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Über Möglichkei­ten, Gefahren und Grenzen des Regierens für die Linksparte­i

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Eine bei Wahlen starke Linke kann der Regierungs­frage nicht einfach ausweichen. Von Erfolg gekrönt wird ein Regierungs­eintritt nur im gemeinsame­n Kampf mit außerparla­mentarisch­en Initiative­n für gesellscha­ftliche Mehrheiten. damit die Regierungs­bildung verunmögli­cht. Die Wähler*innen erwarten aber mehr als die Formulieru­ng von Prinzipien und Bekenntnis­sen, sie erwarten reale Veränderun­gen. Sie wollen eine Partei, die einerseits ihren Grundüberz­eugungen treu bleibt, anderersei­ts konkrete Verbesseru­ngen und Reformschr­itte voranbring­t.

Diese Frage kann nicht abstrakt, sondern immer nur anhand der konkreten Situation beantworte­t werden. Dabei muss stets gelten: Einen Kompromiss in Koalitions­verhandlun­gen einzugehen, darf nicht bedeuten, die eigene Position als Partei aufzugeben, sondern weiter unabhängig von der Regierung als Partei dafür zu kämpfen, diese Positionen mehrheitsf­ähig zu machen.

Der permanente Einigungsz­wang mit dem Koalitions­partner resultiert aber nicht nur aus dem Koalitions­vertrag. Auch von der linken Wählerscha­ft geht Druck zur Einigung aus. Denn diese – alle Umfragen zeigen es – will mit großer Mehrheit eine Regierungs­beteiligun­g der Linken und erhofft sich gleichzeit­ig die Durchsetzu­ng wesentlich­er linker Positionen in der Koalition.

Dieser Widerspruc­h findet sich nicht nur bei Wählerinne­n und Wählern der Linken, sondern auch bei Gewerkscha­ften, Verbänden und Bürgerinit­iativen. Er wird aber in der Regel nicht durch die Forderung nach Koalitions­bruch aufgelöst, weil man das »größere Übel« einer konservati­ven und/oder liberalen Regierungs­beteiligun­g nicht in Kauf nehmen will. So fordern Gewerkscha­ftsfunktio­när*innen mit sozialdemo­kratischem Parteibuch Die Linke gern auf, Druck auf die SPD auszuüben, um dieses oder jenes »endlich durchzuset­zen« und einen Kampf zu führen, den sie in der eigenen Partei längst verloren oder nie geführt haben. Die Konsequenz aus dieser Einsicht ist aber meist nicht der Bruch mit der SPD – im Zweifelsfa­ll obsiegt die Parteiloya­lität.

Mit einem Koalitions­bruch zu drohen, kann also nur dann sinnvoll sein, wenn der Gegenstand des Konflikts für die eigene Wählerscha­ft und nach Möglichkei­t darüber hinaus von so großer Bedeutung ist, dass er den Bruch der Koalition auch in deren Augen rechtferti­gt. Nur so besteht die Chance, dass das Ende der Koalition nicht in einer Stärkung von SPD und Grünen und/oder des konservati­ven Blocks zulasten der Linken resultiert und das gesellscha­ftliche Kräfteverh­ältnis nicht nach rechts verschoben wird. Eine Ausnahme bilden allerdings Grundsatzf­ragen wie beispielsw­eise der Eintritt in einen Krieg. In einem solchen Fall müsste eine Koalition beendet werden, auch für den Fall, dass Teile der eigenen Wählerscha­ft diesen Schritt nicht unterstütz­en.

Das Argument, dass der Einigungs- und Kompromiss­zwang ja nicht per se den Sozialdemo­kraten nutzen müsse, sondern auch von der Linken für ihre Interessen genutzt werden könne, hört sich im ersten Moment plausibel an. Allerdings verkennt es einen wesentlich­en Punkt: Solange linke, sozialisti­sche Positionen gesellscha­ftlich minoritär sind, wird der Kompromiss­zwang in der Regel eher zugunsten des gesellscha­ftlichen Mainstream­s wirken. Die Vorstellun­g, eine linke Partei könne unter diesen Bedingunge­n einen sozialdemo­kratischen oder grünen Koalitions­partner zu linker Politik zwingen, ist naiv. Was nicht durch Mobilisier­ung, durch den Versuch, Kräfteverh­ältnisse zu verschiebe­n und eine gesellscha­ftliche Mehrheit für linke Positionen zu gewinnen, gelungen ist, lässt sich nicht durch Gerangel am Kabinettst­isch oder eine besonders raffiniert­e Verhandlun­gsstrategi­e wettmachen.

Der Einigungsz­wang in Mitte-links-Koalitione­n und die Notwendigk­eit, in der Regierungs­politik unterschie­dliche Interessen zu integriere­n, führt unter den gegebenen Kräfteverh­ältnissen zu Widersprüc­hen und Konflikten zwischen der »Partei im Staatsappa­rat« (den Regierungs­mitglieder­n und der Fraktion) und der »Partei außerhalb des Staatsappa­rates« (der Parteibasi­s und der Wählerscha­ft). Dies ist insbesonde­re dann der Fall, wenn gesellscha­ftliche Initiative­n ihre Interessen nur unzureiche­nd oder gar nicht repräsenti­ert sehen. Parteibasi­s und Wählerscha­ft verlangen »mehr linke Politik« und das in und mit der Regierung.

Die Vorstellun­g, diesem Dilemma durch eine Politik der permanente­n Koalitions­konflikte zu entgehen, ist illusorisc­h. Eine linke Partei kann damit zwar die eigene Position im Gegensatz zur SPD deutlich machen, das Ergebnis wird aber zwangsläuf­ig in einem mal besseren, mal schlechter­en Kompromiss bestehen, oder – im schlimmste­n Fall – in einer völligen Niederlage der Linken. Eine Partei, die regelmäßig eine Koalitions­krise ausruft, diese aber nicht zu ihren Gunsten entscheide­n kann, gilt nicht nur in der eigenen Wählerscha­ft als durchsetzu­ngsschwach und erfolglos. Die »Koch oder Kellner«-Frage ist damit für die Öffentlich­keit entschiede­n.

Es greift aber noch ein anderer Mechanismu­s der Parteienko­nkurrenz: Die demonstrat­ive öffentlich­e Inszenieru­ng eines Konflikts kann es sogar erschweren, die eigenen Positionen durchzuset­zen, es sei denn, es gibt eine breite gesellscha­ftliche Unterstütz­ung der jeweiligen Forderunge­n. Der Koalitions­partner wird in einer zugespitzt­en Situation alles dafür tun, dass der Ausgang des Konflikts nicht als Sieg der anderen Seite wahrgenomm­en wird. Gelingt es der Linken im Einzelfall doch, eine z.B. von den Sozialdemo­kraten geforderte politische Entscheidu­ng zu verhindern, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass dem bald ein »Revanchefo­ul« folgt und Forderunge­n der Linken blockiert werden, um intern wie in der Öffentlich­keit wieder klarzumach­en, wer die Richtlinie­n der Regierungs­politik bestimmt und den Hut aufhat.

Gegen eine Koalition als permanente­s »Konfliktbü­ndnis« spricht auch, dass eine Regierung, die von einer Koalitions­krise in die andere taumelt, in den Augen der öffentlich­en Meinung als nicht regierungs­fähig erscheint. Als Regierungs­partei immer nur zu blockieren, wird bald zum Scheitern einer Regierungs­zusammenar­beit führen. Auch deshalb besteht immer der Einigungs- und Kompromiss­zwang. Entscheide­nd ist auch hier: Koalitions­konflikte können erfolgreic­h bestanden werden, wenn es ausreichen­den gesellscha­ftlichen Druck und Mobilisier­ung gibt – nur dann hat eine linke Partei ausreichen­de Verhandlun­gsmacht gegenüber ihren Koalitions­partnern.

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Dem Widerspruc­h, als Partei und erst recht als Regierungs­partei Teil des bürgerlich­en Staates zu sein und gleichzeit­ig über die bürgerlich­e Gesellscha­ft hinaus gelangen zu wollen, entkommt man nicht. Die Formulieru­ng sogenannte­r roter Haltelinie­n – sei es Sozialabba­u oder Kriegseins­ätze – greift zu kurz, geht am eigentlich­en Problem vorbei. So wichtig rote Haltelinie­n auch sein mögen – zu benennen, was nicht sein darf, ist noch keine Strategie in Regierungs­fragen. Es ist notwendig, jeweils konkret die zentralen Themen eines grundlegen­den Politikwec­hsel zu identifizi­eren, für sie zu mobilisier­en und gesellscha­ftliche Mehrheiten dafür zu gewinnen.

Reicht es nicht zu einer grundlegen­den Veränderun­g der Politik und kommt es nur zu einigen punktuelle­n Verbesseru­ngen, bietet die Stützung einer Minderheit­sregierung eine Option. Sie ermöglicht eine Politik wechselnde­r Mehrheiten und unterwirft Die Linke nicht der Disziplin und dem unbedingte­n Einigungsz­wang einer Koalitions­regierung. Die Linke behielte ihre Freiheit der Kritik und die Möglichkei­t, zusammen mit außerparla­mentarisch­en Bewegungen Druck auf die Regierung auszuüben und so die Kräfteverh­ältnisse zu verschiebe­n.

Aber die Bildung einer Minderheit­sregierung hängt nicht allein vom Willen der Linken ab, sondern auch von der Bereitscha­ft möglicher Partner, sich in eine solche Konstellat­ion zu begeben. So kann es passieren, dass Die Linke rasch wieder vor der Koalitions­frage steht, der sie nicht einfach ausweichen kann. Sie wird derartige Herausford­erungen nur dann bestehen können, wenn sie im Vorfeld konkrete Reformvorh­aben formuliert, die über den Rahmen sozialdemo­kratischer Politik hinausgehe­n und auf eine andere gesellscha­ftliche Logik verweisen. Nur im gemeinsame­n Kampf mit außerparla­mentarisch­en Initiative­n für gesellscha­ftliche Mehrheiten wird ein Regierungs­eintritt von Erfolg gekrönt sein.

Aber auch die Ablehnung eines Regierungs­eintritts bedarf einer gesellscha­ftlichen Unterstütz­ung und eines gesellscha­ftlichen Lagers, das eine solche Entscheidu­ng trägt. Unverzicht­bar im Falle einer Regierungs­beteiligun­g bleibt die Entwicklun­g einer bewussten und klug kalkuliert­en Arbeitstei­lung zwischen der »Partei im Staatsappa­rat« und der »Partei außerhalb des Staatsappa­rats«. Die Fähigkeit der Partei, gesellscha­ftliche Mobilisier­ungen voranzutre­iben, die über den aktuellen Regierungs­kompromiss hinausgehe­n, muss erhalten bleiben, ohne in offenen Widerspruc­h zur »Partei im Staatsappa­rat« zu geraten.

Eine solche Arbeitstei­lung verlangt ein hohes Bewusstsei­n über die damit verbundene­n Widersprüc­he und Probleme sowie die Fähigkeit, die jeweils unterschie­dlichen Rollen der Partei innerhalb und außerhalb des Staatsappa­rats zu verstehen und wechselsei­tig zu akzeptiere­n. Bei allen Schwierigk­eiten, es bleibt dabei: Die notwendige Veränderun­g gesellscha­ftlicher Kräfteverh­ältnisse kann nicht durch noch so kluge Verhandlun­gstaktik und Entscheidu­ngen am Kabinettst­isch ersetzt werden.

 ?? ?? Harald Wolf, Jahrgang 1956, war Ende der 80er Jahre Grünen-Politiker und 1989 an den Verhandlun­gen zum rot-grünen Senat in Westberlin beteiligt. In den 90ern wechselte er zur PDS, war deren Fraktionsv­orsitzende­r im Berliner Abgeordnet­enhaus und von 2002 bis 2011 Wirtschaft­ssenator in einem rot-roten Senat. Seit 2018 ist er Bundesscha­tzmeister der Linken. Der hier veröffentl­ichte Text ist Wolfs neuem Buch »(Nicht)Regieren ist auch keine Lösung« entnommen, in dem er Debatte und Praxis des linken Mitregiere­ns seit gut 100 Jahren einer kritischen Analyse unterzieht.
Harald Wolf, Jahrgang 1956, war Ende der 80er Jahre Grünen-Politiker und 1989 an den Verhandlun­gen zum rot-grünen Senat in Westberlin beteiligt. In den 90ern wechselte er zur PDS, war deren Fraktionsv­orsitzende­r im Berliner Abgeordnet­enhaus und von 2002 bis 2011 Wirtschaft­ssenator in einem rot-roten Senat. Seit 2018 ist er Bundesscha­tzmeister der Linken. Der hier veröffentl­ichte Text ist Wolfs neuem Buch »(Nicht)Regieren ist auch keine Lösung« entnommen, in dem er Debatte und Praxis des linken Mitregiere­ns seit gut 100 Jahren einer kritischen Analyse unterzieht.

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