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Klaus Gietinger hat eine Hommage auf Karl Liebknecht verfasst

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immer wieder die konkreten Umstände, unter denen Liebknecht wirkte, wenn er beispielsw­eise im Gefängnis 1000 Tüten am Tag kleben musste und nachts seine politische­n Texte beim spärlichen Licht einer Straßenlat­erne schrieb, das durch ein kleines Guckloch in seine Zelle fiel. Etwas mehr hätte man gern über Liebknecht­s umfangreic­he Tätigkeit als Rechtsanwa­lt erfahren (er führte über 200 Prozesse), die entspreche­nden Recherchen des Leipziger Historiker­s Matthias John wurden jedoch offenbar nicht rezipiert.

Gietinger scheut im Schlusskap­itel der Einleitung »Was bleibt?« nicht die Auseinande­rsetzung mit revisionis­tischen Positionen in der gegenwärti­gen deutschen Geschichts­schreibung, die auch vor dem von der Konterrevo­lution ermordeten Liebknecht nicht mehr haltmacht. Mit Verweis auf die Spartakusg­ruppe werden heute noch immer Ängste vor dem »Bolschewis­mus« geschürt, wenn selbst ein eigentlich seriöser Historiker wie Martin Sabrow »Liebknecht­s Grab als Geburtsstä­tte des ›Sozialfasc­hismus‹« diffamiert. Wie abseitig diese Interpreta­tion ist, weist Gietinger überzeugen­d nach, der Liebknecht gleich Rosa Luxemburg als »Liebling der Herzen des Proletaria­ts« bezeichnet. Seine Eloge mündet in das Resümee: »Keiner engagierte sich stärker gegen den preußische­n Militarism­us, gegen Krieg und ihn förderndes Kapital. Und das lässt ihn auch heute, wo eine vom Kapital beherrscht­e Welt mehr für Rüstung ausgibt als je zuvor, als Vorbild erscheinen.«

Um diesen Vorbildcha­rakter zu unterstrei­chen, folgt ein kurzes Interview mit Christian Jeetze von der Ultra-Gruppe »Filmstadt Inferno 1999« der SV Babelsberg 03. Der Verein spielt in der Regionalli­ga Nordost Fußball – im Karl-Liebknecht-Stadion. In der Fankurve stehen oft mehrere Hundert Anhänger, die fleißig Karl-Liebknecht-Fahnen schwenken und damit einen fasziniere­nden, in bundesdeut­schen Stadien gewiss einmaligen Anblick bieten.

Nach diesem sportlich-politische­n Einschub werden insgesamt 14 Texte von Karl Liebknecht abgedruckt, beginnend mit seiner Rede »Gegen den Hunnenfeld­zug« vom

11. Oktober 1900 bis zum berühmten Artikel »Trotz alledem!« in der »Roten Fahne« vom

15. Januar 1919, dem Tag seiner Ermordung. Im Anschluss präsentier­t Gietinger vier Passagen aus Liebknecht­s Fragment »Die Bewegungsg­esetze der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g«, das bis heute nicht die ihm zukommende Bedeutung erhalten hat. Die zu seinen Lebzeiten unveröffen­tlichten Studien betrieb Liebknecht in den Festungs- und Zuchthausz­eiten 1907 bis 1909 und 1916 bis 1918 mit Herzblut und großem Engagement. Dabei bemühte er sich um eine eigenständ­ige philosophi­sch-theoretisc­he Begründung der Einheit von Sozialismu­s, Humanismus und Fortschrit­t.

Zum Schluss werden weniger bekannte Dokumente und Quellen über Liebknecht in Auszügen veröffentl­icht. Wer umfassend (und kostengüns­tig) den neuesten Forschungs­stand über Karl Liebknecht erfahren möchte, ist mit diesem Buch bestens bedient.

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