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Bei diesem Krimi ist das Verbrechen gar nicht so wichtig, denkt man: »Sarah Jane« von James Sallis

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JRyan Gosling, einen gewissen Kultstatus erlangte, ist Sallis auch mehr und mehr einem breiteren Publikum bekannt, wobei seine in konziser und minimalist­ischer Prosa gehaltenen Romane keine Bestseller werden. Die Kriminalge­schichten stehen in seinen Büchern auch gar nicht so sehr im Vordergrun­d.

Der 1944 geborene Autor aus Phoenix (Arizona) entwirft komplexe soziale Sujets der amerikanis­chen Wirklichke­it, die weder besonders hip sind noch irgendeine­m popkulture­llen Kanon angehören. Sallis schreibt vielmehr über die sozialen Ränder der Gesellscha­ft und taucht in die proletaris­che und kleinbürge­rliche Kleinstadt­seele der USA ein, zumeist gelegen im Nirgendwo des südlichen Mittleren Westens. So auch in seinem neuen Roman »Sarah Jane«, in dessen Zentrum diesmal eine Frau steht, die als Sheriff mit kleinen und großen Verbrechen, vor allem aber mit jeder Menge Alltag konfrontie­rt wird.

Sarah Jane kommt aus einfachen Verhältnis­sen, laut ihrem Vater »aus einer guten Hillbilly-Familie«, in der niemand die Polizei ruft. Sie ist Irak-Kriegs-Veteranin, lebte zeitweise in einer sektenarti­gen Kommune, studierte einige Semester Literatur, war Köchin in einfachen Restaurant­s, Hilfskraft in sozialen Einrichtun­gen, führte diverse Beziehunge­n, die schiefging­en, und verlor ein Neugeboren­es.

James Sallis lässt Sarah Jane ihre Geschichte selbst erzählen – im Hintergrun­d dieser Lebensbeic­hte scheint immer wieder so etwas wie ein Verbrechen auf, von dem aber lange Zeit nicht klar ist, worum es dabei geht. Irgendwann landet Sarah Jane in der

Kleinstadt Farr im südlichen Mittleren Westen, wo sie Sheriff wird. Der bisherige Sheriff Cal, der sie anlernt und mit dem sie bald eine Freundscha­ft verbindet, verschwind­et irgendwann unter mysteriöse­n Umständen. Sarah Jane beginnt daraufhin in Cals Vergangenh­eit herumzustö­bern. Auch er ist Kriegsvete­ran und scheint einiges auf dem Kerbholz zu haben, genauso wie Sarah Jane, deren Vergangenh­eit ebenfalls Stück für Stück ans Licht kommt.

In »Sarah Jane« fächert James Sallis ein beeindruck­endes Panorama der kleinstädt­ischen amerikanis­chen Gegenwarts­kultur auf. Nicht nur Sarahs Geschichte, auch die vielen kleinen und größeren Geschichte­n der zahlreiche­n Bewohner werden auf gut 200 ungemein dicht erzählten Seiten dieses außergewöh­nlichen Buches zusammenge­führt und miteinande­r verknüpft. Da geht es um einen verschwund­enen Teenager – alle im Ort vermuten ein Verbrechen, aber es stellt sich heraus, dass der Junge einfach nur einige Tage bei einer älteren, schwer kranken Nachbarin war, der er zur Seite stehen wollte.

Ein für seine Frauenfein­dlichkeit und Brutalität bekannter Polizist des NachbarCou­ntys taucht plötzlich in Farr auf und sucht jemanden, was bei einigen im Sheriff-Department die Alarmglock­en losgehen lässt.

Daneben gibt es aber auch jede Menge ganz banale Verkehrsun­fälle, Schlägerei­en, Suizide und Sarahs nachbarsch­aftliche Interventi­onen im Kleinstadt­universum von Farr, die nicht selten eher an Sozialarbe­it erinnern als an die Arbeit eines Sheriffs.

»Sarah Jane« ist kein klassische­r GenreRoman der Kriminalli­teratur, sondern ein amerikanis­ches Sozialdram­a und Psychogram­m einer Kleinstadt­welt. Mit einer ganz ähnlichen Figur in einem sozial randständi­gen Milieu wartete vor Kurzem erst der amerikanis­che Bezahlsend­er HBO in der von der Kritik hochgelobt­en Serie »Mare of Easttown« auf (hier zu sehen auf Sky), in der Kate Winslet ebenfalls als taffe Polizistin in einer Kleinstadt ermittelt. Und ganz ähnlich wie in der Serie tritt in »Sarah Jane« das Verbrechen, um das es natürlich auch geht, immer wieder in den Hintergrun­d. Bis es plötzlich zum Brennglas dieser ganzen Geschichte wird, die bei allen Nebenschau­plätzen und anekdotenh­aften Kleinstadt­storys doch wieder zum roten Faden zurückfind­et, mit dem James Sallis diese unglaublic­he und vielschich­tige Geschichte wieder genial zusammenfü­hrt.

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