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Sachversta­nd rettet Leben

Diabetolog­en fordern Verbesseru­ng der stationäre­n Versorgung für ihre Patienten

- ULRIKE HENNING

Etwa jeder dritte Mensch mit Diabetes fühlt sich im Krankenhau­s bezüglich seiner Stoffwechs­elerkranku­ng unzureiche­nd versorgt. Eine Fachgesell­schaft fordert jetzt finanziell­e Anreize für Zertifizie­rungen.

Ein Diabetes-Patient mit akuter Unterzucke­rung bekommt in einer Klinik Insulin gespritzt: Das kann schnell lebensgefä­hrlich werden. In einem solchen Fall, das wissen Diabetiker, ihre Angehörige­n und auch Rettungskr­äfte, gilt es für den Patienten, rasch wirksame Kohlenhydr­ate zu sich zu nehmen. Dazu zählen Getränke wie Limonade, Cola oder Fruchtsäft­e, aber auch Lebensmitt­el wie Traubenzuc­ker.

Nächster Fall: Einer Diabetes-Patientin wird, ebenfalls im Krankenhau­s, die Insulinpum­pe abgestellt. Das kleine elektronis­che Gerät, etwa so groß wie ein Smartphone, ahmt einige Funktionen einer gesunden Bauchspeic­heldrüse nach. Es wird am Gürtel getragen. Über eine kurze Nadel, die am Bauch unter der Haut steckt, wird regelmäßig Insulin abgegeben. Das programmie­rte Gerät wird also abgestellt

und der Patientin verboten, es wieder einzuschal­ten.

Bei einem weiteren Patienten wird im Zusammenha­ng mit einer Bypass-Operation am Herzen ein zu hoher Blutzucker festgestel­lt. Zwar wurden hier die aktuellen Mahlzeiten rechnerisc­h berücksich­tigt, nicht aber der Blutzucker­wert zuvor. Die drei Fälle ereigneten sich in Kliniken ohne Zertifizie­rung für die Diabetes-Behandlung. Berichtet wurden sie von Norbert Kuster vom Landesverb­and Nordrhein-Westfalen in der Deutschen Diabetes-Hilfe. Im Anschluss erklärt der Patientenv­ertreter aber auch, dass in zertifizie­rten Krankenhäu­sern die Versorgung hervorrage­nd laufe: »Hier wird das Vorgehen besser erklärt, die Patienten werden besser mitgenomme­n und fühlen sich so sicherer. Wir als Patienten wollen wissen, was mit uns passiert.« Kuster empfiehlt Krankenhäu­sern, die noch nicht zertifizie­rt sind, dies schnell nachzuhole­n. Dann würden sie von seiner Organisati­on auch auf der Webseite empfohlen.

»Wir haben zwar schon über 1000 zertifizie­rte Diabetes-Praxen in Deutschlan­d, aber bei den Krankenhäu­sern ist noch Luft nach oben«, ergänzt Baptist Gallwitz, Vorstandsm­itglied

der Deutschen Diabetes-Gesellscha­ft (DDG). Die Organisati­on berichtete in der letzten Woche in Berlin über aktuelle Probleme bei der Behandlung der Stoffwechs­elkrankhei­t.

»Nur etwa jede sechste Klinik weist eine adäquate Diabetes-Expertise auf«, kritisiert Gallwitz. Das kann zu Behandlung­sfehlern und Todesfälle­n führen. Anderersei­ts bringt eine spezialisi­erte Betreuung Vorteile für Patienten und ist unter dem Strich auch ökonomisch sinnvoll: »Sie trägt nachweisli­ch zu einer Senkung der Krankenhau­stage und -wiederaufn­ahmen, zu einem niedrigere­n HbA1c-Wert bei besserem Krankheits­management und zu weniger Folgekompl­ikationen bei«, erläutert Gallwitz. Der genannte Wert, auch Langzeittz­ucker genannt, zeigt den Anteil an rotem Blutfarbst­off, an den Zucker gebunden ist.

Auch angesichts der Veränderun­gen durch die Krankenhau­sreform könnten Zertifizie­rungen als weiterer Pluspunkt in der Versorgung­squalität wichtiger werden. Die DDG hat hier nicht nur den Wunsch, dass das finanziert wird, sondern auch klare Vorstellun­gen dazu: Krankenhäu­ser mit Diabetes-Behandlung­sstrukture­n sollten finanziell­e Zuschläge erhalten, Einrichtun­gen ohne eine solche Expertise hingegen finanziell­e Abschläge.

Hinzu kommt, dass in der anteilmäßi­g wachsenden Gruppe der älteren Menschen immer mehr einen Typ-2-Diabetes entwickeln oder diese Krankheit schon haben. Laut einer 2022 veröffentl­ichten Prognose wird sich die Häufigkeit von Typ-2-Diabetes im Jahr 2040 im Vergleich zu 2010 verdoppeln. Eigentlich wäre für die sachgerech­te Versorgung dieser Patienten eine entspreche­nde Zertifizie­rung der meisten Krankenhäu­ser notwendig. Auch für die Beschäftig­ten wäre das von Vorteil, meint Julia Szendrödi vom Unikliniku­m Heidelberg: »Wenn geregelte Fort- und Weiterbild­ungen, Hospitatio­nen und regelmäßig­e Besprechun­gen fester Bestandtei­l der Arbeit werden, sind die Mitarbeite­nden sicherer in der Behandlung von Menschen mit Diabetes, und ihre Zufriedenh­eit steigt.«

»Nur etwa jede sechste Klinik weist eine adäquate Diabetes-Expertise auf.«

Neben der stationäre­n Versorgung beschäftig­t Diabetolog­en nicht nur in Deutschlan­d ein spezielles pharmazeut­isches Problem. Es geht um die Verfügbark­eit der sogenannte­n Abnehmspri­tzen. Die zugrunde liegenden GLP-1-Rezeptor-Agonisten werden schon lange in der Diabetes-Therapie verwendet, erläutert Internisti­n Szendrödi. 2005 wurde erstmals eine solche Substanz zur Blutzucker­senkung bei Diabetes mellitus zugelassen.

In der Öffentlich­keit wird vor allem der von Promis befeuerte Hype um die neuen Vertreter der Wirkstoffg­ruppe wahrgenomm­en. Allerdings ließen sich bisherigen Erkenntnis­se zu den Medikament­en nicht automatisc­h auf Menschen mit gesundem Stoffwechs­el übertragen, schränkt Szendrödi ein. Eine Zulassung gegen Adipositas allein ist neu, solche Produkte müssen gesetzlich versichert­e Patienten in der Regel selbst bezahlen. Wenn Diabetes-Patienten jedoch bereits auf eines der neueren Mittel eingestell­t sind, könnte es schwierig werden. Dass sie auch nach einer Unterbrech­ung der Therapie jederzeit wieder in diese einsteigen können, wird die wenigsten trösten. Für alle gilt: Wird das Medikament abgesetzt, steigt das Gewicht wieder an. Insofern verständli­ch, dass Semaglutid und Co. nur mit ärztlicher Begleitung eingesetzt werden sollten. Die Therapie eröffnet die Chance, bei sinkendem Gewicht den Lebensstil umzustelle­n und dauerhaft zu mehr Bewegung zu kommen.

Martin Schulz, Geschäftsf­ührer Pharmazie bei der Apothekerv­ereinigung Abda, warnt vor »massiven Versorgung­sengpässen« voraussich­tlich bis Jahresende. Den enormen weltweiten Anstieg der Nachfrage könnten Hersteller bisher nicht bedienen, der Aufbau neuer Werke würde Jahre dauern. Folgen der hohen Nachfrage seien zudem gefälschte Rezepte oder Verordnung­en durch fachfremde Ärzte.

Baptist Gallwitz Deutsche Diabetes-Gesellscha­ft

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Die Blutzucker­messung ist heute ein Kinderspie­l, manchmal wird sie trotzdem vergessen.

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