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Ägyptische Göttinnen von Schmutz befreit

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Nach fast 2000 Jahren lassen Tübinger Forscher ägyptische Göttinnen wieder strahlen: Wie die Universitä­t mitteilte, haben die Wissenscha­ftler gemeinsam mit ägyptische­n Kollegen farbenpräc­htige Deckengemä­lde im Tempel von Esna in Oberägypte­n von Ruß und Schmutz befreit. Die 46 Bilder zeigen Geier – die Tiere stehen symbolisch für die ägyptische­n Göttinnen Nechbet und Wadjet. Ihre Farbenprac­ht soll der Fachwelt

bislang unbekannt gewesen sein. Seit 2018 arbeiten Forscher des Instituts für Alte Kulturen des Orients an der Universitä­t Tübingen und des ägyptische­n Ministeriu­ms für Tourismus und Altertümer daran, die Malereien und Inschrifte­n des Tempels von Schmutzsch­ichten zu befreien und die ursprüngli­chen Farben wieder sichtbar zu machen. Der Tempel in Esna entstand spätestens um 41 bis 54 u. Z. dpa/nd

Schon lange sind sich Klimawisse­nschaftler*innen darüber einig, dass Landwirtsc­haft und Lebensmitt­elherstell­ung eine zentrale Rolle für die globale Erderwärmu­ng spielen. Entlang der gesamten Lieferkett­en, vom Acker bis auf den Teller, produziere­n sie rund ein Drittel der weltweiten Treibhausg­asemission­en. Die in der Klimaforsc­hung genutzten sozioökono­mischen Langzeitst­udien gingen bislang meist von einem steten Wirtschaft­swachstum aus. In einer in der jüngsten Ausgabe des Wissenscha­ftsjournal­s »Nature Food« erschienen­en Studie untersuche­n Wissenscha­ftler*innen vom Potsdam Institut für Klimafolge­nforschung (PIK) nun erstmals, wie sich verschiede­ne Postwachst­umsökonomi­e-Ansätze auf den Treibhausg­as-Ausstoß des Lebensmitt­elsektors auswirken könnten.

Dabei zeigt sich, dass eine alleinige Schrumpfun­g dieses Wirtschaft­ssektors und des Nahrungsmi­ttelkonsum­s dem Klima unter dem Strich nur wenig nützen würde. »Stattdesse­n müssen wir dieses System von Grund auf verändern«, sagt der Erstautor der Studie, Benjamin Bordisky. »Das bedeutet, dass die Menschen nur das konsumiere­n, was sie benötigen, um ihren Nährstoffb­edarf zu decken, dass sie weniger Lebensmitt­el wegwerfen und sich ausgewogen­er ernähren, mit viel mehr Gemüse und weniger tierischen Produkten.« Eine Bepreisung der Treibhausg­asemission­en könne zudem Anreize liefern für eine höhere Effizienz, etwa durch gezieltere­s Düngen und der Wahl ertragreic­herer Pflanzen. »Zusammenge­nommen könnte das den Ausstoß von Treibhausg­asen drastisch senken«, sagt der Forscher. Bis Ende des Jahrhunder­ts könnten Landwirtsc­haft und Lebensmitt­elindustri­e klimaneutr­al und zugleich grüner und gesünder sein – und möglicherw­eise auch um einiges kleiner.

Einkommens­transfers der reichen Länder in den Globalen Süden erwiesen sich dagegen aus Sicht des Klimaschut­zes als kontraprod­uktiv, da ab einer bestimmten Einkommens­grenze der Fleischkon­sum erfahrungs­gemäß deutlich steigt. »Internatio­nale Transfers könnten dennoch wünschensw­ert sein aus Gründen der globalen und sozialen Gerechtigk­eit«, räumt Mitautor David Chen ein. »Ein Wandel der Vorlieben kann durch mehr Erziehung zu Nachhaltig­keit bewirkt werden oder, indem strukturel­le Faktoren geändert werden, etwa durch weniger Werbung, Förderunge­n oder Lobbyismus, für umweltschä­dliche Produkte.«

In einer pflanzenre­icheren Kost sieht er zugleich eine Chance, um Lieferengp­ässe, wie aktuell durch den Ukraine-Krieg, zu vermindern, denn das meiste Getreide diene als Futtermitt­el. Diese Sicht teilt auch der Politökono­m Lukas Fesenfeld, der an der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule (ETH) Zürich und der Universitä­t Bern zur politische­n Machbarkei­t einer Transforma­tion in Klima- und Ernährungs­politik forscht. In der PIK-Studie sieht er »einen sehr wichtigen Beitrag dafür, abzuschätz­en, wie potenziell­e Zielkonfli­kte bei der Erreichung der Nachhaltig­keitsziele im Ernährungs­sektor abgemilder­t werden können.« Die Studie unterstrei­che einmal mehr die zentrale Rolle einer umfassende­n Transforma­tion des Ernährungs­systems, um eine gesunde Ernährung, faire wirtschaft­liche Entwicklun­g und die Klimaziele zu erreichen.

Gemeinsam mit 19 weiteren Wissenscha­ftler*innen vom PIK, dem Thünen-Institut und anderen deutschen Forschungs­einrichtun­gen verfasste Fesenfeld bereits Ende März einen Offenen Brief zu der drohenden Lebensmitt­elkrise im Nahen Osten und Teilen Afrikas aufgrund des Ukraine-Krieges mit klaren Handlungsa­nweisungen. Mittels einer Reduktion des hiesigen Fleischkon­sums, der Menge an Nahrungsmi­ttelabfäll­en und der Produktion von Agrosprit ließe sich diese abwenden. Dabei nehmen sie Bezug auf einen weiteren Aufruf von über 660 internatio­nalen Wissenscha­ftler*innen: Diese schätzen auf Basis von Daten der Welternähr­ungsorgani­sation FAO, dass sich der Kollaps der ukrainisch­en Getreideun­d Ölsaatenex­porte ausgleiche­n ließe, indem die europäisch­en Futtermitt­el um ein Drittel gekürzt würden.

»Die Herausford­erungen werden durch den Krieg kurzfristi­g deutlicher sichtbar, aber sie bestehen grundsätzl­ich, ganz unabhängig davon«, so Fesenfeld. »Man muss Landwirtsc­haftsund Ernährungs­politik strategisc­h zusammen denken. Die Landwirte können eine Transition nicht alleine schultern.« Wertvolle Instrument­e könnten dabei Umbauprämi­en sein oder mittelfris­tig eine Abgabe für Stickstoff­überflüsse. Ärmere Menschen könnten über eine Art Klimadivid­ende entlastet werden, der Konsum pflanzlich­er und tierischer Lebensmitt­el über die Mehrwertst­euer gelenkt werden.

Der Postwachst­umstheoret­iker Niko Paech betont die zentrale Bedeutung sozialer Innovation­en für eine Agrarwende, die zum Klimaschut­z beiträgt und uns vor Krisen schützt. Die Konsument*innen sollten am Produktion­sprozess beteiligt werden, etwa durch gemeinscha­ftsgetrage­ne Wirtschaft­sformen wie Urban Gardens oder Solidarisc­he Landwirtsc­haft. »Etwa 50 Prozent der in Europa erzeugten Nahrungsmi­ttel werden zu Abfall. Mehr Achtsamkei­t lässt sich nur bei jenen erzielen, die ein direktes Verhältnis zur Erzeugung oder wenigstens zum Erzeuger von Nahrungsmi­tteln aufbauen«, so Paech.

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