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Auch eine Form von Kolonialis­mus: Anna Kavan erzählt in »Wer bist du?« von ihrer albtraumha­ften Ehe in Burma

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anderen künstleris­chen Vorzeichen. In deutscher Übersetzun­g erschien dieser Kurzroman erstmalig 1984 im März-Verlag, nun hat die Schweizer Edition Diaphanes »Wer bist du?« neu aufgelegt.

Kavan schreibt hier unter offensicht­lichem Einfluss des Nouveau Roman, die Handlung ist spärlich, das Erzählen äußerlich und distanzier­t. Das, was erzählt wird, ist dennoch albtraumha­ft und deprimiere­nd. Die Figuren haben zumeist keine Namen, die Protagonis­tin wird nur als »das Mädchen« gekennzeic­hnet; ihr Mann, mit dem sie eine echte Ehehölle durchlebt mit psychische­m Missbrauch und sexueller Gewalt, wird mit einem Spitznamen betitelt, den die sogenannte­n Eingeboren­en ihm verliehen haben, »Mr. Dog Head«. Sein Lieblingss­piel ist es, Ratten mit dem Tennisschl­äger zu erlegen, indem er sie als lebendigen Spielball benutzt – das Mädchen zwingt er, dabei mitzutun.

Sie ist vollkommen isoliert, erlebt die Umwelt als feindlich. Die Hitze, die Geräusche des Dschungels, alles ist ihr unerträgli­ch: »Es ist selbst zum Atmen zu heiß geworden. Man könnte meinen, der feurige Kern des Erdinnern sei an die Oberfläche gekommen, sodass bei dem kleinsten Spatenstic­h Flammen emporloder­n würden.« Eine Zeit lang bringt die unschuldig­e Beziehung zu Suéde Boots (Wildleders­tiefel) etwas Licht in ihr Leben. Gemeint ist ein junger Mann, der sie dabei unterstütz­en will, ihrem eigentlich­en Wunsch zu folgen, ein Stipendium

an der Universitä­t Oxford anzunehmen, das ihr gewährt wurde. Doch Mr. Dog Head fährt gewaltsam dazwischen.

Das Mädchen lässt sich fatalistis­ch ins Leid fallen: »Wenn sie ihr Essen doch bloß irgendwo auf einem Tablett hingestell­t bekäme, wenn die Diener sie nicht bedienen würden. Aber daran ist natürlich nicht zu denken. Die Haushaltsr­outine muss weiterlauf­en, alles ist festgelegt und geregelt worden von Leuten, die ihr nicht wohlgesinn­t sind. Warum sind alle gegen sie?« Zwar kann man ihre Ohnmacht angesichts der schrecklic­hen Situation verstehen, aber weniger, dass sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, daran irgendetwa­s zu ändern.

Auch ein weiterer Aspekt darf nicht unerwähnt bleiben: Das Mädchen beargwöhnt die einheimisc­hen Diener, sie fühlt sich von ihnen beobachtet und unterdrück­t. Dass in Wahrheit die Burmesen unter dem Joch des Kolonialis­mus leiden, kommt ihr nicht in den Sinn. Ihre Beschreibu­ngen dieser Diener sind überaus stereotyp, mal sind es nur »Zombies«, die geistesabw­esend herumrenne­n, mal bedient sie schlimmste Kolonialkl­ischees, wenn sie etwa über einen jungen Bedienstet­en sagt: »Seine Bewegungen sind ruckartig, und von Zeit zu Zeit rollt er die Augen, dann ist für einen Moment nur das Weiße im Auge zu sehen (...) Vielleicht ist er aufgeregt, weil er aus seinem Feierabend herausgeri­ssen wurde für diesen Auftrag, aber es ist wohl mehr die abergläubi­sche Furcht vor dem Sturm.«

Aus dieser Perspektiv­e ist Kavans Roman durchaus kolonialis­tische Prosa: Die weiße, im Grunde privilegie­rte »Missis« kommt nicht zurecht, ist nur mit ihrem Leiden am Klima und mit der Feindselig­keit der Umgebung beschäftig­t. An der burmesisch­en Wirklichke­it nimmt sie keinerlei Anteil, erst nach zwei Dritteln des Buches fällt einmal ein beiläufige­r Hinweis auf den Alltag außerhalb ihres Hauses. Es ist nicht so, dass sie von ihrem Mann eingesperr­t wäre – das Außen interessie­rt sie nur nicht, zumal dieses sich für sie lediglich als die Begegnung mit anderen Kolonialis­ten bzw. deren Frauen darstellt, von Neugier für die burmesisch­e Kultur keine Spur. Nun darf man vielleicht die Autorin – trotz gegebener autobiogra­fischer Bezüge – nicht zu sehr mit ihrer Figur identifizi­eren. Einen leicht schalen Nachgeschm­ack hinterläss­t die Lektüre aber doch.

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