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Die Linke kann doch noch gewinnen

Linke-Politikeri­n Silvia Ristow erobert Rathaus von Bernburg

- MAX ZEISING

Am Sonntagabe­nd um kurz nach 19 Uhr machte sich Freude, aber auch Erleichter­ung im Wahlkreisb­üro von Jan Korte in Bernburg breit. Die Sektgläser klirrten, im Hintergrun­d erklang ein Saxofon. »Wir können noch siegen«, jubelte Korte, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion im Bundestag und Abgeordnet­e des Wahlkreise­s Anhalt. »Es ist vollbracht! Jippie!«, schrieb Eva von Angern, Fraktionsc­hefin im Magdeburge­r Landtag, auf Twitter. Kurz zuvor war das Ergebnis der Stichwahl um das Rathaus in Bernburg bekannt geworden: Silvia Ristow, die Kandidatin der Linken, hatte gegen den CDU-Bewerber Thomas Gruschka mit 69,41 Prozent gewonnen – Wahlbeteil­igung: rund 38 Prozent – und wird neue Oberbürger­meisterin der 32 000Einwohn­er-Stadt in Sachsen-Anhalt.

Entspreche­nd breit war das Grinsen, das Eva von Angern und Landeschef Stefan Gebhardt aufsetzten, während die Siegerin etwas überwältig­t wirkte. Nach den Gründen für den Erfolg gefragt, musste Silvia Ristow kurz nachdenken. »Das ist eine sehr schwere Frage«, sagte sie dem lokalen Nachrichte­nportal »BBG Live«. Sie sei »total gerührt, total fassungslo­s« und »hoffe«, dass ihr Wahlprogra­mm die Bürger überzeugt habe.

Worte, aus denen mehr die Überraschu­ng als die Überzeugun­g sprach – nach all den Katastroph­en und Rückschläg­en auf Bundes- und Landeseben­e nur allzu nachvollzi­ehbar. Dabei gibt es durchaus Gründe für das gute Abschneide­n Ristows: Seit vielen Jahren engagiert sich die Kommunalpo­litikerin, die bei der Wahl am Sonntag auch von SPD und Grünen unterstütz­t wurde, für ihre Region. Sie sitzt im Kreistag, ist in der Stadtverwa­ltung Bernburg Dezernenti­n im Bereich »Innere Dienste« und engagiert sich im Reitverein Bernburg-Roschwitz. »Sie hat eine extrem bürgernahe Politik betrieben und über Parteigren­zen hinaus Anerkennun­g erworben«, sagte Linke-Landeschef Stefan Gebhardt am Montag gegenüber »nd«.

Noch dauert es ein wenig, bis Ristow den Schlüssel zu ihrem neuen Büro bekommt: Ihre Amtszeit beginnt erst am 1. März 2022. Viel wichtiger ist aus Sicht der Linken aber dieses Wahlergebn­is. Man hörte am Sonntagabe­nd die Steine von den Herzen der Genossen purzeln. »Wir wurden schon oft für tot erklärt. Aber wir sind nicht tot«, sagt Stefan Gebhardt. In der Tat eröffnet sich mit den beiden möglichen Landeskoal­itionen in Mecklenbur­g-Vorpommern und Berlin, aber auch mit Erfolgen auf kommunaler Ebene wie in Bernburg der Linken ein Möglichkei­tsfenster, den verloren geglaubten Zugang zu den Bürgern – in Wahlanalys­en häufig als Grund für die Rückschläg­e ausgemacht – zurückzuge­winnen.

Was bei der Wahl in Bernburg auch ins Auge fiel: Die AfD hatte, anders als auf Landes- und Bundeseben­e, nicht den Hauch einer Chance. Bereits in der ersten Runde hatte Ristow mit 39,15 Prozent der Stimmen vor Gruschka (31,9 Prozent) gelegen. Die anderen beiden Kandidaten, Kai Mehliß (parteilos) und Henriette Hellfritsc­h-Hüttl (AfD) kamen jeweils nur auf rund 14,5 Prozent. Der bisherige Amtsinhabe­r Henry Schütze (parteilos) war nicht wieder zur Wahl angetreten.

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