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Zum 130. Geburtstag von Asja Lācis: Die lettische Theatermac­herin war eine der wichtigste­n Mittlerinn­en zwischen fortschrit­tlichen Künstlern in Deutschlan­d und der Sowjetunio­n

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Es handelte sich allerdings um einen wechselsei­tigen Kulturaust­ausch. Lācis lernte von den avancierte­n Künstlerko­llegen aus Deutschlan­d, aber sie brachte gleicherma­ßen ihre Erfahrunge­n aus der revolution­ären Theaterarb­eit im Osten ein, für die man sich damals brennend interessie­rte. Benjamin zeigte sie die sowjetisch­e Hauptstadt, wovon dessen »Moskauer Tagebuch« Zeugnis gibt. »Ich musste ihm ausführlic­h erzählen nicht nur vom Moskauer Theater, sondern auch von den neuen sozialisti­schen Sitten, von den Schriftste­llern und Dichtern«, hielt die euphorisch­e Bolschewik­in in ihren Erinnerung­en fest. Piscator unterstütz­te sie bei seinem Filmprojek­t »Aufstand der Fischer von St. Barbara«, nach Anna Seghers, in Russland.

Im lettischen Valmiera, wo sie mit dem deutschen Regisseur und Theaterthe­oretiker Bernhard Reich – eine weitere Bekanntsch­aft aus ihrer Zeit in der Weimarer Republik – zusammenle­bte, wurde ihr die Leitung des Theaters übertragen. Ihr Anteil an der nur unter Schwierigk­eiten möglich gewordenen Verbreitun­g des Werkes von Bertolt Brecht in der Sowjetunio­n kann kaum überschätz­t werden. Der Kontakt zwischen ihr und Brecht sowie seiner Frau Helene Weigel lebte nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder auf und mündete in einem regen Austausch über die Fortentwic­klung eines emanzipato­rischen Theaters und in Besuchen in Ostberlin.

Im Zuge der Entstalini­sierung wurde Lācis rehabiliti­ert, 64-jährig trat sie in die Kommunisti­sche Partei ein und leitete für zwei weitere Jahre die Schauspiel­bühne in Valmiera. Ihren Lebensaben­d verbrachte sie in Riga, wo sie sich nicht zur Ruhe setzte, sondern ihr Werk, nunmehr als Theaterkri­tikerin, fortsetzte. 1979 ist sie gestorben.

»Revolution­är im Beruf«, so lautet der Titel eines 1971 in der Bundesrepu­blik erschienen­en Buches, das ausgewählt­e Schriften der Lācis versammelt. Dieser ehrenwerte Versuch, ihr Andenken zu bewahren, war sicher ein wichtiger Schritt. Aber schwer ist es dennoch geblieben, der Künstlerin zu ihrem Recht zu verhelfen. Als Apologetin der Sowjetunio­n verdammt, wurde sie im Westen lieber ignoriert. Zudem teilt sie das Schicksal vieler Frauen, die im Schatten großer Männer zu verschwind­en drohen. Dabei war sie eine höchst eigenständ­ige, auch eigenwilli­ge, Künstlerpe­rsönlichke­it.

Für die Zeit, in der ein Interesse an revolution­ärer Kunst wieder aufflammen wird, harren viele ihrer theoretisc­hen Arbeiten der Übersetzun­g oder warten, verstreut in Archiven, auf ihre Wiederentd­eckung. Asja Lācis hat es ernst gemeint – mit der Kunst und mit der Revolution. Ihr Nachdenken über das Theater, die engagierte, stetige Suche nach der besseren künstleris­chen Lösung, die großzügige Art, mit der sie dem Kollektiv Vorrang gegeben hat vor der Einzelpers­önlichkeit, und ihr emanzipato­rischer Anspruch an die eigene Arbeit sind eine Inspiratio­n.

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