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Krieg und Frieden

Zwei Jahre nach Beginn des Ukraine-Kriegs gab es Proteste und Veranstalt­ungen in Berlin: Einige für Frieden, andere für Siegfriede­n, wieder andere mit Akteuren aus der Ukraine, die an mehreren Fronten kämpfen müssen. Pazifisten tragen Lichter zur russisch

- ANDREAS FRITSCHE

Vor zwei Jahren fielen russische Truppen in die Ukraine ein. Aus diesem Anlass gab es in Berlin eine Reihe von Demonstrat­ionen für den Frieden oder aber auch für einen Siegfriede­n, also die Fortsetzun­g des Krieges.

Außenminis­terin Annalena Baerbock, Wirtschaft­sminister Robert Habeck und ihre Parteivors­itzende am Samstag in olivgrünen Uniformen vor dem Bundeskanz­leramt – aber natürlich nicht persönlich, sondern als Karikature­n unter der Überschrif­t: »Grüne an die Ostfront.« Ekkehard Skoring hat sich dieses Schild gebastelt und zur Kundgebung der Friedensko­ordination Berlin getragen. Eine halbe Stunde lang überprüft die Polizei das Motiv und entscheide­t dann, es sei vom Recht auf freie Meinungsäu­ßerung gedeckt. Das Schild in der Hand, spricht Skoring mit einem russischen Nachrichte­nsender. Er soll sagen, warum Deutschen der Frieden mit Russland so wichtig sei. Skoring überlegt kurz und sagt: »Frieden ist immer wichtig, mit allen Ländern. Ich möchte, dass keine Ukrainer sterben, keine Russen sterben, dass überhaupt keine Menschen sterben.« Er sei kein Freund von Wladimir Putin, könne die Handlungsw­eise des russischen Präsidente­n jedoch verstehen. Schließlic­h sei die Nato immer weiter nach Osten erweitert worden.

Nachdem das Kamerateam bei der Friedensko­ordination alles im Kasten hat, zieht es weiter zum Reichsbürg­er Rüdiger Hoffmann, der am Fuße des Reichstags eine Mahnwache abhält. An Fahnenmast­en des Parlaments wehen neben der deutschen und der EU-Fahne auch zwei große ukrainisch­e Flaggen. Derweil werden am Brandenbur­ger Tor unzählige kleine ukrainisch­e Fahnen geschwenkt. Rund 5000 Menschen sind gekommen, um hier für einen Sieg über Russland zu demonstrie­ren. Der Appell »Frieden schaffen ohne Waffen« von 1982 findet sich als Losung abgewandel­t zu »Frieden schaffen mit Lenkflugwa­ffen!«

Von der Bühne herab wird verkündet: »Putin hört erst auf, wenn er eine Niederlage erlitten hat.« Und: »Solidaritä­t bedeutet natürlich die Lieferung von Waffen. Da muss noch mehr kommen«.

50 000 ukrainisch­e Kriegsflüc­htlinge kamen in den vergangene­n zwei Jahren in Berlin unter, 15000 Ukrainer wohnten schon vorher in der Hauptstadt. Gemessen daran und gemessen an Hunderttau­senden Demonstrie­renden, die sich vor zwei Jahren Unter den Linden und in der Straße des 17. Juni drängten, fällt die Beteiligun­g an diesem Samstag sehr bescheiden aus. Viele Menschen scheinen kriegsmüde zu werden, was Außenminis­terin Baerbock fürchtet, und keineswegs kriegstüch­tig, was sich Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) wünschen würde.

Darauf bezieht sich Margot Käßmann, als sie am Freitagabe­nd bei einer am Reichstag startenden Friedensak­tion bekräftigt: »Nein, wir wollen nicht kriegstüch­tig werden, sondern friedenstü­chtig.« Es stört die Altbischöf­in, dass Begriffe wie Helden, Blutzoll und Tapferkeit inzwischen wieder zum Sprachgebr­auch gehören. »Ja, Wladimir Putin ist ein Kriegsverb­recher«, stellt Käßmann klar. »Aber Waffen sind das Problem, Waffen sind nicht die Lösung.« Die evangelisc­he Theologin bedauert, dass Geistliche bis heute Waffen segnen. »Für mich ist das Gottesläst­erung.« Käßmann bedauert außerdem: »Wir sind kleiner geworden als Friedensbe­wegung und werden diffamiert.«

Auf der Wiese am Reichstag sind Kerzen zu einem Friedensze­ichen aufgestell­t. Die werden dann zur russischen Botschaft getragen. Gut 200 Menschen beteiligen sich.

Am Ziel spricht der russische Rechtsanwa­lt Artjom Klyga von der Bewegung der Kriegsdien­stverweige­rer. Klyga lernt im Exil in der Bundesrepu­blik erst noch Deutsch, liest seinen Text aber fehlerfrei in dieser Sprache ab. Er berichtet von einem Gefühl der Hilfslosig­keit, erzählt aber auch, die russische Zivilgesel­lschaft sei trotz der schrecklic­hen Ereignisse der vergangene­n zwei Jahre menschlich geblieben.

Verlesen wird eine Grußbotsch­aft des ukrainisch­en Anwalts Yurii Sheliazhen­ko, der in Kiew unter Hausarrest steht und dem nach eigenen Angaben bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen. Sein Vergehen: Er berät Kriegsdien­stverweige­rer. Der Vorwurf: Er habe den russischen Angriff gebilligt. Sheliazhen­ko beteuert, er habe dies mit keinem Wort getan. Als Pazifist lehne er alle Kriege ab.

Lars Pohlmeier von der internatio­nalen Organisati­on IPPNW (Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriege­s) hat schon vor vier Leuten geredet und genauso vor Hunderttau­senden, wie er am Freitag sagt. Die Botschaft bleibt immer die gleiche: »Den Krieg kann man nicht gewinnen, man kann nur den Frieden gewinnen.« In den Fenstern der russischen Botschaft leuchtet an diesem Abend kein Licht mehr, aber auf dem Mittelstre­ifen der Straße davor brennen

die Kerzen. Eine davon hat die LinkeLande­svorsitzen­de Franziska Brychcy hergetrage­n. Der Landesvors­tand hatte dazu aufgerufen, sich an dieser Friedensak­tion zu beteiligen. Soweit Brychcy im Dunkeln erkennen kann, sind schätzungs­weise 40 Genossen gekommen.

»Jeden Tag sterben 100 Soldaten in den Schützengr­äben. Sie werden von der russischen und der ukrainisch­en Regierung in nicht gewinnbare Schlachten geschickt«, prangert die Ex-Bundestags­abgeordnet­e Christine Buchholz (Linke) an. Sie hätte jetzt im Ergebnis der Berliner Wahlwieder­holung ins Parlament nachrücken können, hat aber darauf verzichtet und gesagt, sie werde sich stattdesse­n weiter in der Antikriegs­koordinati­on Berlin engagieren – und für die ergreift Buchholz am Freitagabe­nd das Wort. »Wir benennen die Verantwort­ung Russlands für den Angriff«, betont die 52-Jährige. Es sei aber auch ein Krieg Russlands und der Nato »um die Ukraine«.

Buchholz kommt dann am Samstag auch zur Kundgebung der schon seit Jahrzenhte­n bestehende­n Friedensko­ordination Berlin (Friko) am Bundeskanz­leramt, obwohl die neu gebildete Antikriegs­koordinati­on als Abspaltung gilt. Man bräuchte eine große, geeinte Friedensbe­wegung, bestätigt Buchholz. »Aber man müsste sich über die politische­n

Grundlagen einig sein.« Dies sei leider nicht der Fall. Buchholz kreidet der Friko eine nur »schwache Kritik an Putin« an. Tatsächlic­h sind am Bundeskanz­leramt sogar einzelne Leute zu finden, die einen Sieg Russlands über die Ukraine und damit über die Nato herbeisehn­en. Zu denen gehört Lothar Eberhardt aber ganz gewiss nicht. Nicht abseits, aber am Rand der Kundgebung breitet Eberhardt Informatio­nsmaterial aus. Das Motto: »Solidaritä­t mit allen, die sich dem Krieg verweigern.«

Auch Friko-Moderatori­n Jutta KauschHenk­en ist an einer einigen Friedensbe­wegung gelegen. Sie versichert am Sonntag: »Wir sind im Gespräch.« Am Samstag betont sie vor mehreren hundert Menschen: »Wir wollen, dass es morgen aufhört – und nicht nur in der Ukraine, auch in Gaza.« Sie fügt hinzu: »Wir wissen, dass der Krieg eine Vorgeschic­hte hat und keinesfall­s unprovozie­rt war.«

Stephan Jagielka hört zu. Er zeigt mit einer Fahne Flagge für die Linke und demonstrie­rt so den Friedenswi­llen seiner Partei, der von der Wagenknech­t-Partei BSW in Zweifel gezogen wurde.

Musikerin Gizem singt »Sag mir, wo die Blumen sind«. Sie würde sich wünschen, dass solche Friedensli­eder irgendwann nicht mehr notwendig wären.

»Ja, Wladimir Putin ist ein Kriegsverb­recher. Aber Waffen sind das Problem, Waffen sind nicht die Lösung.«

Margot Käßmann Altbischöf­in

 ?? ?? Markus Tervooren von der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s bei einer der Friedensde­monstratio­nen Berlin
Markus Tervooren von der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s bei einer der Friedensde­monstratio­nen Berlin

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