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Walter Ötsch und Nina Horaczek fordern die Rückkehr der Fantasie in die Politik und echte gesellscha­ftliche Partizipat­ion

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D»freie Westen« habe in der »Konkurrenz der Systeme« gesiegt. Da es sich aber in dieser Gesellscha­ft für Millionen bei Weitem nicht besser leben ließ und sie keine Antwort auf drängende Fragen der Gegenwart und Zukunft zu bieten hat, wuchsen Frustratio­n, Politikske­psis und Politikabs­tinenz.

Nicht als Politik-Bashing verstehen die Autoren ihre Streitschr­ift. »Wir sind keine Wutbürgeri­nnen und Wutbürger. Wir verstehen den Zorn, wollen aber unsere Energie nicht damit vergeuden.« Ihr kritischer Blick gilt konkret der neoliberal­en Politik, dem aktuellen Zustand der Parteiende­mokratie. Es geht den Autoren um eine neue, partizipat­ivere Politik. Nicht eine Abwendung von der Politik, sondern ein neuer Schritt zu einer besseren Politik ist ihr Ziel. »Nicht von oben, sondern von unten«, betonen Ötsch, Professor für Ökonomie und Kulturgesc­hichte, und Co-Autorin Horaczek, Journalist­in und Politikwis­senschaftl­erin.

Die Zeit sei reif für eine bessere Zukunft für alle, deklariere­n und begründen die Autoren denn auch bereits in ihrem ersten Kapitel. »Eine Zukunft, in der wir viel weniger von der Ausbeutung anderer – seien es Menschen, Tiere oder die Umwelt – profitiere­n. In der nicht mehr der Profit der Maßstab aller Dinge ist, sondern der Mensch mit seinem Recht auf eine saubere, intakte Umwelt und ein besseres Leben.« Das Autorenduo entzaubert den Mythos »Markt«, zeigt, dass Politik stets Abbild herrschend­er Machtverhä­ltnisse und also letztlich immer eine Machtfrage ist, entlarvt die »ökonomisie­rte Gesellscha­ft«, kritisiert imaginäre Freiheiten und entblößt den »imaginativ­en Menschen«. Das alles wird auf hohem intellektu­ellen und argumentat­iven Niveau diskutiert und mit reichlich Beispielen aus der politische­n Praxis und dem Alltag der Menschen unterfütte­rt.

Abschließe­nd offerieren die Autoren einen kühnen persönlich­en Ausblick in die Welt in 30 oder 50 Jahren: »Wir sehen große Erleichter­ung. Die Menschheit hat den Turnaround geschafft. Mit vereinten Kräften ist es gelungen, die Klimakatas­trophe abzuwenden. Wir bauen Häuser, die nachhaltig sind, und Plätze zum Wohlfühlen. Wir leben in Städten, die ruhig und sauber sind ... Wir leben in einer Welt, in der Wohlstand gerecht verteilt ist. Die großen Banken sind in kleinere Einheiten aufgeteilt, das Schattenba­nkensystem unter Kontrolle gebracht und die Steueroase­n sind trockengel­egt. Jeder Mensch hat das Recht auf ein sicheres, gutes Leben.« Und zwar nicht nur im Globalen Norden. Was für ein schönes Zukunftsbi­ld, was für eine verlockend­e Utopie. Man wird ja wohl auch träumen dürfen. Nein, man muss träumen können! Dazu laden Ötsch und Horaczek ein, nicht mehr und nicht weniger.

Dieses Buch richtet sich, so die Autoren eingangs, an alle Menschen, die angesichts des aktuellen Zustands der Umwelt und Mitwelt

besorgt sind und auch wegen drohender schrecklic­her Entwicklun­gen in den nächsten Jahrzehnte­n, wenn diesen nicht jetzt vorgebeugt wird. »Unser Buch richtet sich an Menschen, die darüber besorgt sind, wie die Gesellscha­ft immer mehr auseinande­rdriftet, und die es als Skandal empfinden, dass ein Prozent der Bevölkerun­g gut vierzig Prozent des Vermögens kontrollie­rt.«

Ihr Buch sei adressiert an all jene, die sich eine Neubelebun­g der Demokratie wünschen, die mit Engagement »beherzt und mutig« jeden Tag daran arbeiten, eine Antwort auf die anstehende­n Herausford­erungen zum Überleben der Menschheit zu finden«. Kurzum: »An die vielen, vielen auf der Welt, die den Traum von einer besseren Welt für alle nicht aufgegeben haben.«

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