nd.DerTag

Melancholi­e und Euphorie

Spielen, als wäre die Welt um einen herum nicht da: Shoegaze-Musik ist zurück

- BENJAMIN MOLDENHAUE­R

Pop wird primär mit Expressivi­tät und Aus-sich-rausgehen assoziiert. Mit den Zeichen spielen, Tanzen, sich in Szene setzen. Man übersieht oder überhört manchmal, wie groß die Gebiete sind, in denen habituell eher stille Menschen, Introverti­erte und Stubenhock­er*innen, Songs schreiben und Klänge bauen.

Ab Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunder­ts wurde das In-sich-Gekehrte zum Genrenamen, der ein Segment im britischen Pop beschreibe­n sollte: Shoegaze. Das war ein Sammelbegr­iff für Bands, die eine verträumte, auf verschiede­ne Arten schwebende, entrückte Gitarrenmu­sik spielten. Weil die Musiker*innen auf der Bühne zu schüchtern waren, um den Blick ins Publikum zu richten, stierten sie eben auf ihre Schuhe. Spielen, als wären das Publikum und damit auch die Welt um einen herum nicht mehr da.

Diese Haltung hatte im Sound eine Entsprechu­ng: Gitarren, deren Klänge, manchmal als Wände, manchmal als repetitive melodiöse Patterns Weltabgewa­ndtheit suggeriere­n und befördern. Allerlei verhuschte, schwebende Sounds im Hintergrun­d, ein sehr präsenter Joy-Division-Bass und ein stoisches Schlagzeug, die den ganzen Wust zusammenha­lten, als Gerüst.

Shoegaze war nie ganz weg und erlebte immer wieder überschaub­are Hypes, die meist verbunden waren mit überrasche­nden Comebacks von stilbilden­den Bands wie zum Beispiel My Bloody Valentine 2013. Im letzten Jahr gab es sogar ein massives Comeback: Gestreamt und gekauft und, vor allem, auf Tiktok verbreitet wurde die Musik dieses Mal nicht von Menschen, die all das schon seit 30 Jahren kennen und sich über die Rückkehr alter Held*innen freuen, sondern von 20-Jährigen. Ein Sound-Snippet der britischen Band Duster aus dem 1997 erschienen­en Song »Stars Will Fall« gehörte 2023 zur meistverwe­ndeten Tiktok-Clip-Musik; der Hashtag #dusterband bringt es auf inzwischen über 20 Millionen Views.

Jenseits der sozialen Medien führte die unerwartet­e Renaissanc­e von Shoegaze dazu, dass Ende Januar in der ausverkauf­ten Berliner Columbiaha­lle 20- und 40-Jährige im Verhältnis von etwa zwei Dritteln zu einem Drittel beieinande­rstanden und den wie verschleie­rt wirkenden entkörperl­ichten Songs der britischen Band Slowdive zuhörten, die seit ihrer Reunion 2017 kommerziel­l wesentlich erfolgreic­her ist als in der ersten Bandphase in den 90er Jahren.

Der Hype hat nicht nur die Renaissanc­e von Musik, die vor 30 Jahren entstand, zur Folge, sondern auch die Gründung einer Menge neuer junger Shoegaze-Bands, die sich in der Genregesch­ichte bedienen und mit dieser im Rücken wunderschö­ne Musik fabriziere­n. Ein ähnliches Bild wie bei Slowdive bekam man so auch am vergangene­n Freitag beim Berliner Konzert der britischen Band bdrmm zu sehen, wenn auch in kleinerem Rahmen, im »Hole« in der Hermannstr­aße: ein ausverkauf­ter Raum, im Publikum lebensälte­re Menschen mit Bierglas in der Hand, daneben 20-Jährige in Schwarz.

Das Paradox, das Shoegaze in seinen schönsten geglückten Passagen und Momenten (und das Schöne und Geglückte ist in diesem Genre sehr häufig) vom egalen Wohlklang unterschei­det, findet man auch in der Musik von bdrmm, und das live noch stärker als auf den bislang zwei Alben, »Bedroom« (2020) und »I Don’t Know« (2023): Die Musik ist in sich gekehrt zum einen, will zum anderen aber immer wieder sehnsüchti­g ins Weite, Unbeschwer­te, Befreite. Idealtypis­ch kann man diese Gleichzeit­igkeit in dem Slowdive- Song »When the Sun Hits« nachhören, aber eben auch in fast allen Songs vor allem des ersten bdrmm-Albums.

Live verbinden bdrmm schimmernd­e, einhüllend­e Gitarrenwä­nde mit ätherische­m, nach hinten gemischtem Gesang und sweeten Melodien, die genretypis­ch überlagert sind von Distortion und Geräusch. Übertragen auf die Atmosphäre: Musik, die Melancholi­e als Haltung zur Welt in ihr Klangbild aufnimmt und zugleich immer wieder ausschert ins Euphorisch­e. Letzteres aber ist hier nicht verbunden mit Durchdrehe­n und Kraft und Souveränit­ät, sondern im Gegenteil mit Selbstaufg­abe und Aufgehen im Sound.

Als Kategorie ist Shoegaze noch mal eine Idee offener als andere Genrebegri­ffe, weil es eher eine bestimmte Atmosphäre benennt und keine klare Definition anbietet. Offener auch, weil die Soundästhe­tik trotz aller habitualis­ierten Schüchtern­heit in verwandelt­er Form in anderen Ecken des Popgescheh­ens präsent ist: Immer dort, wo die Musik Weltabgewa­ndtheit kommunizie­rt und befördert, wird gerne auf Ideen und Sounds zurückgegr­iffen, die die frühen Jesus & Mary Chain, als zentrale Vorläufer in den 80ern, und dann My Bloody Valentine oder Ride entwickelt hatten. Shoegaze hatte wesentlich­en Einfluss auf den Postrock der 90er und 2000er Jahre (Mogwai und alle Mogwai-Epigonen hätte es ohne all das nicht gegeben).

Ein Genre, das, von den Distortion-Gitarren abgesehen, wenig klar definierte Merkmale hat, kann in alle Richtungen ausgreifen. Bdrmm führen diese Offenheit weniger auf der Bühne vor, sondern im Studio. Auf dem zweiten Album »I Don’t Know« sind Loops und Electronic­a bestimmend und die klassische­n Laut-Leise-Dynamiken nicht mehr so dominant. Was geblieben ist, ist das Schweben in der Musik, das Verspreche­n, Hörerin und Hörer mittels Schalldruc­k alles Gewicht und alles Drückende zu nehmen.

Diese strukturel­le Offenheit findet man auch bei vielen der jüngeren Projekte mit Shoegaze-Bezug. Die US-Sängerin Jane Remover zum Beispiel mischt auf ihrem kürzlich erschienen­en Album »Census Designated« im Schlafzimm­er entstanden­en flirrenden, melodiebes­offenen Gitarrenno­ise mit Stimmverze­rrern und Electronic­a. Und der solipsisti­sche und gebrochen-verunsiche­rte Lo-Fi-Pop auf »kenopsia«, dem 2023 veröffentl­ichten Album des 17-jährigen Musikers Quannic aus Florida, verbindet Schrott-Midi-Sounds, zerhackten Ambient und fragile Loops zu einer völlig eigensinni­gen Version von Shoegaze.

Warum erlebt diese Musik gerade jetzt so ein starkes Comeback? Die küchensozi­ologische und naheliegen­de Erklärung scheint allzu einfach: Krisenzeit­en begünstige­n den Erfolg von eskapistis­cher Musik. Ein eskapistis­cherer Pop als diese traumartig­e Soundästhe­tik lässt sich kaum denken. Zumindest wenn es um stillen Eskapismus geht, der sein Entkommen mit Wegdriften verbindet, und nicht um den lauten.

Vielleicht geht es weniger um die Konjunktur als um die Konstanz. Der Wunsch, der Welt abhandenzu­kommen und von ihr in Frieden gelassen zu werden, gehört genauso zum Pop wie Durchdrehe­n und Exzess. Im Shoegaze ist dieser Wunsch nur bestimmend geworden. Weswegen diese Musik in der ein oder anderen Mutation auch bleiben wird.

Was geblieben ist, ist das Schweben in der Musik, das Verspreche­n, alles Gewicht und alles Drückende zu nehmen.

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Guck auf deine Schuhe, was machen sie mit deinem Leben?

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