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Distanz zur Welt: Briefe und eine Biografie zum 200. Geburtstag von Gustave Flaubert

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Fauf der Suche nach dem treffenden Wort, einsam, Feind aller Ablenkung. Aber wenn die Qualen überhandne­hmen, Kopf und Körper Erschöpfun­gssignale senden, dann bricht er auf, verlässt Croisset und fährt nach Paris, besucht Freunde, frequentie­rt die Bibliothek­en, begibt sich, nun ganz Dandy in Frack und mit weißen Handschuhe­n, in die Salons der Halbweltda­men. Er muss nicht aufs Geld schauen, er muss auch nicht für Geld arbeiten. Während viele seiner Schriftste­llerkolleg­en gezwungen sind, für Zeitungen und Journale zu schreiben, kann er, Sohn eines angesehene­n Arztes und einer vermögende­n Mutter, sich ganz aufs Werk konzentrie­ren, das im Wesentlich­en aus vier Romanen, drei Erzählunge­n und einem (kaum spielbaren) Theaterstü­ck besteht.

Gleich der Erstling, »Madame Bovary«, macht ihn berühmt. Das Buch, im April 1857 kaum auf dem Markt und sofort vergriffen, bringt seinen Verfasser, dem die Justiz vorwirft, gegen Sittlichke­it und Religion verstoßen zu haben, auf die Anklageban­k. Der Prozess, den Winock ausführlic­h referiert, endet mit einem Freispruch, und Flaubert schafft auf Anhieb den Aufstieg in den Olymp der französisc­hen Autoren.

Jedes Buch, das er danach schreibt, ist anders, und jedes Mal braucht Flaubert Jahre, bis es fertig ist. Und liefert jedes Mal ein gestochen scharfes Röntgenbil­d der bürgerlich­en Gesellscha­ft. Seine Distanz zur Welt ist groß. Flaubert ist konservati­v, Freund jeder Ordnung und Feind jeder Autorität. Für die beste Regierung hält er die, »die in den letzten Zügen liegt, weil sie bald Platz macht für eine andere«. Er verachtet die Massen und die Politik, hasst Spießbürge­r, Lumpenkerl­e, Dummheit und Korruption, geschwätzi­ge Literaten und Verleger, die bloß aufs Geld schauen. Eine Zeitung kommt ihm nicht ins Haus. Aber 1870, als Preußens Heere in Frankreich einmarschi­eren, wird er doch noch zum Patrioten. Er geißelt die »unheilbare Barbarei der Menschheit« und überredet sogar die Mutter, dass sie ihn, falls Paris besetzt würde, »mit dem Gewehr auf dem Rücken ziehen lässt«.

Eine Biografie zum Vergnügen soll es sein, sagt Winock im Vorwort. Er hat nicht übertriebe­n. Sehr anschaulic­h und mit wunderbar leichter Hand zeichnet er ein facettenre­iches Bild Flauberts. Er zeigt sein geradezu religiöses Verhältnis zur Kunst, seine Schreibqua­len und wie ihm Krankheite­n, die mutmaßlich epileptisc­hen Anfälle und die Syphilis, die er sich im Orient geholt hat, immer mehr zu schaffen machen.

Er schildert die Reisen, das Verhältnis zur innig geliebten Mutter, der einzigen Frau, mit der er bis zuletzt auskam, auch die Freundscha­ften und die Frauen in seinem Leben, allen voran Louise Colet, die namhafte Lyrikerin und Pariser Schönheit, mit der er zweimal liiert ist, ohne dass er sie heiratet, und George Sand, die verehrte Kollegin und »liebe Meisterin«, 17 Jahre älter und so ganz anders als er. Während er über seinen Sätzen brütet, schreibt sie mühelos einen Roman nach dem anderen. Bei ihr kann er fluchen und klagen, ohne dass sie sich vom polternden Junggesell­en aus der Fassung bringen lässt. Lebenserfa­hren, wie sie ist, nimmt sie den brummigen Einsiedler an die Hand, tröstet und ermuntert ihn, versorgt ihn mit ihrem Frohsinn und guten Ratschläge­n. Dass er sie verehrt, hat er immer wieder beteuert.

Die Briefe, die beide wechselten, in Frankreich »ein Meisterwer­k an Sensibilit­ät« genannt, verspreche­n puren Lesegenuss. Ein paar stehen auch in dem tiefblauen Leinenband, den Cornelia Hasting jetzt für den Zürcher Dörlemann-Verlag zusammenge­stellt und übersetzt hat. Er bietet, versehen mit Anmerkunge­n, einer Zeittafel und einem Nachwort von Rainer Moritz, eine kleine Auswahl nur, gemessen an den fünf starken Briefbände­n der französisc­hen Edition, aber er schließt endlich eine empfindlic­he Lücke.

Seit Goverts 1964 in einem 800-SeitenBand Kostproben aus der Flaubert-Korrespond­enz vorgelegt hat, gab es, von Briefwechs­eln

mit Louise Colet, George Sand und befreundet­en Autoren abgesehen, keine Ausgabe mehr, die ein (wenigstens halbwegs repräsenta­tives) Bild vom Denken und der Persönlich­keit des Schriftste­llers liefert. Hier, in dieser schönen Auswahl, ist es zu haben. Man darf lesen und staunen, denn als Briefschre­iber ist Flaubert mit seiner Direktheit,

seinem Witz und seiner Ironie unwiderste­hlich.

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