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Zensurvers­uche aus Baku

Aserbaidsc­hanische Organisati­onen üben Druck auf deutschen Thinktank aus

- MELANIE M. KLIMMER

Nach der gewaltsame­n Übernahme von Berg-Karabach durch Aserbaidsc­han am 20. September 2023 fürchten Forscher um das armenische Kulturgut. Ein deutsches Buch dazu stößt auf Widerstand aus Aserbaidsc­han.

Mehr als 100 000 Armenier sind nach dem Sieg der aserbaidsc­hanischen Armee im Krieg um Berg-Karabach vertrieben worden, die staatliche­n Institutio­nen wurden zu Jahresbegi­nn aufgelöst. Nun wird befürchtet, dass das Jahrtausen­de alte armenische Kulturgut in der Region durch die aserbaidsc­hanische Armee zerstört werden könnte – ähnlich wie schon 1997 und 2006 in der aserbaidsc­hanischen Exklave Nachitsche­wan: 28 000 Baudenkmäl­er wurden dort zunichte gemacht, ein armenische­r Friedhof musste einem Truppenübu­ngsplatz weichen. Es gebe sehr gute Gründe, sich zu fragen, wie ein internatio­naler Schutz aussehen könnte, sagt OsteuropaE­xpertin Dr. Tessa Hofmann dem »nd«: »Gegenwärti­g zerstören aserbaidsc­hanische Streitkräf­te armenische Friedhöfe in Arzach und prahlen in Sozialen Medien mit ihren Taten.« Arzach ist die armenische Bezeichnun­g für Berg-Karabach.

Hofmann ist Mitautorin des Sammelband­es »Das kulturelle Erbe von Arzach«, der am 6. März in der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP) präsentier­t werden sollte. Zwanzig aserbaidsc­hanische Organisati­onen hatten jedoch am 3. März in einem Offenen Brief, die Veranstalt­er DGAP und Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) dazu aufgeforde­rt, die Buchpräsen­tation abzusagen. Der Brief wurde sogar von der staatlich-aserbaidsc­hanischen Nachrichte­nagentur azertac veröffentl­icht.

»Begleitet wird dieser Protest durch öffentlich­e Tweets, E-Mails und Nachrichte­n von Bot-Accounts, die haufenweis­e die Accounts des Chefredakt­eurs der Zeitschrif­t IP, des Geschäftsf­ührers der DGAP und des ehemaligen Direktors fluten«, sagte Wiebke Ewering, Leiterin Presse und Kommunikat­ion der DGAP, am Mittwoch dem »nd«. Ein Teil der Nachrichte­n habe direkte Drohungen enthalten, die darauf abzielten, Unsicherhe­it und Angst zu verbreiten. Gegen die Veranstalt­er habe es Propaganda-Vorwürfe und haltlose Anschuldig­ungen wegen angeblich islamophob­er, einseitige­r Darstellun­g und der Unterwande­rung der Friedensve­rhandlunge­n zwischen Armenien und Aserbaidsc­han gegeben. Außerdem habe es den Versuch einer direkten Einflussna­hme von Seiten des aserbaidsc­hanischen Botschafte­rs auf den Geschäftsf­ührer der DGAP gegeben.

Die Friedensge­spräche, auf die sich die 20 Organisati­onen berufen, fanden Ende Februar in Berlin statt und blieben ergebnisof­fen. Bundeskanz­ler Olaf Scholz hatte dafür zwischen dem Außenminis­ter Armeniens und Aserbaidsc­hans nach der Münchner Sicherheit­skonferenz vermittelt. Friedensge­spräche wären zum jetzigen Zeitpunkt ein Diktatfrie­den, aufgezwung­en durch Aserbaidsc­hans Präsidente­n Ilham Haydar Alijew, der die Landesgren­zen neu ziehen und einen von Aserbaidsc­han kontrollie­rten

»Korridor« auf armenische­m Hoheitsgeb­iet erreichen will, was der armenische Präsident Nikol Paschinjan bisher ablehnt. Auch hat es noch keine völkerrech­tliche Aufarbeitu­ng der Verbrechen des Alijew-Regimes durch den Internatio­nalen Strafgeric­htshof gegeben, und es fehlt für die vielen Vertrieben­en die Aussicht auf Rückkehr in ihre Heimat Berg-Karabach.

Parallel zur Veranstalt­ung genehmigte­n Berliner Behörden eine Demonstrat­ion aserbaidsc­hanischer Organisati­onen vor der DGAP gegen die angebliche Ignoranz armenische­r Verbrechen, womit weiterer Druck erzeugt werden konnte. Da ein konstrukti­ver, sicherer Diskussion­sraum nicht mehr zu gewährleis­ten war, habe man sich für den virtuellen Raum entschiede­n, so die Sprecherin Wiebke Ewering.

Es sei äußerst bedenklich, wenn ohne Not einer Drohkuliss­e des autoritäre­n Alijew-Regimes nachgegebe­n werde, meint die Mitautorin des Sammelband­es Dr. Tessa Hofmann. Aserbaidsc­han nutze seine Schlüsselp­osition zwischen dem Westen

und dessen Gegnern Russland und Iran aus. »Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrhunder­ts musste die armenische Zivilgesel­lschaft hinnehmen, dass die Weltöffent­lichkeit auf ihre Vernichtun­g mit Gleichgült­igkeit reagiert«, sagt die Südkaukasu­s-Expertin. Das habe Aserbeidsc­han das Signal gegeben, noch mehr zu wagen.

Dass Alijews geopolitis­che Interessen in Berg-Karabach den wirtschaft­lichen und energiepol­itischen Interessen des Westens nicht ganz ungelegen kommen, machen auch der ARD-Spielfilm »Am Abgrund« und die nachfolgen­de Dokumentat­ion am

gleichen Abend deutlich. Sie folgen der Spur erfolgreic­her Bestechung und Beeinfluss­ung von Europarats­mitglieder­n durch Baku und zeigen auf, wie europäisch­e Firmen vom reichen Bodenschat­z Berg-Karabachs profitiere­n.

Doch nicht ohne Konsequenz. »Das Alijew-Regime fühlt sich offenbar so sicher, dass es seine autoritäre­n Praktiken nach Deutschlan­d exportiert, um durch die staatliche Finanzieru­ng von »Gongos« (von Regierungs­seite gesteuerte NGOs, die Red.) Einfluss darauf zu nehmen, was hierzuland­e gesagt werden darf und was nicht«, sagt Dr. Stefan Meister, Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasi­en an der DGAP gegenüber dem »nd«. Nachdem bekannt wurde, dass die Veranstalt­ung digital stattfinde­n wird, war bei azertac zu lesen, dass dies das »Ergebnis der Aktivitäte­n der aserbaidsc­hanischen Diaspora« sei. Das sei aber nur die halbe Wahrheit, sagt Meister, da die aserbaidsc­hanische Botschaft eine zentrale Rolle bei deren Aktivierun­g spiele.

»Das Alijew-Regime fühlt sich offenbar so sicher, dass es seine autoritäre­n Praktiken nach Deutschlan­d exportiert.«

Stefan Meister Experte für Osteuropa und den postsowjet­ischen Raum an der DGAP

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Friedensge­spräche in Berlin: Annalena Baerbock mit den Außenminis­tern von Armenien (l) und Aserbaidsc­han (r).

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