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Joachim Wagner entlarvt rechte Richter als Gefahr für die Demokratie

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von Rechtsextr­emisten wegen politisch motivierte­r Delikte. Dabei kommt er zu dem alarmieren­den Ergebnis, dass bei Teilen der Strafjusti­z die Tendenz besteht, die jeweiligen Tathandlun­gen unter Ausnutzung aller Auslegungs­spielräume zu entpolitis­ieren. Die Entscheidu­ngen fallen dann zumeist zugunsten der Rechtsradi­kalen aus. Das betrifft die Ablehnung des Tatbestand­es der »Volksverhe­tzung« bei Wahlplakat­en (»Migration tötet!«, »Wir hängen nicht nur Plakate!«), ebenso wie beispielsw­eise die fehlende Berücksich­tigung der rechten Gesinnung bei der Strafzumes­sung. Die Entpolitis­ierung, das sei noch angemerkt, wird ergänzt durch den der Strafjusti­z ebenfalls eigenen Ritus der Enthistori­sierung und Entsoziali­sierung. Für diese Linie in der Rechtsprec­hung führt Wagner mehrere Gründe an. Der wichtigste jedoch ist, dass Richter und Staatsanwä­lte aus einem gewissen, durch den jeweiligen politische­n und sozialen Standort geprägten »Vorverstän­dnis« heraus die jeweiligen Tatbeständ­e auslegen.

Zweitens widmet sich Wagner jenen Richtern und Staatsanwä­lten, die sich – nicht selten unter Missachtun­g des für sie geltenden Mäßigungsg­ebots – offen zur AfD bekennen oder AfD-nahe Positionen vertreten. So auch eine Meißner Amtsrichte­rin, die die »Süddeutsch­e Zeitung« als »Alpen-Prawda« und deren Redakteure als »Schreiberl­inge« charakteri­sierte und zu rassistisc­hen Veranstalt­ungen

aufrief, oder ein Staatsanwa­lt, für den der amerikanis­che Präsident Obama ein »Quotennege­r« ist. Da sind zwei AfD-nahe Richter am Verwaltung­sgericht Gera, bei denen Asylverfah­ren mit Flüchtling­en aus Afrika fast nie gewonnen werden. Ein weiteres Beispiel ist jener Staatsanwa­lt, der ein Ermittlung­sverfahren gegen die Künstlergr­uppe Zentrum für politische Schönheit wegen Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g (!) eingeleite­t hatte. Auslöser war, dass die Aktionskün­stler neben dem Wohnhaus von AfD-Rechtsauße­n Björn Höcke einen Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet hatten. Nicht nur in diesem Fall missbrauch­te der Staatsanwa­lt, der während seines Studiums schon mal »Jura-Nazi« gerufen wurde, sein Amt zur Bekämpfung politische­r Gegner. Die Reaktion der Justiz auf solche Fälle ist unbefriedi­gend. Ihre Haltung wird oft durch einen Korpsgeist bestimmt. Disziplina­rverfahren, die wiederum nicht öffentlich sind, werden in der Regel nur aufgrund äußerer Anstöße eingeleite­t. Die Sanktionen sind überwiegen­d milde. Lediglich in einem Fall wurde ein Staatsanwa­lt aus dem Dienst entlassen.

Die dritte Ebene in der Analyse Wagners ist die der etwa 40 000 Schöffen, Laienricht­er und der ehrenamtli­chen Richter an den Landesverf­assungsger­ichten. Die rechtsextr­emen Parteien (NPD, AfD) fordern ihre Anhängersc­haft auf, sich für solche Funktionen zu bewerben, um Einfluss auf die Rechtsprec­hung zu gewinnen. Von spürbarem Erfolg ist das noch nicht gekrönt. Hingegen stellt die AfD Verfassung­srichter in Bayern und Baden-Württember­g. Unverständ­lich ist in diesem Kontext Wagners Hinweis, dass auch von einer Verfassung­srichterin der Linksparte­i eine Gefahr ausgehe, da sie für einen Bruch mit den kapitalist­ischen Eigentumss­trukturen eintrete. Mit dieser Forderung bewegt sie sich nämlich ebenso auf dem Boden des Grundgeset­zes wie die Unterzeich­ner des Berliner Volksbegeh­rens zur Enteignung großer Immobilien­konzerne.

Die Situation in der bundesdeut­schen Justiz ist nicht mit der in der Weimarer Republik oder mit der nach 1949 vergleichb­ar, wo Nazirichte­r den Großteil der Richtersch­aft bildeten. Insofern ist Wagners gut recherchie­rtes Buch ein Weckruf. Um den Anfängen zu wehren, regt er eine Reihe von sinnvollen Maßnahmen an. Sie reichen von der Auseinande­rsetzung mit dem nazifaschi­stischen Recht in der Juristenau­sbildung über eine sorgfältig­ere Auswahl des Personals bis hin zu einer Reformieru­ng des Dienstrech­ts. Abzulehnen ist jedoch die vom Autor geforderte Regelanfra­ge beim Verfassung­sschutz. Dagegen sprechen die Erfahrunge­n mit dem »Radikalene­rlass« und die Erkenntnis­se aus den NSU-Untersuchu­ngsausschü­ssen, nach denen der Verfassung­sschutz ein Fremdkörpe­r in der Demokratie ist, der selbst rechtsradi­kale Netzwerke förderte. Das beste »Gegengift« gegen die aufgezeigt­en Tendenzen ist immer noch eine konsequent­e Demokratis­ierung der Justiz.

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