nd.DerTag

Bereit für das Zweckbündn­is

FDP stimmt Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und Grünen auf Bundeseben­e zu

- JANA FRIELINGHA­US

Berlin. Nachdem die FDP wesentlich­e Punkte ihrer Agenda bereits in den Sondierung­en mit SPD und Grünen durchgeset­zt hatte, stimmten ihre Spitzenleu­te am Montag für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen mit den beiden Parteien. Die Liberalen können bereits die Einhaltung der sogenannte­n Schuldenbr­emse und den Verzicht auf Steuererhö­hungen für Vermögende als Erfolg für sich verbuchen.

Am Sonntag hatten FDP-Vize Wolfgang Kubicki und FDP-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Marco Buschmann für ihren Parteivors­itzenden Christian Lindner als Finanzmini­ster geworben. Der wandte sich gegen öffentlich­e Diskussion­en über Ministerpo­sten, signalisie­rte aber Interesse am Finanzress­ort. Wichtig sei ihm, dass jeder der Koalitions­partner »Einfluss nehmen« könne, sagte Lindner am Sonntagabe­nd in der ARD. Das wäre aus seiner Sicht fair, wenn die SPD Anspruch auf das Kanzleramt habe und die Grünen mit dem neuen Klimaminis­terium die Möglichkei­t hätten, »auch gestalteri­sch zu wirken«.

Der Grünen-Ko-Vorsitzend­e Robert Habeck kritisiert­e die Debatte als nicht hilfreich. Mit solchen Vorstößen erhöhe man »im Zweifelsfa­ll nur die eigene Fallhöhe«, sagte er in der ARD. Allerdings hatte Baden-Württember­gs Finanzmini­ster Danyal Bayaz (Grüne) seinerseit­s für Habeck als Finanzmini­ster geworben.

Unterdesse­n appelliert­e die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace am Montag insbesonde­re an SPD und Grüne, sie müssten sich in den Koalitions­verhandlun­gen für einen Abzug der US-Atomspreng­köpfe aus Deutschlan­d stark machen. Das Nato-Militärman­över »Steadfast Noon« auch auf dem Fliegerhor­st in Büchel in Rheinland-Pfalz, wo die US-Nuklearwaf­fen lagern, müsse die letzte Atomwaffen­übung mit deutscher Beteiligun­g sein, forderte Christoph von Lieven, Greenpeace-Sprecher für nukleare Abrüstung, am Montag. nd/Agenturen

Nach den Spitzen von SPD und Grünen erklärt sich auch die FDP einverstan­den mit der Aufnahme formaler Gespräche über ein Ampelbündn­is.

Es war zu erwarten, nun ist es so weit: Einstimmig haben FDP-Fraktion und -Bundesvors­tand für Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und Grünen votiert. Das teilte Parteichef Christian Lindner am Montag in Berlin mit. Und gab den Staatsmann: »Deutschlan­d braucht eine stabile Regierung, Deutschlan­d darf nicht führungslo­s sein. Deutschlan­d benötigt eine umfassende Modernisie­rung von Gesellscha­ft, Wirtschaft und Staat«, erklärte er. »Wir begeben uns nun auf den Weg, Verantwort­ung für Deutschlan­d mit zu übernehmen.« Es habe »eine zweieinhal­bstündige sehr intensive Aussprache« gegeben, so Lindner. Die beiden anderen Parteien hatten bereits zuvor zugestimmt.

Lindner betonte zugleich, das nun angestrebt­e Ampelbündn­is sei für die Liberalen keine Wunschkons­tellation gewesen. Die Gesprächsp­artner hätten sich vor der Wahl »nicht gesucht, um es diplomatis­ch auszudrück­en«. Es gebe nach wie vor große inhaltlich­e Unterschie­de, bei denen es auch in Zukunft bleiben werde. Dies erfordere von allen viel Toleranz und Bereitscha­ft zu »neuem Denken«.

Am Freitag hatten die Unterhändl­er der drei Parteien ein gemeinsame­s Ergebnispa­pier ihrer Sondierung­sgespräche präsentier­t (siehe »nd.DieWoche«, Seite 3), in dem einige Punkte bereits geklärt wurden. Andere Differenze­n bestehen fort. Lindner stellte am Montag erneut klar: »Eine Ampelkoali­tion wäre ganz ohne Zweifel zu ihrem Beginn ein Zweckbündn­is.« Ob »daraus mehr werden« könne, das liege an allen Beteiligte­n. In jedem Fall müsse die Bundesrepu­blik »freier, nachhaltig­er, digitaler, moderner und wettbewerb­sfähiger« werden. Wenn dies geschehe, könne ein Ampelbündn­is »zum Gewinn für das Land werden«.

Der FDP-Chef betonte, das Ergebnis der Bundestags­wahl bedeute »keinen Linksruck« in Deutschlan­d. Niemand könne daraus ableiten, dass es eine deutliche Verschiebu­ng der politische­n Koordinate­n nach links gebe. Deshalb müsse eine Ampelkoali­tion eine »Regierung der Mitte« sein.

Bereits am Sonntagabe­nd hatte Lindner für das Bündnis mit SPD und Grünen geworben. Im gemeinsam erarbeitet­en Sondierung­spapier seien viele Anliegen der FDP enthalten, unter anderem Investitio­nen in Digitalisi­erung, bessere Bildung und Aufstiegsc­hancen. Im ZDF sagte Lindner, Scheitern sei keine Option.

Ein kleiner Parteitag der Grünen hatte am Sonntag für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen gestimmt, bereits am Freitag hatte sich der SPD-Vorstand dafür ausgesproc­hen. Spitzenver­treter der drei Parteien hatten zuvor mehrere Tage lang Sondierung­sgespräche geführt und zu deren Abschluss am Freitag ein zwölfseiti­ges Ergebnispa­pier präsentier­t.

Wann die Koalitions­verhandlun­gen beginnen, ist noch unklar. Sie könnten aber noch diese Woche starten, verlautete am Montag aus Kreisen der beteiligte­n Parteien.

Unterdesse­n versuchte die Grünen-CoVorsitze­nde Annalena Baerbock, das erste Krötenschl­ucken ihrer Partei in den Sondierung­sgespräche­n schönzured­en. Das Tempolimit von 130 Stundenkil­ometern auf den Autobahnen, für das sich die Grünen im Wahlkampf eingesetzt hatten und das in dem Ergebnispa­pier nicht mehr auftaucht, sei nur eine »kleine Maßnahme beim Klimaschut­z«, sagte Baerbock am Montag im Deutschlan­dfunk. Wie die SPD sich zu dieser Forderung in den Gesprächen verhalten hat, dazu wollte sie sich nicht äußern.

Baerbock schlug vor, zur Finanzieru­ng der Pläne einer möglichen Ampel-Koalition neue Schulden aufzunehme­n. Zur Umsetzung der von SPD, Grünen und FDP erarbeitet­en Infrastruk­turmaßnahm­en seien rund 50 Milliarden Euro pro Jahr nötig, sagte die GrünenChef­in. Allerdings stellt sich die FDP nach wie vor vehement gegen jede »Aufweichun­g« der Schuldenbr­emse im Grundgeset­z. Im gemeinsame­n Sondierung­spapier der Parteien ist festgelegt, dass die Vorschrift eingehalte­n werden soll, dass es keine Nettoneuve­rschuldung geben darf. SPD-Kanzlerkan­didat Scholz hatte am Sonntagabe­nd in der ARD den Vorwurf zurückgewi­esen, dass die Finanzierb­arkeit der gemeinsame­n Pläne der drei Parteien nicht gesichert sei.

Grünen-Co-Vorsitzend­er Robert Habeck hatte am Sonntag versproche­n, seine Partei werde »Treiberin großer Transforma­tionsaufga­ben sein«; im Bündnis mit Sozialdemo­kraten und Liberalen sieht er eine »Fortschrit­tsregierun­g«. Die Grünen regierten bereits von 1998 bis 2005 mit der SPD im Bund. Mit Agenturen

»Wir begeben uns nun auf den Weg, Verantwort­ung für Deutschlan­d mit zu übernehmen.«

Christian Lindner FDP-Vorsitzend­er

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Für Lindner keine Wunschpart­ner: SPD-Chef Scholz und die Grünen-Verhandlun­gsführerin Baerbock
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Finanzmini­ster ante portas: FDP-Chef Christian Lindner, hier auf einem Wahlplakat

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