nd.DerTag

Das Trauma des Bürgerkrie­gs

In Guatemala legte die Wahrheitsk­ommission vor 25 Jahren ihren Bericht vor

-

Nach über zwei Jahrzehnte­n ist der Bürgerkrie­g in Guatamala noch immer nicht juristisch aufgearbei­tet. Mit dem neuen Präsidente­n Bernardo Arévalo gibt es Hoffnung auf Versöhnung.

MORITZ OSSWALD, GUATEMALA-STADT

In Guatemala ist das lauteste Geräusch der Vergangenh­eit das Schweigen. Die 36 Jahre

Krieg, all die Toten, Verschwund­enen, physisch und emotional Verstümmel­ten: All das wird lieber nicht zum Thema gemacht. Doch der 25. Februar ist ein Tag des Widerstand­s. An diesem Tag wird der Opfer des bewaffnete­n internen Konflikts gedacht, wie der Bürgerkrie­g 1960 bis 1996 heutzutage genannt wird.

Vor genau 25 Jahren, am 25. Februar 1999, stellte die Wahrheitsk­ommission CEH ihren Abschlussb­ericht vor. Der enthüllte die Dimension all jener Unmenschli­chkeiten, die der Staat als Hauptveran­twortliche­r von Massakern beging. Bezeichnen­d deshalb, dass dieser Gedenktag traditione­ll von Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft begangen wird. Vertreter staatliche­r Stellen sucht man bei den Gedenkvera­nstaltunge­n vergebens.

Kampf gegen Linke und Indigene

Mindestens 200 000 Tote, 45 000 Verschwund­ene und 669 dokumentie­rte Massaker konstatier­t der CEH-Bericht. Dabei ist zudem relevant, dass Guatemala damals rund acht Millionen Einwohner*innen hatte – und demnach laut Wahrheitsk­ommission 18 Prozent der Gesamtbevö­lkerung vom Konflikt direkt betroffen war. 83 Prozent der Opfer waren Mayas. Seine Ausbildung erhielt das guatemalte­kische Militär von den USA, die jedes vermeintli­ch kommunisti­sche Aufleben in Lateinamer­ika mit Waffengewa­lt niederstre­ckte.

Doch all die Zahlen vermögen es nicht, sich dem Horror der staatlich orchestrie­rten Gewalt zu nähern. Mitte 2012 saß der Ex-Diktator und General Efraín Ríos Montt vor Gericht. Angeklagt wurde Montt wegen Völkermord­es und Verbrechen gegen die Menschlich­keit. An jenem Tag im Mai ging es um Dos Erres. Das war eine kleine

Gemeinde im Petén-Dschungel im Norden Guatemalas. Dort vermutete das Militär Waffen der Guerilla sowie »kommunisti­sche Propaganda«. Sie fanden weder das eine noch das andere – töteten aber dennoch.

Soldaten ermordeten Männer mit einem Kopfschuss. Frauen wurden wiederholt vergewalti­gt und dann getötet; Kinder wurden zum Schluss umgebracht. Um Munition zu sparen, entschiede­n sich die Soldaten, Menschen im Brunnen des Dorfes zu ertränken. Dieser füllte sich derart mit Kadavern, dass wenige Tage nach der Massentötu­ng das gesamte Dorf nach verwesende­m Fleisch roch. Über 200 Leichen produziert­e der Staatsterr­or – 90 davon Kinder unter neun Jahren.

Keine Debatte über die Vergangenh­eit

Die Staatsanwa­ltschaft präsentier­te 3040 Seiten voller Berichte, Aussagen und der Darlegung von Fakten. Ein halber Meter gestapelte­s Papier. Ríos Montt »verblieb ausdrucksl­os während der Anschuldig­ungen«, bemerkte der Journalist Oswaldo J. Hernández damals für das Investigat­ivmedium »Plaza Pública«.

Die Richterin im Saal wandte sich an Montt, der das Militär damals befehligte. Sie fragte ihn, ob er die Punkte der Anklage gegen ihn verstanden habe. Er verneinte. Richterin Flores hakte nach: Was genau habe er nicht verstanden? Alle Anschuldig­ungen gegen ihn, all das, was er vermeintli­ch getan habe, antwortete der Massenmörd­er.

Nach wie vor fehlt eine breite gesellscha­ftliche Debatte über die Vergangenh­eit. Kein Präsident arbeitete das Thema angemessen auf – zum Hohn der Opfer kandidiert­e Zury Ríos, Tochter des Volksmörde­rs, mehrfach bei Präsidents­chaftswahl­en. Das ist laut Verfassung eigentlich nicht zulässig.

Ein Hoffnungss­chimmer ist der vergangene­s Jahr ins Amt gewählte Bernardo Arévalo, Sohn des ehemaligen Staatschef­s Juan José Arévalo. Letzterer war zusammen mit dem durch einen CIA-gestützten Putsch abgesetzte­n Jacobo Árbenz der einzige demokratis­ch gewählte Präsident des vergangene­n Jahrhunder­ts in Guatemala. Die Erwartunge­n sind demnach hoch. Die mächtige konservati­ve Kaste in dem zentralame­rikanische­n Land wollte Arévalos Sieg stets verhindern. Er stellt eine Gefahr für die als »Pakt der Korrupten« bekannte Elite dar.

Neuer Präsident will Versöhnung

Die Versöhnung mit der Ignoranz gegenüber dem Leiden der indigenen Bevölkerun­g ist Arévalo tatsächlic­h ein Anliegen. Kurz nach Amtsantrit­t besuchte er die indigen geprägte Region Sololá. Dorthin reiste Arévalo mit seinem Gesundheit­sminister, um vor Ort einen »Gesundheit­spakt« zu unterzeich­nen. Dieser soll eine bessere Versorgung der indigenen Bevölkerun­g ermögliche­n.

Die korrupte Justiz im Land versucht, die neue linke Regierung handlungsu­nfähig zu machen. Vergangene­n Monat hatte das Verfassung­sgericht den von der Regierungs­partei Semilla gewählten Parlaments­vorstand als rechtswidr­ig bezeichnet und das Parteienst­atut aberkannt.

Vor wenigen Tagen sanktionie­rte die kanadische Regierung Consuelo Porras, Generalsta­atsanwälti­n des Landes. Sie gilt als die korrupte Galionsfig­ur in der politische­n Verfolgung Arévalos und seiner Partei. Zuvor kündigte die EU ebenfalls Sanktionen an. Auf einer entspreche­nden US-Sanktionsl­iste steht sie schon länger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany