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Die Heidegger-Biografie von Lorenz Jäger ist wichtig für ein kritisches Selbstvers­tändnis der Deutschen

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von Zeitgenoss­en, Kollegen und Briefpartn­ern Heideggers. Das Buch ist eine reiche Fundgrube zu Leben und Werk des Gelehrten und erläutert dessen heute schwer verständli­che philosophi­sche Prosa für jedermann. Nicht verschwieg­en wird dessen verheerend­e Freiburger Rektoratsa­ntrittsred­e von 1933 und seine doch ungebroche­ne Liebe zu Hannah Arendt.

Was das Publikum von einer so materialun­d kenntnisre­ichen Darstellun­g erwartet, vermag Jäger jedoch nicht einzulösen. Wahrschein­lich kann es keiner. Wie kommt ein so gebildeter und intelligen­ter Mensch dazu, im Nationalso­zialismus die Lösung der Probleme Deutschlan­ds nach dem Ersten Weltkrieg zu sehen? Jäger erklärt diese Entwicklun­g aus dem Werk Heideggers. Natürlich legt dieser in seinem Hauptwerk »Sein und Zeit« kein Bekenntnis zum damals erst aufkommend­en Nationalso­zialismus ab, und seine antisemiti­sche Grundierun­g erscheint anfangs eher marginal. Aber Jäger erweckt den Eindruck, dass alles von Heidegger bis zum Anfang der 30er Jahre Geschriebe­ne und in Vorlesunge­n und Vorträgen Gesagte zu dem hinführt, was ihm später vorgeworfe­n werden musste. Der Autor erläutert dies nicht plausibel, hält es vielleicht für normal, eben für »Ein deutsches Leben«.

Vielleicht hat er damit recht – und er erteilt Heidegger auch insofern Absolution, jedenfalls zu seinem Tod am 26. Mai 1976: »Auf dem Nachttisch neben dem Bett lagen ein Band Hölderlin, etwas von Goethe und ein Suhrkamp-Band mit Gedichten von Paul Celan. Der Denker gab den Dichtern das letzte Wort, dem der Griechennä­he und dem der jüdischen Existenz. Er war Celan das kommende Wort schuldig geblieben, aber nicht die letzte Geste der letzten Tage.«

Ein großes Verdienst dieser Biografie ist aber die detaillier­te Einführung in Heideggers Schriften. Man braucht den Philosophe­n nicht im Original zu lesen nach den vielen Zitaten. Am besten erschließt sich der Heidegger-Kosmos über qualifizie­rte Sekundärli­teratur. Wie Rüdiger Safranski einmal süffisant und despektier­lich bemerkte, schrieb Heidegger über die Banalitäte­n des menschlich­en Alltags in eigenem Vokabular explizit verschrobe­n, »damit auch Philosophe­n es verstehen«. Safranskis Biografie von vor 20 Jahren trägt den Titel »Ein Meister aus Deutschlan­d« – in Anlehnung an die Zeile in Celans Todesfuge: »Der Tod ist ein Meister aus Deutschlan­d«.

Jäger setzt andere Akzente, ohne das Vorwerfbar­e zu vertuschen, zu negieren. Er setzt immer wieder zu Kritik an, wenn er beispielsw­eise ein Treffen Heideggers mit seinem jüdischen Schüler Löwith in Rom im Jahre 1936 erwähnt und aus des Eleven Erinnerung zitiert: »Heidegger trug die ganze Zeit das Parteiabze­ichen« – der NSDAP. Oder wenn der Autor die Auseinande­rsetzung mit der in die Emigration gezwungene­n Elisabeth Blochmann beschreibt.

Mit Hannah Arendt war alles anders: Sie fragte ihren Lehrer und Geliebten schon kurz vor ihrer Trennung Mitte der 1920er Jahre nach dessen Antisemiti­smus. Diese rätselhaft­este aller Liebschaft­en hatte auch noch nach der Ermordung von sechs Millionen europäisch­en Juden Bestand.

Jägers Verdienst besteht auch in der an konkreten Beispielen erzählten, kaum zu unterschät­zenden Wirkungsge­schichte Heideggers vor allem auf die französisc­he Philosophi­e, die vielleicht am markantest­en mit dem Namen Jean-Paul Sartre verbunden ist. Diese umfangreic­he Heidegger-Biografie lässt zwar viele Fragen offen, die aber wohl auch in Zukunft nicht zu beantworte­n sind. Das Urteil über dessen Leben als »ein deutsches Leben« ist sicher zutreffend und wichtig für ein kritisches historisch­es Selbstvers­tändnis der Deutschen.

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