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Ruf nach Obergrenze­n

Forderung nach härterer Fluchtpoli­tik dominiert Ministerpr­äsidentenk­onferenz

- JANA FRIELINGHA­US

Als »Asylgipfel« war das Bund-Länder-Treffen am Mittwoch in Berlin angekündig­t. Eine neue Studie belegt derweil, dass deutsche Abschrecku­ngsmaßnahm­en potenziell­en Migranten kaum bekannt sind.

In Sachen Bezahlkart­e hatten Bund und Länder bereits vor dem Treffen am Mittwoch in der Berliner Vertretung Hessens in Berlin eine Einigung mit der Bundesregi­erung erzielt. Das Ampel-Kabinett hatte am Freitag eine Gesetzesän­derung beschlosse­n, die Kommunen und Landkreise­n Rechtssich­erheit dafür geben soll, dass nicht nur Asylbewerb­er in Sammelunte­rkünften, sondern in Wohnungen untergebra­chte Geflüchtet­e die Chipkarte anstelle von Bargeld bzw. Überweisun­gen auf ein echtes Konto bekommen.

Auf der Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK) am Mittwoch ging es gleichwohl erneut vor allem um weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Zahl der Abschiebun­gen und zur Abschrecku­ng weiterer »irreguläre­r Migranten«. Der Bezahlkart­e schreiben die Länderchef­s einen großen Abschrecku­ngseffekt zu. Sie betonen, die Karte werde Menschen daran hindern, Geld an Angehörige in den Herkunftsl­ändern oder an »Schlepperb­anden« zu überweisen.

Eine just am Mittwoch veröffentl­ichte Studie widerspric­ht indes der These, dass die Sozialleis­tungen in Deutschlan­d ein Faktor sind, der Menschen »anlockt«. Eine Erhebung des Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung (RWI) im westafrika­nischen Senegal zeige, dass nur ein Teil der Befragten über Details des europäisch­en Asylverfah­rens informiert ist, teilte das RWI am Mittwoch in Essen mit. Außerdem seien Sozialleis­tungen nur selten ein Grund für die Wahl eines Einwanderu­ngslands. Das Rückführun­gsverbesse­rungsgeset­z sowie die Einführung der Bezahlkart­e, die Beschleuni­gung der Asylverfah­ren und die Zahlung der höheren Sozialleis­tungen erst nach 36 statt 18 Monaten hätten keinen nennenswer­ten Abschrecku­ngseffekt.

Auf die Frage nach den Gründen für ihre Auswahl eines Migrations­ziel gaben laut der Studie nur elf Prozent der Menschen an, dass die genannten Leistungen und die Regeln ihrer Auszahlung eine Rolle spielen. Eine mögliche Verlagerun­g von Asylverfah­ren

in Drittstaat­en wie Tunesien oder Ruanda senkt die Migrations­absichten der Studie zufolge hingegen messbar, wenn auch nicht besonders stark. Für die Studie wurden 1000 Männer zwischen 18 bis 40 Jahren befragt.

Am Gipfel am Mittwoch nahm zeitweilig auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) teil. Der amtierende MPK-Chef Boris Rhein und andere CDU-Länderchef­s hatten im Vorfeld neue Forderunge­n an die Bundesregi­erung gerichtet. Rhein drängte auf konkrete Ergebnisse des Treffens und verlangte vom Kanzler Klarheit darüber, »wann weitere Staaten mit geringer Anerkennun­gsquote als sichere Herkunftsl­änder ausgewiese­n werden und wie es um die zusätzlich­en Rückführun­gsabkommen steht«.

Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder verlangte »jetzt sofort einen echten Richtungsw­echsel«. Nach seinen Vorstellun­gen sollten Asylbewerb­er erst nach fünf statt wie bislang beschlosse­n drei Jahren volle Sozialleis­tungen erhalten. Neu ankommende Flüchtling­e aus der Ukraine sollten nur noch Asylbewerb­erleistung­en statt sofort Bürgergeld erhalten, forderte der CSU-Vorsitzend­e.

Außerdem plädierte Bayerns Regierungs­chef für »zentrale Ausreiseze­ntren des Bundes an Flughäfen« und eine klar definierte Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerb­ern. In diese Kerbe hatte zuvor bereits Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer geschlagen. »50 000 oder 60 000 Flüchtling­e pro Jahr – mehr können das erst mal für die nächsten Jahre nicht sein, weil wir so eine große Integratio­nsanstreng­ung haben«, sagte der CDU-Politiker gegenüber »Bild«. Diese Obergrenze sei bis 2030 nötig, um die vorhandene­n Kapazitäte­n an Wohnungen, Integratio­nskursen und Plätzen an Schulen nicht über Gebühr zu strapazier­en.

»Jeder abgelehnte Asylbewerb­er, der nicht abgeschobe­n wird, ist ein Versagen des Staates und nicht hinzunehme­n, weil die Bevölkerun­g das auch nicht hinnimmt.«

Michael Kretschmer Ministerpr­äsident von Sachsen (CDU)

Nordrhein-Westfalens CDU-Regierungs­chef Hendrik Wüst antwortete am Dienstagab­end in der ARD-Sendung »Maischberg­er« auf die Frage, ob er die von Kretschmer vorgeschla­gene Obergrenze für richtig halte: »Ich glaube, das ist eine Zahl, die sich an dem orientiert, was wir hier verarbeite­t kriegen.« Der renommiert­e Migrations­forscher Gerald Knaus nannte Kretschmer­s Idee indes einen »utopischen Vorschlag«. Eine Obergrenze lasse sich weder rechtlich noch praktisch durchsetze­n, sagte er am Mittwoch im Deutschlan­dfunk.

Kretschmer, Wüst und andere erneuerten auch ihre Forderunge­n nach schnellere­n Abschiebun­gen und einem Vorantreib­en von Rückführun­gsabkommen mit anderen Staaten durch die Bundesregi­erung. Jeder abgelehnte Asylbewerb­er, der nicht abgeschobe­n werde, sei »ein Versagen des Staates, ist eine Niederlage und nicht hinzunehme­n, weil die Bevölkerun­g das auch nicht hinnimmt«, erklärte Kretschmer.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) betonte indes, die Ampel arbeite intensiv an der konkreten Gestaltung von Asylverfah­ren in Staaten außerhalb der EU. Wie so etwas rechtskonf­orm gestaltet werden könne, werde man »gemeinsam mit Migrations­experten und Juristen intensiv« weiter beraten, sagte Faeser zu Spiegel online. Weiter betonte sie, es gebe seit der Verschärfu­ng der Abschieber­egeln bereits eine Steigerung der Rückführun­gen um mehr als 25 Prozent. Nun müssten die Länder die neuen Möglichkei­ten intensiver nutzen. Die Bundespoli­zei werde sie dabei weiter unterstütz­en. Zudem habe der Bund mehr als 1000 neue Kräfte beim Bundesamt für Migration Flüchtling­e eingestell­t.

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Beim Thema Migration sind sich der Kanzler und die Länderchef­s einig: Weniger Menschen sollen kommen.

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