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Antje Leetz hat die Überlebens­geschichte der Marie König aufgezeich­net

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ie Liebenden von Auschwitz« überschrie­b ich mein Porträt über Maria und Adam König in dieser Zeitung vor nunmehr bald zwei Jahrzehnte­n. Obwohl die beiden sich nicht in jener Hölle kennen- und lieben lernten, die als Synonym für den millionenf­achen Mord an den europäisch­en Juden gilt. Sondern nach der Befreiung vom Faschismus in Frankfurt am Main, wo sie Auskunft über von deutschen Antisemite­n ihnen entrissene Angehörige zu erhalten hofften. Vergebens.

Ich weiß noch, wie mir Adam, ohne das es seine Frau hörte, zuraunte, er hoffe, nicht vor Maria zu sterben. Er wollte sie, die ihre Sehkraft schon stark eingebüßt hatte, nicht allein in ihrer gemütliche­n kleinen Neubauwohn­ung nahe der Berliner Karl-Marx-Allee zurücklass­en. Sein Wunsch erfüllte sich nicht. Maria musste in ein Heim umziehen. In diesem wurde sie über die Jahre von Antje Leetz besucht, bis zu deren Tod 2019. Seit ihrer Kindheit kennt die studierte Germanisti­n Maria König. Aus antifaschi­stischen Zusammenhä­ngen: Die Großmutter von Antje Leetz ist 1944 von den Nazis im Zuchthaus BerlinPlöt­zensee hingericht­et worden.

»Komm rein, Kind, und setze dich!«, wurde Antje Leetz bei ihren Besuchen von der über 90-Jährigen freundlich und dankbar empfangen. Anfangs hätte Maria König Hemmungen gezeigt, ihre Geschichte zu erzählen. Ihr ging es wie vielen Shoah-Überlebend­en, die Jahrzehnte das Grauen zu verdrängen suchten. »Das war mein Schutz. Sonst hätte ich nicht in der Gegenwart leben können«, sagt Maria. Nächtens jedoch kehrten die Albträume zurück, die Bilder von Vater, Mutter, den zwei jüngeren Brüdern – alle ermordet. Maria König vertraute sich offenherzi­g der Zuhörerin an. »Manchmal unter Tränen.« Wenn Antje Leetz dann erschrocke­n das Tonband ausschalte­n, die »quälende Fragerei« einstellen wollte, wehrte Maria ab: »Tränen sind heilsam.«

Sie berichtet über eine glückliche Kindheit in Łódź, die mit dem Überfall Nazideutsc­hlands auf Polen endete. Auch die Familie Wollenberg muss in das von den Okkupanten in der Stadt errichtete Ghetto umsiedeln, wo es mit jedem »Transport« aus Deutschlan­d enger wird, Hunger und Krankheite­n grassieren. Maria weist ihre Zuhörerin auf den Roman »Jakob der Lügner« von Jurek Becker hin: »Da wird das alles beschriebe­n. Genauso habe ich es erlebt.«

Es ging ums nackte Überleben. Es gab aber auch Solidaritä­t. So wird Maria von einem

Arzt im Ghetto-Krankenhau­s, obwohl noch von der Blinddarmo­peration geschwächt, fortgeschi­ckt; am nächsten Tag sind alle Patienten deportiert. Es gab gar offenen Protest, angeführt vom Vorsitzend­en des Judenrats, als die Kinder des Ghettos »auf Transport« gehen sollten: »Unsere Kinder geben wir nicht her!« Ohnmächtig­er, höchst mutiger Aufruhr.

Im August 1944 steht auch Maria mit ihrer Mutter in einer langen Schlange vor den Gaskammern von Auschwitz. Mit anderen jungen Frauen wird sie herausgeru­fen: »Ty, ty i ty!« (Du, du und du!) Arbeitstau­glich. »Das war der Abschied von meiner Mutter. Sie hat ihre Hand auf meinen Arm gelegt, mich von sich gestoßen und gesagt: Geh!«

Maria König wird am 8. Mai 1945 von der Roten Armee in Theresiens­tadt befreit, ihr späterer Mann Adam, dessen Geschichte hier parallel erzählt wird, in Bergen-Belsen von den Briten. Über die USA wollten sie nach Südafrika. Es gelang nicht. Bewusst entschiede­n sie sich für DDR, das »fortschrit­tlichere Deutschlan­d«. Ein Glücksfall für mich, ich hätte Maria und Adam König nicht kennengele­rnt. Und es gäbe dann wohl auch nicht dieses warmherzig­e Buch von Antje Leetz.

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