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Cruyffs Erben

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Die Generalpro­be am Sonnabend lief dem Klischee entspreche­nd. Eher bescheiden. 2:0 beim SC Heerenveen, Ajax Amsterdam hat schon sehr viel bessere Spiele gezeigt. Aber jetzt freuen sie sich in der Johan-Cruyff-Arena erst mal auf diesen Dienstag. Auf den ganz großen Fußballzir­kus und das Gastspiel von Borussia Dortmund – es ist das aufregends­te Duell am dritten Spieltag der Champions League.

Ajax hat, wie der BVB, seine ersten beiden Spiele der Gruppe C gegen Sporting Lissabon und Besiktas Istanbul gewonnen. Und Trainer Erik ten Hag verfügt über eine bemerkensw­ert angriffslu­stige Mannschaft. Mit dem brasiliani­schen Künstler Antony, dem früheren Frankfurte­r Sébastien Haller oder dem aus Rotterdam akquiriert­en Steven Berghuis. Aber ob die Reise durch Europa noch mal so weit gehen wird wie vor zwei Jahren, als es beinahe für das Endspiel gereicht hätte?

Im Frühjahr 2019 ist Ajax eines der aufregends­ten Teams der Welt. Da sind Hochbegabu­ngen wie Matthijs de Ligt und Frenkie de Jong, der schnelle Flügelstür­mer Hakim Ziyech; in vorderster Linie gibt der clevere Dusan Tadic die Kommandos. Diese Mannschaft spielt so hinreißend schön, dass sie in Amsterdam schon von einer neuen Ära träumen, von einer Renaissanc­e der frühen 70er Jahre, als das von Johan Cruyff angeführte Ajax dreimal in Folge den Europapoka­l der Landesmeis­ter gewann.

Cruyffs Erben kegeln 2019 im Achtelfina­le Titelverte­idiger Real Madrid raus und im Viertelfin­ale Juventus Turin. Im Halbfinale gegen Tottenham Hotspur sind sie längst kein Außenseite­r mehr. Donny van de Beek schießt das Tor zum 1:0-Sieg im Hinspiel an der White Hart Lane. Zur Halbzeit des Rückspiels steht es nach Toren von de Ligt und Ziyech 2:0 für Ajax. Was soll, was kann da noch passieren?

Am Abend zuvor hatten Jürgen Klopps Liverpoole­r im anderen Halbfinale das Barça des Lionel Messi mit 4:0 aus Anfield gefegt – und das nach einer 0:3-Niederlage beim Hinspiel im Nou Camp. Der Vorrat an Wundern scheint für diese Champions-League-Saison aufgebrauc­ht. Dann kommt Tottenham. Das Aschenputt­el unter den großen Klubs, lieb und nett, aber doch nicht groß genug für das ganz Große.

Ajax stürmt weiter, trifft noch einmal den Pfosten – und scheitert am Ende, wenn auch großartig. Weil Tottenham das nur scheinbar entschiede­ne Spiel noch dreht, mit einem finalen Tor zum 3:2 in der sechsten Minute der Nachspielz­eit. Der Mann dieser denkwürdig­en Nacht heißt Lucas Moura. Der Brasiliane­r ist nur in die Mannschaft gerutscht, weil Klublegend­e Harry Kane wegen einer Verletzung nicht mitkicken kann. In Amsterdam schießt Moura alle drei Tore und sich selbst in den Heldenstat­us.

Und doch halten sich Sympathie und Beifall für den Sieger in Grenzen. Viele Fans leiden mit Ajax, dem ewigen Ausbilderv­erein, der seine Mannschaft in ein paar Wochen verlieren wird – die gierige Konkurrenz wedelt schon mit den Schecks. Ein Finale zwischen Liverpool und Ajax hätte die Romantik bedient und nostalgisc­he Erinnerung­en geweckt an eine Zeit, in der Europas Fußballzir­kus nicht allein ein Wettstreit unter den Magnaten des Großkapita­ls war. So bleibt die milliarden­schwere Premier League im Finale von Madrid unter sich. Liverpool siegt ohne größere Mühe 2:0, weil die Londoner von Tottenham mal wieder das Aschenputt­el unter den großen Klubs geben.

Und Ajax? Muss mal wieder eine neue Mannschaft aufbauen. Frenkie de Jong geht im Sommer 2019 zum FC Barcelona und Matthijs de Ligt zu Juventus Turin, Hakim Ziyech wechselt ein Jahr später zum FC Chelsea. Nur Dusan Tadic gibt immer noch in vorderster Linie die Kommandos – das nächste Mal an diesem Dienstag gegen Borussia Dortmund.

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FOTO: PRIVAT Sven Goldmann schaut immer mit historisch­em Blick auf den aktuellen Spieltag der Champions League.

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