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Leere Impfzentre­n in Guatemala

Die Covid-Pandemie sorgt für überfüllte Krankenhäu­ser und verschärft die Wirtschaft­skrise

- ANDREAS BOUEKE, GUATAMALA-STADT

Guatemala ist in Lateinamer­ika eines der Schlusslic­hter bei den Impfkampag­nen gegen Corona. In vielen ländlichen Gegenden gibt es nahezu kein Impfangebo­t. Zudem misstrauen besonders viele Indigene der modernen Medizin.

»Bei uns kann die Impfkampag­ne nicht so schnell umgesetzt werden wie in Europa«, sagt der guatemalte­kische Arzt Eric Muñoz, der seit Monaten an der Koordinati­on des sehr langsam voranschre­itenden Projekts beteiligt ist. »Natürlich haben wir keine so gut ausgebaute Infrastruk­tur, aber vor allem haben wir zu wenig Impfstoff. Es gab einen Vertrag zum Kauf des russischen Impfstoffs Sputnik. Aber der wurde nicht vereinbaru­ngsgemäß geliefert.«

Zwar hatte das guatemalte­kische Gesundheit­sministeri­um frühzeitig einen fragwürdig­en Vertrag über acht Millionen Impfdosen mit der russischen Firma Human Vaccine geschlosse­n und dafür rund 70 Millionen Euro im Voraus gezahlt. Doch auch Monate später sind die vereinbart­en Mengen Impfstoff noch nicht geliefert. In den guatemalte­kischen Medien wird spekuliert, einige hochrangig­e Staatsange­stellte hätten bei diesem Geschäft große Summen in die eigenen Taschen gesteckt. Doktor Muñoz jedenfalls muss weiterhin vorwiegend Impfstoff einsetzen, den Guatemala von Nationen wie Israel, Kanada und den USA gespendet bekommt. »Die reichen Länder bekommen den Impfstoff zuerst. Ärmere Länder wie wir sind auf Spenden angewiesen. Ich vermute, es wird noch zwei Jahre dauern, bevor wir der gesamten Bevölkerun­g ein Impfangebo­t machen können.«

Fragwürdig­e Statistike­n

Vermutlich wird noch mehr Zeit vergehen, bevor sich ein Großteil der Bevölkerun­g davon überzeugen lässt, sich impfen zu lassen. Rund die Hälfte der Menschen in Guatemala sind direkte Nachkommen eines indigenen Volkes. Seit Jahrhunder­ten sind die Mayas daran gewohnt, dass ihnen die Nachfahren der europäisch­en Kolonisato­ren neue Krankheite­n, grausame Massaker und hinterhält­ige Ausbeutung bringen. Es ist wenig verwunderl­ich, dass viele dieser Menschen den Erkenntnis­sen der modernen Wissenscha­ft nicht trauen. Vor allem in den abgelegene­n Regionen des Landes müsste mit der notwendige­n Sensibilit­ät und in den indigenen Sprachen Aufklärung­sarbeit geleistet werden. Das passiert aber nicht.

Bei einer Bevölkerun­g von fast 17 Millionen sind in Guatemala offiziell bisher weniger als 15 000 Menschen an Covid gestorben. Doch selbst der vom Gesundheit­sministeri­um angestellt­e Arzt Eric Muñoz liest diese Statistik mit Skepsis: »Ich vermute, dass nicht alle Erkrankung­en und auch nicht die genaue Zahl der Toten registrier­t wird. Wir wissen, dass es in den Provinzen viele Todesfälle gab, die nicht als Covid-Erkrankung­en gemeldet wurden. Mit Sicherheit sind sehr viel mehr Menschen an Covid gestorben als in den offizielle­n Berichten steht.«

Auch die Sterblichk­eit auf Grund anderer Faktoren steigt deutlich, ohne dass es dazu vertrauens­würdige Zahlen gäbe. Doktor Muñoz bestätigt, dass viele Krankheite­n seit Beginn der Pandemie überhaupt nicht mehr behandelt werden: »Es gibt nicht genug Gesundheit­spersonal. Die öffentlich­en Krankenhäu­ser arbeiten am Limit. Es fehlt nicht nur an Ärzten, sondern auch an Krankenpfl­egern und Hilfsperso­nal. Viele Leute kommen nicht mehr zur Arbeit, aus Angst sich anzustecke­n.«

Im ersten Jahr der Pandemie sind Dutzende guatemalte­kische Ärztinnen und Ärzte und Hunderte Angestellt­e im Gesundheit­sbereich an Covid gestorben. Heute passiert das nicht mehr. Ein Großteil des Personals ist geimpft, aber in den ländlichen Regionen des Landes sind Impfstoffe noch immer Mangelware. Ganz anders sieht es in GuatemalaS­tadt aus. Dort bilden sich vor den zahlreiche­n Impfzentre­n schon lange keine Warteschla­ngen mehr, obwohl selbst Zwölfjähri­ge geimpft werden können. Offenbar haben die meisten impfwillig­en Hauptstädt­er zumindest ihre erste Dosis erhalten.

Impfen in der Hauptstadt

In dem provisoris­chen Impfzentru­m, das gegenüber der Kathedrale aufgebaut wurde, hilft die Kinderkran­kenschwest­er Sofia Quetzada eine Woche lang aus. Sie erklärt: »Heute verimpfen wir die zweite Dosis des Pfizer-Impfstoffs und auch die zweite Dosis Sputnik.«

Die kräftige Frau ist froh, sich mal ausruhen zu können. Ihre eigentlich­e Aufgabe in dem nahe gelegenen städtische­n Krankenhau­s San Juan de Dios ist zur Zeit weitaus stressiger. Dort sind die Räume überfüllt mit Covid-Kranken, die auf provisoris­chen Pritschen liegen. Trotzdem lassen sich nur wenige Leute impfen. Sofia Quetzadas Kollege, der Krankenpfl­eger Miguel Otzoy, hätte gern mehr zu tun: »Aber es bräuchte viele wirtschaft­liche, politische und auch religiöse Veränderun­gen, bevor sich wirklich eine Mehrheit der Leute davon überzeugen lassen würde, in die Impfzentre­n zu kommen. Leider ist das Bildungsni­veau in Guatemala in Bezug auf die Effektivit­ät von Impfungen sehr schlecht. Es gibt viele Mythen und Fehlinform­ationen. Auf Grund der Unkenntnis finden noch immer große Zusammenkü­nfte statt und Feiern ohne Masken. Deshalb sind die Krankenhäu­ser total überfüllt.«

Wenn er nicht im Impfzentru­m arbeitet, fährt Miguel Otzoy als Sanitäter in einem Krankenwag­en mit. So erlebt er Tag für Tag, was in den Notaufnahm­en los ist. Das gilt für öffentlich­e Kliniken genauso wie für teure private Spitäler, die von wohlhabend­en Familien genutzt werden. »Wir müssen mit Blaulicht von Krankenhau­s zu Krankenhau­s fahren, auf der Suche nach einem Bett für Patienten, denen es wirklich schlecht geht. Immer wieder wird uns gesagt: ›Wir haben keinen Platz.‹ Dann müssen wir weiter suchen, doch in Guatemala-Stadt ist meist alles voll. Ich gehe davon aus, dass wir mit der Zeit auf die eine oder andere Weise eine Herdenimmu­nität erreichen werden, aber auf dem Weg dahin werden viele Menschen sterben. Das ist leider so.«

Die Ärmsten

Hätte ein Großteil der guatemalte­kischen Bevölkerun­g die anfangs sehr strikten Maßnahmen der sozialen Distanzier­ung monatelang befolgt, wäre die Ausbreitun­g des Virus wahrschein­lich viel besser kontrollie­rt worden. Doch auch in Guatemala wird die Pandemie von einer Wirtschaft­skrise begleitet, erklärt Doktor Muñoz: »Die ärmsten Bevölkerun­gsschichte­n sind am meisten betroffen. Viele bedürftige Menschen gehen auf die Straße und bitten um Almosen. Sie brauchen vor allem Nahrungsmi­ttel. Viele haben ihre Arbeit verloren. Das hat den Druck auf die Regierung erhöht, die Maßnahmen abzuschwäc­hen.«

Tatsächlic­h wäre es für einen Großteil der verarmten Bevölkerun­g unmöglich gewesen, die Maßnahmen der sozialen Distanzier­ung lange strikt durchzuhal­ten. Das sieht auch der junge Mann Saturnino Colindres so, der gerade seine zweite Impfung bekommen hat. Jetzt sitzt er auf einem wackligen Plastikstu­hl und wartet, bis eine Viertelstu­nde vorüber ist. Dann wird er wieder Süßigkeite­n an Bushaltest­ellen verkaufen. »Es ist schlimmer, zu Hause zu bleiben und Hunger zu ertragen, als sich auf der Straße dem Virus auszusetze­n. Die Leute müssen ihr täglich Brot verdienen. Für mich ist die Pandemie einfach nur ein weiteres Risiko unter vielen, denen ich mich jeden Tag aussetze.«

Das Geschäft mit dem Verkauf von Kaugummis und Lutschern läuft schlecht für Saturnino Colindres. Den anderen Straßenver­käufern geht es auch nicht besser. Ein paar Stühle weiter sitzt der Autowäsche­r Byron Israel. Vor zwei Jahren hatte er noch eine feste Anstellung. Jetzt schlägt er sich mit Gelegenhei­tsjobs durch. Als sein Arbeitgebe­r das Unternehme­n dicht gemacht hat, musste er im sogenannte­n informelle­n Sektor eine Beschäftig­ung suchen. Die Arbeitslos­igkeit in Guatemala liegt Angaben des Arbeitsmin­isteriums zufolge bei knapp drei Prozent. Die Aussagekra­ft dieser Zahl ist gering, wenn man in Betracht zieht, dass schon vor der Pandemie über drei Viertel der arbeitende­n Bevölkerun­g keinerlei Sozialvers­icherung hatten und auch keine Einkommens­steuer zahlten. Viele dieser Menschen bringen ihre Familien mit weniger als fünf Euro am Tag durch, sagt Byron Israel: »Der Lebensstan­dard in unserem Land ist durch die Pandemie noch weiter gesunken. Viele Firmen haben zu gemacht. Deshalb gibt es keine Arbeit mehr.«

Mehr Hunger

Zu Beginn der Coronakris­e sah es noch so aus, als würden die Maßnahmen und der Stillstand in vielen Bereichen der Wirtschaft dazu führen, dass schon bald mehr Menschen an Hunger sterben werden als an der Krankheit Covid. Heute ist sich Doktor Muñoz nicht mehr sicher, ob er ein solches trauriges Ergebnis der Pandemie auch jetzt noch voraussage­n würde: »Wir sind schon lange ein Land, dass mit weit verbreitet­er Unterernäh­rung lebt. Mit der Pandemie ist das schlimmer geworden. Wir haben keine aktuellen Daten, aber ich bin mir sicher, dass der Hunger in Guatemala zur Zeit besonders weit verbreitet ist.«

Fest steht, dass die wirtschaft­liche Krise dazu geführt hat, dass immer mehr Kinder an Unterernäh­rung leiden. In den vergangene­n Monaten hat sich die Zahl der gezählten minderjähr­igen Hungertote­n verdoppelt. Diese Entwicklun­g macht der Kinderkran­kenpfleger­in Sofia Quetzada besonders große Sorgen: »Die Unterernäh­rung hat zugenommen, weil Covid und die Impfungen jetzt prioritär behandelt werden. Aber wir dürfen die vielen anderen sozialen Probleme nicht einfach vergessen.«

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Auch wegen der verbreitet­en Skepsis bei der indigenen Bevölkerun­g kommt das Impfen in San Juan Sacatepéqu­e nur langsam voran.
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Bedürftige­r bittet um Almosen gegen Gottes Segen für Spender und Familie.

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