Bereit für das Zweckbündnis
FDP stimmt Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen auf Bundesebene zu
Berlin. Nachdem die FDP wesentliche Punkte ihrer Agenda bereits in den Sondierungen mit SPD und Grünen durchgesetzt hatte, stimmten ihre Spitzenleute am Montag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den beiden Parteien. Die Liberalen können bereits die Einhaltung der sogenannten Schuldenbremse und den Verzicht auf Steuererhöhungen für Vermögende als Erfolg für sich verbuchen.
Am Sonntag hatten FDP-Vize Wolfgang Kubicki und FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann für ihren Parteivorsitzenden Christian Lindner als Finanzminister geworben. Der wandte sich gegen öffentliche Diskussionen über Ministerposten, signalisierte aber Interesse am Finanzressort. Wichtig sei ihm, dass jeder der Koalitionspartner »Einfluss nehmen« könne, sagte Lindner am Sonntagabend in der ARD. Das wäre aus seiner Sicht fair, wenn die SPD Anspruch auf das Kanzleramt habe und die Grünen mit dem neuen Klimaministerium die Möglichkeit hätten, »auch gestalterisch zu wirken«.
Der Grünen-Ko-Vorsitzende Robert Habeck kritisierte die Debatte als nicht hilfreich. Mit solchen Vorstößen erhöhe man »im Zweifelsfall nur die eigene Fallhöhe«, sagte er in der ARD. Allerdings hatte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) seinerseits für Habeck als Finanzminister geworben.
Unterdessen appellierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace am Montag insbesondere an SPD und Grüne, sie müssten sich in den Koalitionsverhandlungen für einen Abzug der US-Atomsprengköpfe aus Deutschland stark machen. Das Nato-Militärmanöver »Steadfast Noon« auch auf dem Fliegerhorst in Büchel in Rheinland-Pfalz, wo die US-Nuklearwaffen lagern, müsse die letzte Atomwaffenübung mit deutscher Beteiligung sein, forderte Christoph von Lieven, Greenpeace-Sprecher für nukleare Abrüstung, am Montag. nd/Agenturen
Nach den Spitzen von SPD und Grünen erklärt sich auch die FDP einverstanden mit der Aufnahme formaler Gespräche über ein Ampelbündnis.
Es war zu erwarten, nun ist es so weit: Einstimmig haben FDP-Fraktion und -Bundesvorstand für Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen votiert. Das teilte Parteichef Christian Lindner am Montag in Berlin mit. Und gab den Staatsmann: »Deutschland braucht eine stabile Regierung, Deutschland darf nicht führungslos sein. Deutschland benötigt eine umfassende Modernisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat«, erklärte er. »Wir begeben uns nun auf den Weg, Verantwortung für Deutschland mit zu übernehmen.« Es habe »eine zweieinhalbstündige sehr intensive Aussprache« gegeben, so Lindner. Die beiden anderen Parteien hatten bereits zuvor zugestimmt.
Lindner betonte zugleich, das nun angestrebte Ampelbündnis sei für die Liberalen keine Wunschkonstellation gewesen. Die Gesprächspartner hätten sich vor der Wahl »nicht gesucht, um es diplomatisch auszudrücken«. Es gebe nach wie vor große inhaltliche Unterschiede, bei denen es auch in Zukunft bleiben werde. Dies erfordere von allen viel Toleranz und Bereitschaft zu »neuem Denken«.
Am Freitag hatten die Unterhändler der drei Parteien ein gemeinsames Ergebnispapier ihrer Sondierungsgespräche präsentiert (siehe »nd.DieWoche«, Seite 3), in dem einige Punkte bereits geklärt wurden. Andere Differenzen bestehen fort. Lindner stellte am Montag erneut klar: »Eine Ampelkoalition wäre ganz ohne Zweifel zu ihrem Beginn ein Zweckbündnis.« Ob »daraus mehr werden« könne, das liege an allen Beteiligten. In jedem Fall müsse die Bundesrepublik »freier, nachhaltiger, digitaler, moderner und wettbewerbsfähiger« werden. Wenn dies geschehe, könne ein Ampelbündnis »zum Gewinn für das Land werden«.
Der FDP-Chef betonte, das Ergebnis der Bundestagswahl bedeute »keinen Linksruck« in Deutschland. Niemand könne daraus ableiten, dass es eine deutliche Verschiebung der politischen Koordinaten nach links gebe. Deshalb müsse eine Ampelkoalition eine »Regierung der Mitte« sein.
Bereits am Sonntagabend hatte Lindner für das Bündnis mit SPD und Grünen geworben. Im gemeinsam erarbeiteten Sondierungspapier seien viele Anliegen der FDP enthalten, unter anderem Investitionen in Digitalisierung, bessere Bildung und Aufstiegschancen. Im ZDF sagte Lindner, Scheitern sei keine Option.
Ein kleiner Parteitag der Grünen hatte am Sonntag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gestimmt, bereits am Freitag hatte sich der SPD-Vorstand dafür ausgesprochen. Spitzenvertreter der drei Parteien hatten zuvor mehrere Tage lang Sondierungsgespräche geführt und zu deren Abschluss am Freitag ein zwölfseitiges Ergebnispapier präsentiert.
Wann die Koalitionsverhandlungen beginnen, ist noch unklar. Sie könnten aber noch diese Woche starten, verlautete am Montag aus Kreisen der beteiligten Parteien.
Unterdessen versuchte die Grünen-CoVorsitzende Annalena Baerbock, das erste Krötenschlucken ihrer Partei in den Sondierungsgesprächen schönzureden. Das Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf den Autobahnen, für das sich die Grünen im Wahlkampf eingesetzt hatten und das in dem Ergebnispapier nicht mehr auftaucht, sei nur eine »kleine Maßnahme beim Klimaschutz«, sagte Baerbock am Montag im Deutschlandfunk. Wie die SPD sich zu dieser Forderung in den Gesprächen verhalten hat, dazu wollte sie sich nicht äußern.
Baerbock schlug vor, zur Finanzierung der Pläne einer möglichen Ampel-Koalition neue Schulden aufzunehmen. Zur Umsetzung der von SPD, Grünen und FDP erarbeiteten Infrastrukturmaßnahmen seien rund 50 Milliarden Euro pro Jahr nötig, sagte die GrünenChefin. Allerdings stellt sich die FDP nach wie vor vehement gegen jede »Aufweichung« der Schuldenbremse im Grundgesetz. Im gemeinsamen Sondierungspapier der Parteien ist festgelegt, dass die Vorschrift eingehalten werden soll, dass es keine Nettoneuverschuldung geben darf. SPD-Kanzlerkandidat Scholz hatte am Sonntagabend in der ARD den Vorwurf zurückgewiesen, dass die Finanzierbarkeit der gemeinsamen Pläne der drei Parteien nicht gesichert sei.
Grünen-Co-Vorsitzender Robert Habeck hatte am Sonntag versprochen, seine Partei werde »Treiberin großer Transformationsaufgaben sein«; im Bündnis mit Sozialdemokraten und Liberalen sieht er eine »Fortschrittsregierung«. Die Grünen regierten bereits von 1998 bis 2005 mit der SPD im Bund. Mit Agenturen
»Wir begeben uns nun auf den Weg, Verantwortung für Deutschland mit zu übernehmen.«
Christian Lindner FDP-Vorsitzender