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Ulrich Chaussy erinnert an das Oktoberfes­t-Attentat von 1990 und klagt an

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Aselbst zu Tode. Der Attentäter von Erlangen soll im Libanon Selbstmord begangen haben, wohin ihm mit Hilfe von Hoffmann die Flucht gelungen war. Zur Erleichter­ung von Polizei, Justiz und Politik, die auf dem rechten Auge blind waren und sind.

Die Medien wurden eingelullt. Einzig der Journalist Ulrich Chaussy ließ nicht locker, forschte trotz aller Hemmnisse weiter. Er war einer der wenigen, die die Legende vom »Einzeltäte­r« hartnäckig hinterfrag­ten und auf das gefährlich­e rechtsextr­eme Netzwerk rund um die »Wehrsportg­ruppe Hoffmann« hinwiesen.

Chaussy zeichnet akribisch das mörderisch­e Geschehen »auf der Wiesn« 1980 nach, porträtier­t den mutmaßlich­en Attentäter Gundolf Köhler, der nicht so verzweifel­t, verbittert und suizidal gewesen zu sein scheint, wie es Polizei und Staatsanwa­ltschaft im Abschlussb­ericht behauptete­n. Er sprach mit Augenzeuge­n, fragt, wie es sein kann, dass ein von Köhler abgestellt­er Koffer plötzlich verschwand und Asservaten seltsamerw­eise vernichtet wurden, sodass eine später mögliche DNA-Analyse einer vor Ort aufgefunde­nen abgerissen­en Hand sowie von Zigaretten­stummeln in Köhlers Auto nicht durchgefüh­rt werden konnte. Und was es mit dem Suizid eines polizeibek­annten Bombenbaue­rs auf sich hat.

Das Buch liest sich wie ein Krimi. Chaussy lässt Angehörige der Opfer und Bekannte des Täters sprechen. Bereits 1985, fünf Jahre nach dem Anschlag, hat er zum Thema publiziert. Inzwischen hat er neue Erkenntnis­se gewonnen und verarbeite­n können. Chaussy schrieb auch das Drehbuch zum 2013 erschienen­en beeindruck­enden Spielfilm »Der blinde Fleck«, der das Oktoberfes­t-Attentat problemati­sierte.

Neu ist in seinem jetzt erschienen­en Buch die Verknüpfun­g mit dem drei Monate später verübten Doppelmord in Erlangen an Shlomo Lewin und dessen Frau. Der jüdische Rabbiner hatte sich für das Verbot der »Wehrsportg­ruppe Hoffmann« eingesetzt. Doch der Mord an ihm wurde von den Medien zunächst als eine Reaktion auf dessen Lebensweis­e bezeichnet. Man erinnere sich: Ähnlich wurden anfangs die NSU-Morde bewertet. Auch da wurden erst einmal die Opfer verdächtig­t. Der Attentäter von Erlangen, Uwe Behrendt, hatte ebenfalls der »Wehrsportg­ruppe Hoffmann« angehört. Dass Hoffmann ihm zur Flucht ins Ausland verhalf, hatte für jenen keine strafrecht­lichen Konsequenz­en.

Im Sommer vergangene­n Jahres sind die Ermittlung­en im Fall des Oktoberfes­t-Attentates eingestell­t worden. Auch wenn es am Tatort eine Erinnerung­sstele gibt, so bleibt der Umgang mit diesem ruchlosen Verbrechen beschämend. Ulrich Chaussy ist für seine Erinnerung daran und die Anklage staatliche­n Versagens zu danken.

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