Werner Micke berichtet über sein Journalistenleben in der DDR
mit Erich Honecker, Micke mit Fidel Castro, Micke mit Indira Gandhi, Micke mit Francois Mitterand und Rudolf Kirchschläger, Micke mit Willy Brandt und Helmut Kohl, Micke im Arbeitszimmer von Michail Gorbatschow im Kreml ... Und sehr wohl ist auch seine Sicht auf die Geschichte von dem nach der Wende auch im ND zur Schau gestellten Selbstbewusstsein geprägt, dass die sich mit Außenpolitik beschäftigenden Kollegen weniger mit den politischen wie journalistischen Fehlleistungen in den Niederungen des DDR-Alltags und seinen unappetitlichen Auswüchsen zu tun hatten als andere, die sich Parteileben, Wirtschaft, Innenpolitik oder dem Feuilleton widmeten.
Beides hat Micke freilich in Funktionärskreisen wie in der Redaktion nicht nur Freunde eingebracht, wenngleich er beim »Neuen Deutschland« als versierter Fachmann und menschlicher Leiter – im Unterschied zu manch anderem – bis heute einen erstaunlichen Ruf genießt, obwohl er so dicht dran war an den »Oberen«. Micke seinerseits wäscht in seinen Memoiren auch keine »dreckige Wäsche«, sondern äußert sich bis auf wenige Ausnahmen positiv über seine Mitstreiter in der Chefredaktion und unter den täglichen Blattmachern.
Man muss wohl alles schon erlebt und alles schon mal angefasst haben, von Döbeln bis in die Heimatstadt Breslau 1945 zu Fuß gelaufen sein oder eben neun Jahrzehnte auf dem Buckel haben, um die jeweiligen Zeitgenossen – ob in seinen Jahren bei der »Jungen Welt«, bei der »Berliner Zeitung« oder beim ND – trotz stressigen Redaktionsalltags, persönlicher Rivalitäten oder unzähliger ideologischer Scharmützel mit solcher Milde zu bedenken. Oder andernorts – in seinem Fall im sogenannten großen Haus – schon ganz anderes mitgemacht haben.
Micke hatte tatsächlich. Als enger Mitarbeiter Walter Ulbrichts hat er fast vier Jahre im Zentralkomitee der SED nicht nur Staub gewischt. Bei seinen Einblicken in den »Apparat« verliert sich denn auch seine Zurückhaltung. Viele Politbürokraten, allen voran Erich Honecker, kommen in den Erinnerungen gar nicht gut weg. Das mag auch daran liegen, dass der Autor den wenig anständigen »Übergang« an der Spitze der SED von Ulbricht auf Honecker ganz hautnah miterlebte. Dass es ihm gelang, sich in dieser Zeit im Zentralkomitee »vom Acker zu machen«, hatte offenbar das Zeug zu mancherlei Verschwörungstheorien, die Micke freilich heftigst zu entkräften sucht. Er sei weder heimlicher Zuträger Honeckers noch Komplotteur Ulbrichts gewesen, lässt er seine Widersacher kurz und bündig wissen. So schroff übrigens, wie er auch die eigene Überwachung durch die Staatssicherheit durch angebliche Freunde und das Misstrauen der Mielke-Leute behandelt – ausführlich und offenbar bis heute bis ins Mark getroffen.
Dass er zu Wendezeiten bei ihm Rat suchende jüngere Redakteure davon abhielt, auch im ND den Aufstand zu proben, ist ihm indes bis heute unangenehm. Wie auch journalistische Produkte, die – man ahnt es aus eigener jahrelanger Erfahrung – nicht nur seiner Feder entsprangen und nach entsprechender Aufmunitionierung durch die »führenden Genossen« in dieser Zeitung erschienen; und wie die Bemerkung, man weine den DDR-Flüchtlingen in Prag und Budapest keine Träne nach, die selbst bei wohlmeinenden Lesern Empörung verursachte und das Ansehen einer ganzen Berufsgruppe auf Jahrzehnte beschädigte.
Linientreue, Disziplin, Angst, Opportunismus? Fragen, die sich DDR-Journalisten mehrerer Generationen immer wieder stellen müssen. Allerdings hatten nur wenige von ihnen das Privileg wie Werner Micke, ihre Weltanschauung im wahrsten Wortsinn durch Hunderte Reisen in Dutzende Länder immer neu zu schärfen.