nd.DerTag

Neonazis als Biedermänn­er

Vor dem Landgerich­t Mühlhausen sagten Freunde der Rechten aus, die 2018 in Fretterode zwei Journalist­en schwer verletzt haben sollen

- JOACHIM F. TORNAU, MÜHLHAUSEN

Im Prozess um den brutalen Angriff von Neonazis auf Journalist­en in Thüringen traten erstmals Zeugen aus dem Umfeld der Angeklagte­n auf. Ihre Entlastung­sversuche warfen jedoch Fragen auf.

Als »unpolitisc­her Schulfreun­d« des Angeklagte­n Nordulf H. war der Zeuge von der Verteidigu­ng angekündig­t worden. Der 21Jährige sollte bestätigen, was sein rechtsradi­kaler Kumpel, der Sohn des NPD-Bundesvize­s und Kameradsch­aftsführer­s Thorsten Heise, über den Morgen des 29. April 2018 in Fretterode erzählt hatte. Über jenen Tag also, an dem Nordulf H. und Gianluca B. Jagd auf zwei Journalist­en gemacht haben sollen, die an Heises Anwesen in dem thüringisc­hen Dörfchen fotografie­rt hatten.

Der Auszubilde­nde aus Heiligenst­adt sollte weiter an dem Bild malen, das die Szeneanwäl­te Klaus Kunze und Wolfram Nahrath seit Prozessbeg­inn vor dem Landgerich­t Mühlhausen zu zeichnen bemüht sind: dass es sich bei den Angeklagte­n um rechtschaf­fene Bürger handele. Und dass es an jenem Frühlingst­ag in Fretterode keineswegs irgendein Neonazitre­ffen gegeben habe, wie die Journalist­en erfahren haben wollten, sondern nur das übliche private Wochenendl­eben – Fretterode, aber normal.

Und so sprach der Zeuge am Montag bereitwill­ig über seine Sauftour mit Nordulf H. am Vorabend des Tattags, über seine Übernachtu­ng im Hause Heise (weil man betrunken natürlich nicht mehr Auto fahre) und seinen vormittägl­ichen Aufbruch. Nicht etwa wegen der anwesenden Journalist­en sei er da schnurstra­cks zu dem nebenan wohnenden NPD-Funktionär Peter Süßbier gelaufen, der mit Gianluca B. in einer Wohngemein­schaft lebte, sondern lediglich, um nach Routenempf­ehlungen für den Rückweg zu fragen. Und um 13.12 Uhr, als er nach dem Zeitstempe­l der von den Rechercheu­ren gemachten Bilder noch in Fretterode gewesen sein soll, habe er schon längst zu Hause bei Mutter am Mittagstis­ch gesessen.

Doch je mehr es ins Detail ging, desto wortkarger wurde der Mann. Über den weiteren Fortgang des Tages, über die Auseinande­rsetzungen, an deren Ende einer der beiden Journalist­en einen gebrochene­n Schädel hatte und der andere einen Messerstic­h im Bein, habe er mit Nordulf H. nie gesprochen, behauptete er. »Das interessie­rt mich eigentlich auch gar nicht.«

Ob er die politische Einstellun­g seines Freundes kenne? »Ist mir nicht bekannt.« Ob er schon mal auf dem von Thorsten Heise organisier­ten Rechtsrock­festival »Schild und Schwert« im sächsische­n Ostritz gewesen sei? »Weiß ich nicht.« Der Haken: Es gibt Fotos, die ihn sogar als Ordner auf dem Neonazi-Event zeigen.

Schlecht aussehen ließ den Zeugen aber auch ein Foto, das die Anwälte der Nebenklage bei Instagram gefunden hatten: Aus einem gemeinsame­n Griechenla­nd-Urlaub mit der gesamten Familie Heise stammt es, auch Gianluca B. ist darauf zu sehen – den der Zeuge damals jedoch trotzdem nicht gekannt haben will. Wegen Aussagen, die der 21-Jährige kürzlich als vermeintli­cher Entlastung­szeuge in einem Prozess gegen rechte Schläger in Göttingen gemacht hat, droht ihm bereits ein Ermittlung­sverfahren wegen Falschauss­age. Nun könnte ein weiteres hinzukomme­n.

Auch der Nachbar Peter Süßbier, Beisitzer im thüringisc­hen NPD-Landesvors­tand, musste an diesem elften Verhandlun­gstag im Fretterode-Prozess in den Zeugenstan­d treten. Als er wenige Wochen nach der Tat von der Polizei befragt wurde, hatte er sich an eine Begegnung mit dem Schulfreun­d von Nordulf H. nicht erinnern können. Jetzt aber wusste der 48-Jährige wieder genau, dass er mit ihm über Baustellen und Umleitunge­n gesprochen habe. Und wie dieser behauptete er, von den Journalist­en zu einer Uhrzeit fotografie­rt worden zu sein, die nicht den gespeicher­ten Bilddaten entspreche. Das soll stützen, was die Verteidigu­ng nicht müde wird zu unterstell­en: Die Fotos seien manipulier­t worden.

Entgegen der ursprüngli­chen Planung noch nicht wieder vernommen wurde am Montag der Polizeibea­mte, gegen den wegen seines Auftritts im Fretterode-Prozess interne Ermittlung­en laufen: Er soll Verteidige­r Nahrath auf dem Gerichtsfl­ur gefragt haben, ob seine Aussage »in Ordnung« gewesen sei. Seine erneute Befragung hat das Gericht auf Dezember vertagt.

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