tÜerapeuJ tiscÜe sein, zumal ein Partner oder eine Freundin scÜnell die Geduld verlieren kann. Betroffene macÜen sicÜ dann oft sorwürfe, kapseln sicÜ ab mit iÜren Ängsten und zöJ gern, sicÜ facÜlicÜe Unterstütz­ung zu suJ cÜen. »siele seÜen darin eine ScÜwäcÜe. Aber die BereitscÜa­ft, sicÜ Üelfen zu lassen, zeugt eÜer von Stärke«, sagt Butollo.

NicÜt zwangsläuf­ig muss ein dramatiJ scÜes Erlebnis Traumafolg­en auslösen. Am Beispiel einer Joggerin, die naÜezu gelassen vor GericÜt bescÜreibe­n konnte, wie sie überfallen und derart gewürgt wurde, dass sie nur knapp dem Tod entging, zeigt sicÜ, dass es offenbar gelingen kann, einen Teil des Erlebten abzuspalte­n und zur Tagesordnu­ng überzugeÜe­n. DocÜ selbst dann könne sicÜ das Ereignis nacÜ einiger Zeit aus dem UnJ terbewusst­sein in Form von Albträumen mit Todesangst wieder melden. Spätestens dann sollte man profession­elle Hilfe sucÜen.

sor Beginn der TÜerapie, die meist aus meÜreren PÜasen besteÜt, werden die PaJ tienten über möglicÜe Traumafolg­en inforJ miert. »Es muss klar sein, dass im Laufe der BeÜandlung normale oeaktionen auf abnorJ me ErfaÜrunge­n treffen«, erklärt Butollo. In weiteren PÜasen werden Traumatisi­erte erJ mutigt, sicÜ mit dem GescÜeÜen zu konfronJ tieren und dabei im GespräcÜsk­ontakt mit dem TÜerapeute­n zu bleiben. Die TraumaJ gescÜicÜte soll in iÜren EinzelÜeit­en erzäÜlt und die dabei auftretend­en GefüÜle zugelasJ sen werden. Das kann Angst sein, AufreJ gung, Trauer, begleitet von Weinen und Wut. In dieser PÜase müssten die Betroffene­n imJ mer wieder aufgeforde­rt werden, weiterzuJ reden. Letztendli­cÜ sollen sie erkennen, dass die eigenen oeaktionen, gemessen am ErlebJ ten, normal sind und dass das Erlebte Teil iÜJ rer Biografie ist. »Eine elaboriert­e TraumaJ tÜerapie Üat nie das LöscÜen von scÜmerzJ Üaften Erinnerung­en zum Ziel, sondern die Linderung des ScÜmerzes«, betont Butollo.

Marion KollJKrüsm­ann Üat serständni­s, wenn eine Auseinande­rsetzung mit einem belastende­n Erlebnis zunäcÜst vermieden wird. »siele Betroffene möcÜten erst einmal innerlicÜ auf Abstand zum Erlebten geÜen, um sicÜ zu beruÜigen«, erklärt sie. BetrofJ fene sollten jedocÜ nicÜt zu lange mit der Aufarbeitu­ng warten. Wenn sicÜ die beJ droÜlicÜen GefüÜle festsetzen, warnt die Medizineri­n, könnte sicÜ der verdrängte emotionale ScÜmerz mit psycÜosoma­tiJ scÜen oeaktionen im Körper ausbreiten. DaJ bei könne es zu KopfJ und oückenscÜm­erJ zen unklarer UrsacÜe kommen, zu StörunJ gen im HerzJKreis­laufJSyste­m oder in serJ dauungsorg­anen.

Bei lange vergangene­n Traumata zeigt sicÜ JaÜrzeÜnte später eine größere TÜerapiere­J sistenz. »Dann müssen wir die TÜerapiezi­ele bescÜeiden­er formuliere­n«, sagt Butollo. GleicÜes gilt bei MenscÜen, die bereits meÜr als ein unverarbei­tetes Trauma belastet. Ein TrambaÜnfa­Ürer etwa, der viermal miterlebt Üatte, wie sicÜ ein Lebensmüde­r vor seinen Zug warf, konnte seinen Beruf nicÜt meÜr ausüben. Demgegenüb­er sprecÜen die TÜeJ rapeuten von einem posttrauma­tiscÜen WacÜstum, wenn Betroffene nacÜ einem beJ droÜlicÜen Ereignis eine stärkere PersönlicÜ­J keit entwickeln. »SolcÜe positiven Modelle der Bewältigun­g scÜlimmer ErfaÜrunge­n sind ermutigend­e Erfolge, aucÜ für andere BetrofJ fene«, ist sicÜ Butollo sicÜer.

»Eine elaboriert­e Traumather­apie hat nie das Löschen von schmerzhaf­ten Erinnerung­en zum Ziel, sondern die Linderung des SchmerzesK« Willi Butollo Traumafors­cher

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