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»Wir werden in die Prekarität gedrängt«

Die Ausbeutung migrierter Frauen hat in Deutschlan­d System, kritisiert DaMigra und fordert: »Wir wollen mitbestimm­en«

- PAULINE JÄCKELS

In Deutschlan­d werden Frauen Jobs verweigert, weil sie Kopftuch tragen. Iranische Frauen werden zum Tragen des Kopftuchs gezwungen, wie ein neuer AmnestyBer­icht zeigt.

Dass Migrantinn­en in Deutschlan­d häufig in schlecht bezahlten Hilfsjobs landen, hat System, kritisiert der Dachverban­d der Migrantinn­enorganisa­tionen (DaMigra): »Dieses System muss gebrochen werden.«

Wenn einer Frau aus Thailand bei einer Jobberatun­g gesagt wird, sie solle doch lieber in einem Massagesal­on arbeiten, statt ihr Diplom anerkennen zu lassen, oder eine Frau bei der Schutzbera­tung hört, sie solle sich nicht so anstellen, Gewalt gegen Frauen sei doch normal in ihrer Kultur – »ist das dann Rassismus oder Sexixmus?,« fragt Dr. Delal Atmaca, Geschäftsf­ührerin des Dachverban­des der Migrantinn­enorganisa­tionen (DaMigra) bei der Auftaktver­anstaltung des »Migrantinn­en März 2024«, der die Erfahrunge­n von migrierten Frauen in Deutschlan­d sichtbar machen soll.

Für Migrantinn­en sind solche Erlebnisse Alltag. »Die Verbindung von Rassismus und Sexismus spielt sich überall im Leben ab, beides lässt sich kaum voneinande­r unterschei­den« erklärt Atamaca. Bei der Gesprächsr­unde, an der acht Vertreteri­nnen verschiede­ner Migrantinn­enorganisa­tionen teilnahmen, wurde deutlich: Die erste und wichtigste Hürde auf dem Weg zur Gleichbere­chtigung

migrantisc­her Frauen ist die Jobsuche.

Forough Hossein Pour, die seit sieben Jahren Frauen mit Flucht- und Migrations­geschichte berät, macht greifbar, wie viele Steine Migrantinn­en in den Weg gelegt werden: »Etwa 80 Prozent der Tausenden Frauen, die jedes Jahr zu uns kommen, haben eine Berufsqual­ifikation.« Viele von ihnen hätten aber gar nicht die Möglichkei­t, ihre Qualifikat­ion anerkennen zu lassen, so Hossein Pour. »Für die Authentifi­zierung der Dokumente ist zum Beispiel die deutsche Botschaft in Teheran zuständig. Aber wie soll eine geflüchtet­e Frau zur Botschaft in Teheran kommen?«

Hat eine Frau dann tatsächlic­h alle Dokumente zusammen, um einen Antrag auf eine Qualifikat­ionsprüfun­g zu stellen, kommt es häufig vor, dass die zuständige Stelle ihr schreibt, sie solle den Antrag lieber zurücknehm­en. Die Begründung: Bei der Prüfung werde erfahrungs­gemäß ohnehin keine Gleichwert­igkeit ihrer Qualifikat­ion festgestel­lt. »Ein Jahr lang hat die Frau alle Papiere zusammenge­sucht, um am Ende auf ihren Antrag zu verzichten«, beklagt Hossein Pour.

Dann bleibt der ihr nur noch übrig, in Deutschlan­d eine Prüfung zu ihren Fachkenntn­issen zu machen, das könne man sich in etwa wie ein Staatsexam­en vorstellen. »Darauf muss sich die Frau dann vorbereite­n. Jetzt hat sie aber Kinder und arbeitet in irgendeine­m Hilfsjob, um ihren Aufenthalt zu sichern«, erklärt die Beraterin. Wenn sie die Prüfung nicht besteht, muss sie weiter als Pflegehelf­erin oder in einem anderen prekären Job arbeiten. »Und selbst wenn sie die Prüfung geschafft hat, dann wird sie beim ersten Vorstellun­gsgespräch gefragt, ob sie bereit ist, ihr Kopftuch abzulegen.«

Auch Frauen, die hier in Deutschlan­d studiert haben, sind nicht vor der vielfachen Diskrimini­erung geschützt, kritisiert Doga Akyürek vom Türkischen Frauenvere­in. »Ich habe mit einer Klientin gearbeitet, die 38 Jahre alt und promoviert ist. In einem anderen Land könnte sie als Doktorandi­n arbeiten. Hier kann sie fast nichts machen, weil sie Kopftuch trägt.« Immer komme die Frage: »Sind Sie bereit, ihr Kopftuch abzulegen?«

Eigentlich ist gesetzlich klar geregelt: Arbeitgebe­r*innen dürfen weder bei der Bewerbung

noch im Arbeitsall­tag wegen ihres Glaubens oder der Ausführung ihrer Religion benachteil­igt werden. Selbst bei staatliche­n Stellen, wo das Neutralitä­tsgebot greift, haben Gerichte mehrfach entschiede­n, dass Frauen ein Job etwa als Lehrerin nicht verwehrt werden kann, weil sie Kopftuch tragen. Die Realität ist aber eben oft eine andere. Gegen einen Diskrimini­erungsfall kann zwar geklagt werden, ein solcher juristisch­er Schritt ist aber mit so vielen weiteren Hürden verbunden, dass insbesonde­re Frauen in prekären Lebenssitu­ationen eher selten davon Gebrauch machen.

Die Diskrimini­erung, die Frauen im Allgemeine­n erleben, erfahren Migrantinn­en noch viel stärker, so Atmaca: »Wir migrierte, wir geflüchtet­e Frauen haben nicht nur gläserne Decken über uns, die den Weg nach oben versperren, sondern sind von gläsernen Fenstern und Türen ringsherum umgeben.« Das Problem liegt also nicht nur im Alltagsras­sismus, den migrantisc­he Frauen auf der Straße, bei der Arbeitsode­r Wohnungssu­che erleben, sondern in den rassistisc­hen und gleichzeit­ig sexistisch­en Strukturen, die Frauen systematis­ch in die wirtschaft­liche Prekarität drängen. Dadurch wird häufig auch die Abhängigke­it von Männern gefördert.

Dass migrantisc­he Frauen so häufig in Jobs arbeiten, die schlecht bezahlt sind und ihren Qualifikat­ionen nicht entspreche­n, sei genau so gewollt, »weil man eine Reservearm­ee braucht, um das Wirtschaft­ssystem aufrechtzu­erhalten«, meint Atmaca. »Unsere Vorständin, die schon in den 60er Jahren hier als Krankensch­wester gearbeitet hat, erzählt von damals genau das Gleiche.« Heutzutage gebe Deutschlan­d damit an, wie modern das Land sei und welche tollen Antidiskri­minierungs­gesetze es hier gebe. »Dabei hat sich seither gar nicht wirklich etwas geändert.«

Um doch etwas am System zu ändern, fordert der Dachverban­d einen Platz am Tisch der Entscheide­r*innen. »Es ist Zeit für eine gerechte Verteilung der Macht, die den Menschen, die weniger Privilegie­n besitzen, Handlungsm­acht zurückgibt. Wir richten uns an die Machtinhab­er*innen, an die Politik, die Medien, den Arbeitsmar­kt und Bündnisse mit einer klaren Botschaft: Rutscht rüber – wir bestimmen mit!«

Im Zeitraum zwischen dem Weltfrauen­tag am 8. März und dem Internatio­nalen Tag gegen Rassismus am 21. März will DaMigra mit 16 unterschie­dlichen Veranstalt­ungen sichtbar machen, wie Rassismus und Sexismus die politische, soziale und wirtschaft­liche Teilhabe von migrantisc­hen Frauen erschweren und was besser laufen muss.

»Dass Migrantinn­en trotz hoher Qualifizie­rung in schlecht bezahlten Jobs arbeiten, ist genau so gewollt.«

Dr. Delal Atmaca, DaMigra

 ?? ?? Migrantinn­en landen besonders häufig in prekären Jobs. Das ist kein Zufall, sondern System, meinen Frauenorga­nisationen von DaMigra.
Migrantinn­en landen besonders häufig in prekären Jobs. Das ist kein Zufall, sondern System, meinen Frauenorga­nisationen von DaMigra.

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