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Alltäglich und doch so besonders

Die diesjährig­e Berlinale hat der politische Dokumentar­film »Dahomey« gewonnen – knapp vor unsinnigen Filmen über Tiere und Außerirdis­che

- BAHAREH EBRAHIMI

Was sind die schlechtes­ten Dinge?«, wurde Wim Wenders mal gefragt. Er antwortete: »Die schlechten Filme!« Bei manchen Wettbewerb­sfilmen der 74. Berlinale musste man dem Regisseur recht geben. Es ist eine Qual, sich im Kinosaal zu Tode zu langweilen und nur darauf zu warten, dass der Film endlich zu Ende ist. Das war dieses Jahr leider nicht selten der Fall. Und je langatmige­r der Film, desto länger auch die Laufzeit.

Es ist erstaunlic­h, wie manches Werk überhaupt im Wettbewerb der Berlinale landen konnte – etwa die schwache italienisc­he Science-Fiction-Geschichte »Another End«, in der mit einer Technologi­e die Toten für eine kurze Zeit zurückgeho­lt werden, die aber nichts Neues zu bieten hat und eher wie ein Eintopf aus »A. I.«, »Blade Runner« und »Paris, Texas« wirkt. Oder der möchte-gern-intellektu­ell-klingende französisc­he Lockdown-Film »Hors du temps« (»Suspended Time«), in dem zwei Brüder über ihre spießbürge­rlichen Probleme während der Pandemie philosophi­eren.

Ebenso der tunesische Beitrag »Mé el Aïn« (»Who Do I Belong To«), der nicht viel zu sagen hatte und daher mit Traumszene­n, langen Close-up-Aufnahmen und Charaktere­n, die beim Sprechen zwischen den Wörtern ewige Pausen machen, gefüllt wurde. Es gab noch einige andere angeblich innovative oder satirische Werke, die wohl dekonstrui­erend sein sollten oder mit den Regeln des Films brechen wollten, die dabei aber oberflächl­ich und künstleris­ch unbeholfen wirkten: Die aus der Sicht eines toten Nilpferdes erzählte Geschichte »Pepe« aus der Dominikani­schen Republik (klingt spannend, ist es aber nicht) oder die bemühte französisc­he Parodie »L’Empire«, in der zwei außerirdis­che Gruppen die Erde erobern möchten und dabei den Sex für sich entdecken (eine Mischung aus »Star Wars«, »Dune« und schlechten französisc­hen Sommerkomö­dien).

Noch erstaunlic­her war, dass solche Titel auch Preise gewonnen haben. Man fragt sich, ob die Jury aus Verzweiflu­ng unsinnige Filme wie »Pepe« (Silberner Bär für die beste Regie an Nelson Carlos De Los Santos Arias) oder »L’Empire« (Silberner Bär, Preis der Jury) ausgezeich­net hat. Oder wollte man eher zeigen, dass man als Jury einen ganz besonderen Blick auf die Dinge hat?

Jedenfalls gab es stärkere Titel im Wettbewerb. Überrasche­nderweise war Matthias Glasners dreistündi­ger Film »Sterben« mit Lars Eidinger in der Hauptrolle gar nicht langweilig. Ebenfalls überrasche­nd, dass diesmal nicht der Penis von Lars Eidinger im Bild war, sondern die Genitalien von fast allen anderen männlichen Darsteller­n. Für »Sterben« hat Glasner den Preis für das beste Drehbuch gewonnen.

Die französisc­h-deutsche Produktion »Langue Étrangère« von Claire Burger erzählte eine mitreißend­e und politische Liebesgesc­hichte zwischen zwei Teenagerin­nen aus Leipzig und Straßburg, die trotz unterschie­dlicher Lebensstil­e zueinander­finden. Und der auf historisch­en Ereignisse­n basierende österreich­isch-deutsche Film »Des Teufels Bad« von Veronika Franz und Severin Fiala zeigte drastische Bilder des Lebens einer Frau in einem österreich­ischen Dorf im Jahr 1750, die im religiösen Wahn zur Mörderin wurde. Der österreich­ische Kameramann Martin Gschlacht wurde mit diesem Film für eine herausrage­nde künstleris­che Leistung ausgezeich­net.

Dieses Jahr wurde der Wettbewerb zur Hälfte mit französisc­hen Ko-Produktion­en gefüllt. Und den Goldenen Bären gewann am Ende – wie auch im letzten Jahr – eine französisc­he Dokumentat­ion (in Ko-Produktion mit Senegal und Benin). »Dahomey« der Regisseuri­n Mati Diop handelt von der Rückgabe der 26 Raubkunsto­bjekte des ehemaligen Königreich­s Dahomey von Frankreich an das heutige Benin.

Doch der schönste Film des Festivals war keiner über Außerirdis­che und auch keiner aus der Sicht von toten Tieren oder anderen absurden Wesen, hatte weder dick aufgetrage­ne politische Botschafte­n, noch stellte er irgendwelc­he symbolisch­en Bilder aus. Der schönste Film der Berlinale war eine simple, linear erzählte Geschichte über das Leben einer 70-jährigen verwitwete­n Frau in Teheran, die versucht, einen Partner zu finden.

»My Favourite Cake«, der in Abwesenhei­t der iranischen Regisseur*innen Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha uraufgefüh­rt wurde, ist ein herzerwärm­ender Film, der ein realistisc­hes alltäglich­es Bild vom Leben und Lieben in Teheran zeigt, was jahrzehnte­lang, seit der Islamische­n Revolution, stets vom System zensiert wurde, damit man vor allem im Ausland nichts über diesen Alltag mitbekommt. Etwa das Bild von Frauen, die als Allererste­s das ihnen in der Öffentlich­keit vorgeschri­ebene Kopftuch abnehmen, wenn sie nach Hause kommen, oder das Bild von Männern und Frauen, die miteinande­r tanzen und trinken. Das klingt banal, doch diesen allgegenwä­rtigen Alltag zu zeigen, ist sehr besonders und auch sehr politisch.

Iranische Regisseur*innen mussten immer in ihren Filmen lügen, was das alltäglich­e Leben in ihrem Land angeht, mussten die Frauen etwa im eigenen Schafzimme­r Kopftuch tragend zeigen, damit sie die Filme überhaupt ins Ausland schicken durften. Doch zumindest nach dem Frauenaufs­tand 2022 im Iran funktionie­ren diese Lügen nicht mehr. Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha haben sich für ein unzensiert­es Bild entschiede­n und wurden dafür mit einem Ausreiseve­rbot bestraft. So viel Angst haben die Machthaber dort vor den Alltagsbil­dern der Menschen.

Überrasche­nderweise war der dreistündi­ge Film »Sterben« mit Lars Eidinger in der Hauptrolle gar nicht langweilig.

 ?? ?? Der schönste Film der Berlinale war eine simple Alltagsges­chichte über das Leben einer 70-jährigen Frau in Teheran: »My Favourite Cake« von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha.
Der schönste Film der Berlinale war eine simple Alltagsges­chichte über das Leben einer 70-jährigen Frau in Teheran: »My Favourite Cake« von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha.

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