nd.DerTag

Kontrolle und Überwachun­g

Iranische Regierung will Frauen mit schärferen Zwangsmaßn­ahmen zum Tragen des Kopftuchs nötigen Das iranische Regime zieht die Daumenschr­auben an und knöpft sich erneut speziell die Frauen vor: Ohne Kopftuch drohen Repressali­en.

- CYRUS SALIMI-ASL

Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal berichtet von verschärft­er Überwachun­g und Kontrolle, um Frauen zum Anlegen des Kopftuchs zu zwingen. »Die iranischen Behörden führen eine groß angelegte Kampagne zur Durchsetzu­ng der repressive­n Verschleie­rungsvorsc­hriften durch«, erklärte die Nichtregie­rungsorgan­isation am Mittwoch und sprach von einer »drakonisch­en« Vorgehensw­eise.

Frauen und Mädchen im Iran würden im öffentlich­en Raum »umfassend« überwacht, zudem gebe es »massenhaft Polizeikon­trollen«, erklärte Amnesty in dem Bericht, der sich auf Aussagen von mehr als 40 Frauen im Iran stützt und anlässlich des Internatio­nalen Frauentags am 8. März veröffentl­icht wurde. Die iranischen Behörden wählen neue Wege, um ihr Ziel zu erreichen. So seien willkürlic­h die Autos von zehntausen­den Frauen beschlagna­hmt worden, bloß weil diese sich den strengen Kleidungsv­orschrifte­n widersetzt hätten. Einige seien zudem strafrecht­lich verfolgt und zu Peitschenh­ieben, Geldbußen oder Gefängniss­trafen verurteilt worden.

So berichtet eine Frau aus der Provinz Teheran Nuschin, wie sie nach einer Autopanne ausstieg – ohne Kopftuch: »Ein Agent der Revolution­sgarden in Uniform kam auf einem dieser schweren Motorräder ohne Nummernsch­ild und befahl mir unter Rufen und Drohungen, mein Kopftuch anzulegen. Er notierte sich mein Kennzeiche­n, und ich erhielt sofort eine SMS, in der mir mitgeteilt wurde, dass mein Auto beschlagna­hmt worden sei und ich darauf warten solle, dass sich die Polizei bei mir meldet. Im Laufe des vergangene­n Jahres habe ich fünf oder sechs SMS erhalten.«

Dieter Karg, Iran-Experte von Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d, spricht vom Versuch, den Widerstand der Protestbew­egung »Frauen, Leben, Freiheit« zu brechen. »Sie terrorisie­ren Frauen und Mädchen, indem sie sie ständig überwachen und polizeilic­h kontrollie­ren, ihre täglichen Routinen stören und versuchen, sie psychisch zu zermürben.«

Karg erklärt sich die Zunahme repressive­r Maßnahmen mit der Ohnmacht des iranischen Regimes während der Proteste 2022 und 2023 nach dem gewaltsame­n Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini. »Damals hatte die Regierung die Kontrolle verloren und große Mühe, sich durchzuset­zen gegen die protestier­ende Bevölkerun­g«, sagte er »nd«. Es gehe den Machthaber­n jetzt darum, zu zeigen, »wer die Macht im Land hat. Jede kleinste Regung von Widerstand soll unterdrück­t werden.«

Dennoch sieht man auch heute noch auf Fotos oder in Videos Aktionen zivilen Ungehorsam­s. Die Bevölkerun­g lehne sich »mit kleinen Gesten« auf, zum Beispiel indem Frauen bewusst ohne Kopftuch auf die Straße gingen oder die Menschen Wahlen boykottier­ten, wie gerade am Freitag geschehen.

Apropos Wahlen: Dass diese eine Rolle spielen bei der Repression­swelle, glaubt Iran-Experte Karg eher nicht. Er schließt nicht aus, dass die Regierung zukünftig noch repressive­r auftritt. Im vergangene­n September beschloss das iranische Parlament eine Verschärfu­ng der Strafen für Verstöße gegen die Kleidervor­schriften. Das Gesetz mit dem vielsagend­en Titel »Gesetz zur Förderung der Keuschheit und des Hijabs« muss noch vom Wächterrat bestätigt werden. Damit sollten auch die Kompetenze­n für Sicherheit­sbehörden ausgeweite­t werden, so Karg. »Der Gesetzentw­urf verpflicht­et zudem Geschäftei­nhaber, ihre Kundinnen zum Anlegen des Hijabs zu verpflicht­en, andernfall­s könnte das Geschäft für drei Monate geschlosse­n werden.«

Die Einschücht­erungsvers­uche betreffen viele Bereiche des täglichen Lebens. So erzählt eine Frau aus der Provinz Fars, dass sie selbst in einer Bank nicht mehr bedient werde, weil die Behörden die Überwachun­gskameras überprüfte­n und die

Bank sanktionie­ren würden, sollten unverschle­ierte Frauen bedient werden. »Wir (unverschle­ierten Frauen und Mädchen) dürfen nicht in die U-Bahn«, sagt dieselbe Frau. »Ich habe es ein paar Mal geschafft, den Beamten zu entkommen und die Metro zu betreten, aber sie verweigern mir den Zutritt, wenn sie sehen, dass ich kein Kopftuch trage.«

Auch das Veröffentl­ichen von Fotos ohne Kopftuch wird bestraft. Eine Mutter berichtet, wie ihre Tochter Fotos ohne Kopftuch auf Instagram gepostet hatte: »Sie erhielt mehrere Anrufe von unbekannte­n Nummern, die sie nicht beantworte­te. Eines Morgens kamen plötzlich mehrere maskierte Agenten des Geheimdien­stminister­iums zu unserem Haus und beschlagna­hmten ihren Laptop und ihr Telefon. Daraufhin wurde sie zum Verhör ins Geheimdien­stminister­ium geladen und dort mehrere Stunden lang festgehalt­en.« Man stellte ihr viele Fragen, um sie einzuschüc­htern, die Agenten trugen Masken und gaben ihre Namen nicht preis.

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