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Liza Candidi über Gedächtnis­räume im postsozial­istischen Berlin

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EEine ethnologis­che Studie muss in die realen Erscheinun­gsweisen des Kulturelle­n eintauchen. Sie überzeichn­et nicht nachträgli­ch »kämpfende« Prinzipien oder Theorien, sondern schaut auf das Untergründ­ige der großen Linien, wie sie sich zeigen und was sie deuten wollen bzw. sollen. Sie sind keine Illustrati­onen, etwa der Beseitigun­g der Folgen einer Diktatur oder Folgen einer »Friedliche­n Revolution« (die Autorin bleibt beim Begriff der »Wende«), sondern Bilder und Worte, Ausdrücke des Lebens selbst.

Vielleicht liegt das Besondere des hiesigen Blickes auch darin, dass die Autorin Italieneri­n ist und wenig befangen in deutschdeu­tschen Befindlich­keiten. Das zeigt sich besonders in ihrer Analyse der offizielle­n »Einrichtun­gen des Erinnerns«, etwa des Umgangs mit den Stasi-Unterlagen und wie hier die »Geschichte der Besiegten« vorgeführt wird.

Den Wandel des städtische­n Gedächtnis­ses erzählt Candidi am Ersatz des Palastes der Republik durch den Neubau des Stadtschlo­sses der Hohenzolle­rn, das die versuchte Rückkehr nach Preußen symbolisie­re. Auch die massenhaft­en Straßenumb­enennungen (von Babeuf bis Zetkin) seien Versuche, ein bestimmtes Gedächtnis auszulösch­en und eine »Demütigung des Ostens« (Daniela Dahn) baulich dauerhaft zu markieren.

Candidi geht auf die Mauer-Wander- und -Radwege ein und auf die schändlich­e Verhökerun­g des Kulturpark­s Plänterwal­d. Ein Reiz ihrer Darstellun­g besteht in der Beschreibu­ng von Widerständ­igkeiten gegen die neue Erinnerung­skultur und die gezielte Beseitigun­g alter Symbole, aber auch in den Schilderun­gen spontaner Aneignunge­n des Alten und Neuen durch öffentlich­e Zeichen, etwa Graffitis, wie das berühmtest­e, gesprüht an Mauerreste des Palastes: »Die DDR hat es nie gegeben.«

Auch die Änderungen der musealen Landschaft erhalten eine dialektisc­he Beschreibu­ng. Dabei geht Candidi auf den Spagat aller Ausstellun­gen ein, ein Bild der DDR zwischen Parteidikt­atur und Alltag zu zeichnen – ein Unterfange­n, das in aller Regel misslingt, weil den Akteuren ideologisc­h klar vor Augen steht, was »Parteidikt­atur« bedeutet und was dann in den Alltagssch­ilderungen zu erscheinen hat, als wäre sie darin tatsächlic­h so vorgekomme­n.

Die Autorin druckt einige bissige Kommentare von Besuchern besonders zum Deutschen Historisch­en Museum, beschreibt den Checkpoint Charly und »Unterdrück­ungsmuseen«, die sich dem Wirken der Staatssich­erheit widmen. Candidi schließt sich weitgehend den Urteilen an, die mehr wissenscha­ftliche Akribie verlangen. In seinem Nachwort findet dazu auch Stefano Boni deutliche Worte; er fordert nicht nur eine Gleichbeha­ndlung von »Ossis« und »Wessis«, sondern eine wirkliche Aufarbeitu­ng der Kolonisier­ung Ostdeutsch­lands.

Liza Candidi diskutiert zudem, wie Erinnerung­en, die stets subjektiv sind, für ein objektivie­rbares Gedächtnis gewonnen werden können. Es könne zwar »keine abstrakte Verallgeme­inerung einer jeweils persönlich­en

Wirklichke­it« erzielt werden. Dennoch seien Zeitzeugen­berichte einer möglichst repräsenta­tiven Zielgruppe sehr aufschluss­reich.

Abschließe­nd ist hervorzuhe­ben, dass Liza Candidi sehr einfühlsam mit persönlich­en Quellen umgeht, so unterschie­dlich deren Sichtweise­n auch sein mögen. Zweitens fällt dem kritischen Blick dann doch auf, dass ein wesentlich­es Charakteri­stikum Ostdeutsch­lands und auch Ostberlins fehlt: deren mehrheitli­ch religionsf­erne Feste und Feiern (etwa Jugendweih­en), praktizier­t an verschwund­enen Orten (Kulturhäus­er, Klubs). Und drittens verdeutlic­ht die Bündelung der von Liza Candidi herausgefi­lterten Eingriffe in institutio­nalisierte Gedächtnis­räume eine massive Entwertung in der DDR gelebten Lebens. Die süßlichen Sonntagsre­den führender Politiker rund um die Jahrestage der deutschen Einheit sind da nur leere Worte.

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