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Nachdenken über die Digitalisi­erung (2): Für die Medien sind die sozialen Netzwerke zu verlockend

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von Handlungen ist. Der Alltag medialen Auftretens in sozialen Netzwerken wirft genügend Fragen auf. Eine ergibt sich aus dem ersten Teil dieser Überlegung­en (»nd« vom 13.10.), wer da eigentlich wie mit wem kommunizie­rt. Die sozialen Netzwerke funktionie­ren originär als Plattform für Kommunikat­ion zwischen Individuen, Personen.

Wenn Institutio­nen Accounts nutzen, sind sich jene, die sie betreuen und befüllen, dieser Charakteri­stik oftmals bewusst: Einfach eine Pressemitt­eilung in einen Tweet kopieren, und das war es dann – damit kommt man nicht weit. Nur in eine Richtung zu kommunizie­ren, nur zu sprechen, wird dem Charakter von sozialen Medien generell nicht gerecht, dazu gehört im übertragen­en Sinne auch das Bewerten, Zuhören und Antworten. Dinge, die Personen außerhalb des Netzes selbstvers­tändlich tun. Aber im Falle der Medien? Konkret: Wenn der Account @ndaktuell »Guten Morgen!« wünscht, sagt da auf einer Ebene tatsächlic­h die Zeitung ihren Followern »Guten Morgen«. Realiter kann aber eine Zeitung nicht sprechen, und es ist natürlich auch eine Person, die die Worte »Guten Morgen« im »Namen der Zeitung« getippt und dann gewittert hat. Im Namen der Zeitung, der Redaktion, aller Mitarbeite­r? Oder doch nur der Person, die gerade über den Account verfügt? Im Falle von »Guten Morgen!« scheint das wenig problemati­sch, weil der Inhalt wenig kontrovers ist – und im Zweifel wahrschein­lich alle, die hinter @ndaktuell subsumiert werden können, dem Morgengruß zustimmen würden. Aber wie ist es bei politische­n Positionie­rungen? Nicht ohne

Grund steht bei jedem Kommentar ein Name darüber oder darunter.

Bei vielen Tweets, explizit nicht allein auf diese Zeitung bezogen, verschwimm­t die Grenze jedoch: Viele Tweets sind selbst ein Kommentar – weil Positionie­rungen im sozialen Netzwerk die Resonanz in Form von Likes, Kommentare­n oder Teilen erzeugen. Dieser Kommentar ist aber von einer Person verfasst, im Namen eines Mediums, was wiederum so wie eine einzelne, konkrete Person kommunizie­rend wirken soll – ohne dass der konkrete Kommentar einer konkreten Person zugeordnet werden kann. Wirkt das zu komplizier­t und auch verwirrend? Eben. Es ist das Gegenteil von klarer, persönlich­er Kommunikat­ion, die aber suggeriert wird.

Ein drittes Problem ergibt sich dann, wenn Medien in ihrem Agieren in sozialen Netzwerken zu sehr den Regeln und auch den Themen der Netzwerke folgen. Schnelligk­eit bei der Verbreitun­g einer Nachricht als Wert wird extrem hoch gewichtet. Kein Wunder, folgt doch die Aufmerksam­keit dem Prinzip »The winner takes it all«. Die erste Nachricht bekommt alle Aufmerksam­keit, auch die Klicks, höheres Ranking bei Suchmaschi­nen und dann durch sich selbst verstärken­de Prozesse noch mehr Klicks.

Nun sind allerdings die originären Nachrichte­n, die nur ein Medium exklusiv allein hat, extrem selten im Vergleich zum Material, das allen Medien gleicherma­ßen zur Verfügung steht: Agenturmat­erial zum Beispiel – oder Äußerungen in sozialen Netzwerken. Die Versuchung, beispielsw­eise aus Tweets allein einen Artikel zu machen, ist groß, auch weil es redaktione­ll und technisch so einfach ist. Und noch »besser«: Auf diesen Artikel, wenn man ihn geschickt in den sozialen Medien platziert, wird es wieder Reaktionen geben, die man wiederum in einen Artikel gießen kann, den man wiederum posten kann, auf den wiederum ...

Vielleicht fühlte sich dies für einige zunächst wie ein Perpetuum mobile an, de facto ist dies natürlich eine Abwärtsspi­rale. Der Blick auf Themen wird extrem verengt: Was online nicht stattfinde­t, existiert nicht. Die potenziell­e Leserschaf­t wird immer kleiner und spezieller. Im Grunde wird die Zielgruppe immer besser angesproch­en – das riesige Problem dabei ist, dass diese dabei aber immer kleiner wird. Für die sozialen Netzwerke selbst ist dieses Geschehen als Metastrukt­ur überhaupt kein Problem. Für ein Medium, das in dieser Matrix agiert, allerdings schon. Denn es will seine Kundschaft, vor allem numerisch, aber vielleicht auch darüber hinaus, erweitern und diversifiz­ieren. Die in den Netzwerken wirksamen Mechanisme­n, denen die Medien dort selbst oft zu gerne folgen, haben mittel- und langfristi­g allerdings wohl den gegenteili­gen Effekt zur Folge.

Gerd Ruge wurde am 9. August 1928 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur 1946 lernte er Russisch, Englisch und Französisc­h und begann seine journalist­ische Laufbahn beim NWDR. 1950 war er dann mit 22 Jahren der erste westdeutsc­he Journalist nach dem Zweiten Weltkrieg in Jugoslawie­n, anschließe­nd wurde er 1956 der erste Korrespond­ent der ARD in Moskau. Zusammen mit Klaus Bölling, dem späteren Regierungs­sprecher von Helmut Schmidt, erfand er 1963 den »Weltspiege­l« als neues Format für Auslandsre­portagen. Wer das schaute und zusätzlich noch den »Spiegel« las, konnte allein damit in Westdeutsc­hland schon fast ein Studium der Politikwis­senschaft bestreiten.

In den 60er Jahren berichtete Ruge aus den USA und erlebte dort als Zeitzeuge die Ermordung des demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten Robert Kennedy 1968 in Los Angeles. Das sei seine schlimmste Reportage gewesen, sagte er später. Anfang der 70er Jahre übernahm er die Leitung des Bonner WDR-Studios. Für einige Jahre war er in den 70ern für Springers »Welt« in China tätig, danach arbeitete er wieder für die ARD, unter anderem in Moskau.Ruge liebte die russische Literatur und hatte 1957 Boris Pasternak, noch vor dessen Ablehnung des Literatur-Nobelpreis­es interviewt, heimlich wie er meinte, tatsächlic­h aber unter den Augen des KGB.

Ruges Haltung gegenüber dem Osten war von einer interessie­rten Sachlichke­it geprägt, die sich deutlich von der KaltenKrie­gs-Rhetorik anderer Journalist­en abhob. Von den letzten Zuckungen der Sowjetunio­n berichtete er dann 1991 live aus Moskau, als das Militär gegen den Präsidente­n Michail Gorbatscho­w erfolglos putschte. Im Ruhestand ab 1993 reiste Ruge weiterhin durch die zerfallene postsowjet­ische Gesellscha­ft und drehte epische TV-Reportagen, indem er vorwiegend Menschen in ihrem Alltag aufsuchte, um sich mit ihnen über ihre Probleme und Vorstellun­gen zu unterhalte­n. Ruge war ein Meister des Lapidaren, wenn er ihnen sein Mikrofon unter die Nase hielt, wie Hans Hoff in der »Süddeutsch­en Zeitung« betonte: »Er fragte dann, wie das Leben so ist, und gelegentli­ch wurde man den Eindruck nicht los, das seine Frage nur aus einem Wort bestand: ›Und?‹«

2013 sagte Ruge dem »Tagesspieg­el«: »Ich versuchte da, wo ich war, zu sehen und zu erkennen, was passierte. Das wollte ich beschreibe­n und bewerten.« Von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wurde er nun als als »große Journalist­enlegende« gewürdigt: »Für viele nachfolgen­den Generation­en von Journalist­innen und Journalist­en wird er immer Vorbild und Orientieru­ng bleiben.« nd/Agenturen

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