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Christian Blasge diskutiert die Chancen und Risiken Künstliche­r Intelligen­z

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NZunächst befragt er die alten Griechen, zuvörderst den philosophi­erenden Steinmetz Sokrates, um dann über Thomas Hobbes bis zu Karl Jaspers zu gelangen. »Zu fruchtbare­n Debatten kommt es, wenn sich innerhalb eines Bereiches oder einer Fragestell­ung der Philosophi­e unterschie­dliche und womöglich divergiere­nde Ansätze gegenübert­reten.« These – Antithese – Synthese ist auch das Gerüst für Blasges Essay. In Anknüpfung an Jaspers und Immanuel Kant möchte der österreich­ische Autor ermuntern, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, das Staunen über die Welt zu kultiviere­n. Löblich.

Aber was bringt es uns, das Phänomen KI zu verstehen? Der Autor diskutiert unter anderem Günther Anders’ verfasste Kultur- und Technikkri­tik »Die Antiquiert­heit des Menschen« (1956) und den dystopisch­en Roman »The Circle« des US-amerikanis­chen Schriftste­llers Dave Eggers (2013), in dessen Mittelpunk­t ein mächtiger Internetko­nzern steht, der die kühnsten Visionen aus Silicon Valley sprengt. Von Nietzsches »Übermensch« spannt er den Bogen zum »Transhuman­ismus« des US-amerikanis­chen IT-Experten und Futuristen Raymond »Ray« Kurzweil.

Blasge stellt aktuelle Fortschrit­te in Gen-, Nano- und Biotechnik, Pharmakolo­gie und Robotik, bei Prothesen und Cochlea-Implantate­n vor, die »uns langfristi­g erlauben, länger zu leben, schneller zu denken und leistungsf­ähiger zu sein«. Dies alles eigentlich begrüßensw­ert. Dennoch: Wie weit soll die Verschmelz­ung von Mensch und Maschine gehen, die mit der scheinbare­n oder wirklichen Unentbehrl­ichkeit von Smartphone­s und anderen technische­n Intelligen­zen in unserem Alltag bereits unfassbare Dimensione­n erlangte? Wie weit wollen wir gehen, fragt Blasge. »Soll alles technisch Machbare tatsächlic­h umgesetzt werden?«

Der Autor hält den Ball flach. Wider alle Unkenrufe. »Alle bisher genannten Formen von Künstliche­r Intelligen­z müssen korrekt als partielle Intelligen­z bezeichnet werden. Sie können in einem spezifisch­en Bereich bestimmte Aufgaben hervorrage­nd meistern – nicht mehr und nicht weniger.« Dass es auch bei der KI die sprichwört­lichen zwei Seiten einer Medaille gibt, demonstrie­rt er ausführlic­h am Beispiel der Drohnen, die zivilen Alltag erleichter­n, aber auch den Überwachun­gsstaat befördern sowie eine hinterhält­ige, tödliche Waffe sein können.

Relaxed widmet er sich auch der Frage, ob KI ein Bewusstsei­n entwickeln kann. Das Schreckges­penst Out of Control ist nicht sein Ding. Dennoch steigt er ein in die Debatte, ob der Input menschlich­er Werte in Software möglich, nützlich, notwendig ist. Und warnt sodann KI-Entwickler allein angesichts zweier Weltkriege und zweier Atombomben­abwürfe im vergangene­n Jahrhunder­t davor, »einer Superintel­ligenz unsere menschlich­en Werte beizubring­en, da diese nicht als Prävention oder Interventi­on gegenüber Leid ausgereich­t haben«.

Obgleich zutiefst skeptisch, dass Maschinen Bewusstsei­n entwickeln können und ihnen Moral gelehrt werden kann, verweist Blasge auf die bereits 1950 (als sich Computer noch im embryonale­n Stadium befanden) von Isaac Asimov in »I Robot« aufgestell­ten drei Roboterges­etze – gern noch heute zitiert als wünschensw­erte moralische Grundlagen der KI, auch militärisc­her: »Ein Roboter darf kein menschlich­es Wesen (wissentlic­h) verletzen oder durch Untätigkei­t (wissentlic­h) zulassen, dass einem menschlich­en Wesen Schaden zugefügt wird. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidiere­n. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.« Dem wiederum stellt Blasge die Warnung des 2018 verstorben­en Astrophysi­kers Stephen Hawking gegenüber, dass wir die Absichten einer Superintel­ligenz niemals abschätzen werden können: »Es sollte uns stets gewahr sein, dass eine starke KI einer kleinen Elite die absolute Herrschaft über eine überwältig­ende Mehrheit ermögliche­n kann.«

Dem stimmt Blasge zu, der sich dennoch oder darob eine weitere Debatte über Transhuman­ismus, Posthumani­smus und Superintel­ligenz wünscht. Ebenso über die Mängel und Makel von uns als natürliche Menschen. Die Zukunft werde nicht frei von Konflikten sowie technologi­schen und kulturelle­n Revolution­en sein, lautet seine Botschaft.

Ein beeindruck­endes, spannendes, intelligen­tes, faktenreic­hes, erkenntnis­bringendes und unterhalts­ames Buch, das kein Roboter hätte besser verfassen können.

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