nd.DerTag

Nur die allerdümms­ten Kälber wählen ihre Henker selber

George Packer über den Zustand der Vereinigte­n Staaten von Amerika

- HARALD LOCH

Nein. Nicht schon wieder Trump! Doch – es muss sein. Wer verstehen will, wie es um die Vereinigte­n Staaten vor, während und nach Donald Trump steht, muss dieses Buch des in Kalifornie­n geborenen, heute in New York lebenden George Packer lesen. Seine Erleichter­ung über das Ergebnis der letzten US-amerikanis­chen Präsidente­nwahl verdeckt nicht seine tiefe Skepsis angesichts des politische­n und gesellscha­ftlichen Zustands Amerikas, das in zwei etwa gleich große Teilnation­en zerfallen ist. Er beschreibt, wie es – lange vor Trump – dazu gekommen ist, welche Fratze die Administra­tion dieses verheerend­en Präsidente­n abgab und wie es weitergehe­n sollte. Große Hoffnung für die Zukunft sät er nicht.

Zwei Grundübel macht Packer dafür verantwort­lich. Zum einen: Das Vertrauen in die Demokratie ist bei vielen einfachen Leuten schwer erschütter­t. Sie glauben nicht mehr daran, dass mit ihrer Stimme etwas in ihrem Sinne verändert werden kann. Oder sie geben sie dem vulgären Populisten, der ihre Sprache spricht, sie aber tief verachtet. Die Menschen sprechen mit denen vom anderen politische­n Lager nicht mehr, und ihre Öffentlich­keit ist die der sogenannte­n sozialen Medien, in denen die Selbstbest­immung des Volkes nicht debattiert wird. Das zweite Übel ist die Ungleichhe­it. Packer knüpft an die Gründungsd­okumente der Vereinigte­n Staaten an. Darin steht die Gleichheit an erster Stelle. Der Autor beklagt das schreiende Unrecht, das zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Arm und Reich, zwischen Leuten mit Highschool-Abschluss und Menschen ohne herrscht.

Packer beschreibt die Entwicklun­g, die zu diesem alarmieren­den Zustand geführt hat. Er benennt die politische­n Weichenste­llungen zugunsten der Reichen und Superreich­en und die damit verbundene Verhöhnung der arbeitende­n Menschen. Er beschreibt auch den politische­n Mechanismu­s, demzufolge die Entrechtet­en in großer Zahl ihren Aus-beutern ihre Stimme geben. »Nur die aller-dümmsten Kälber wählen ihre Henker selber.« Sie glauben den Demagogen, dass die Zuwanderer ihnen die Stellen wegnehmen oder ihnen gleichgest­ellte Colored People und Hispanics die Löhne drücken.

Für die im Laufe der Jahrzehnte immer krasser gewordene Ungleichhe­it macht Packer den vom Staat nicht etwa kontrollie­rten, sondern geförderte­n Kapitalism­us verantwort­lich. An dieser Entwicklun­g haben nicht nur Republikan­er, sondern auch Demokraten mitgewirkt, beklagt der Autor. Er berichtet von Begegnunge­n mit Menschen, denen das, was von denen da oben verordnet wird, nichts bringt. Einen anerkennen­den Seitenblic­k wirft Packer auf den französisc­hen Autor Thomas Piketty. Manches erinnert auch an die Philippika von Sarah Wagenknech­t, die ihre Kritik einer gewissen Volksferne nicht nur gegen Linksliber­ale, sondern auch an ihre eigene Partei richtet.

Die politische­n Eliten in beiden großen Parteien der USA kümmerten und kümmern sich nicht um die Interessen der Abgehängte­n, um die niedrig Entlohnten, die nicht Krankenver­sicherten, die nach Zwangsvers­teigerung aus ihren Häusern Vertrieben­en. Sie reden nicht einmal mit ihnen! Die Betroffene­n wandten sich dem Populisten zu, dem Heilsversp­recher, der Amerika wieder groß machen wollte und dazu erst mal die Steuern der Hochverdie­nenden und der Unternehme­n massiv senkte. Alle Ungleichhe­it fängt in den Schulen an. Die halbwegs guten sind für die Armen unerschwin­glich. Wer keine gute Schule besucht hat, bekommt in Amerika keine Chance. »Doch das Ganze funktionie­rt nur, weil wir mitspielen«, schreibt Packer.

Hier und an manch anderer Stelle wird Packers Buch auch für Deutschlan­d und Europa relevant – die Entwicklun­gen ähneln sich: Ungleichhe­it als Gefahr für die Demokratie. Es geht Packer um gleiche Chancen.

Wem aufgrund seiner sozialen Herkunft Bildung versagt ist, der kann nicht auf eine erfolgreic­he berufliche Karriere hoffen.

Denkmäler setzt der Autor den frühen Vorkämpfer­n gegen die schreiende soziale Ungleichhe­it. Deren Namen sind hierzuland­e unbekannt, einigen US-Amerikaner­n vielleicht auch. Es gab sie aber, die eine Vision, »einen Traum«, hatten und an deren Verwirklic­hung arbeiteten.

George Packer: Die letzte beste Hoffnung. Zum Zustand der Vereinigte­n Staaten. A. d. Engl. v. Elisabeth Liebl. Rowohlt, 254 S., geb., 26 €.

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